Logo Epoch Times

Lambrecht fordert Kinderrechte ins Grundgesetz: „Wir sollten keine Zeit mehr verlieren“ – Wissenschaftlicher Dienst hält dagegen

Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD) hat anlässlich des Jahrestages des Grundgesetzes ihre Forderung bekräftigt, die Kinderrechte in der Verfassung zu verankern.

top-article-image

Ein Mädchen spielt mit Pusteblumen.

Foto: iStock

author-image
Artikel teilen

Lesedauer: 7 Min.

„Wir sollten keine Zeit mehr verlieren und zügig das parlamentarische Verfahren beginnen“, erklärte Lambrecht am Freitag in Berlin. Der Bundestag sei „der Ort, um offene Fragen zu diskutieren.“
Die Ministerin verwies darauf, dass sich Union und SPD im Koalitionsvertrag darauf verständigt hätten, die Kinderrechte in der Verfassung zu verankern. Ihren Entwurf bezeichnete Lambrecht als „maßvoll und ausgewogen“.
Die Justizministerin hatte im November vergangenen Jahres ihren Entwurf vorgelegt, demzufolge im Grundgesetz festgehalten werden soll, dass jedes Kind das „Recht auf Achtung, Schutz und Förderung seiner Grundrechte“ habe. Weiter soll es heißen: „Das Wohl des Kindes ist bei allem staatlichen Handeln, das es unmittelbar in seinen Rechten betrifft, angemessen zu berücksichtigen. Jedes Kind hat bei staatlichen Entscheidungen, die seine Rechte unmittelbar betreffen, einen Anspruch auf rechtliches Gehör.“

Kinderrechte bereits im Grundgesetz enthalten

Im Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes, das der Epoch Times vorliegt, heißt es:
„Allgemein ist darauf hinzuweisen, dass im geltenden deutschen Verfassungsrecht die Rechte der Kinder deutlich weiter und komplexer ausgestaltet sind, als dies nach dem Wortlaut des Grundgesetzes zunächst erscheinen mag. „Grundrechtsfähig seien alle natürlichen Personen unabhängig von ihrem Alter und ihren Fähigkeiten. „Kinder und Jugendliche werden damit durch die Grundrechte geschützt.“
Das Bundesverfassungsgericht habe bereits in einer grundlegenden Entscheidung aus dem Jahr 1968 klargestellt, dass auch Kinder Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf Entfaltung ihrer Persönlichkeit im Sinne der Artikel 1 Absatz 1 und Artikel 2 Absatz 1 GG seien.
Im Jahre 2008 schließlich habe das Bundesverfassungsgericht in einer weiteren Grundsatzentscheidung festgstellt, dass gemäß Artikel 6 Absatz 2 GG ein Kind nicht Gegenstand elterlicher Rechtsausübung, sondern „Rechtssubjekt und Grundrechtsträger“ ist, heißt es in dem Gutachten. Die Eltern seien gegenüber dem Kind verpflichtet, ihr Handeln an seinem Wohl auszurichten.

Kindeswohl ist geschützt

Das Wohl von Kindern sei darüber hinaus durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 GG geschützt. So schütze dieses etwa die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern und das Recht des Kindes auf Entwicklung zur Persönlichkeit. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht gewährleiste zudem den Jugendschutz und verlangt die Berücksichtigung des Kindeswohls bei Entscheidungen darüber, in welcher Familie ein Kind aufwachsen soll.
Zudem weist der Wissenschaftliche Dienst in diesem Zusammenhang auf das Unionsrecht hin. Artikel 24 und 32 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union würden spezielle Kinderrechte vorsehen. Die in der Charta geregelten Kinderrechte gelte für die Mitgliedstaaten, sofern eine Anwendbarkeit der Charta gegeben ist (Artikel 51 Charta). Dies sei der Fall, wenn die Mitgliedstaaten Unionsrecht durchführen, also insbesondere bei der Anwendung unionsrechtlicher beziehungsweise unionsrechtlich determinierter Normen oder im Geltungsbereich der unionsrechtlichen Grundfreiheiten.

Konsequenzen der Einführung von Kinderrechten im Grundgesetz

Wie sich die vorgeschlagenen Änderungen des Art. 6 GG im Einzelnen auf die Rechtsstellung der Kinder auswirken würden, könne der Wissenschaftliche Dienst nicht abschließend voraussagen.
Es werde vielfach kritisiert, dass die Einführung von Kinderrechten einen systematischen Bruch bedeuten würde. „Wie bereits oben ausgeführt, sind Kinder nicht nur allgemein grundrechtsfähig, Wesen mit eigener Menschenwürde und Rechtssubjekte.“ Das Bundesverfassungsgericht habe vielmehr klargestellt, dass Kinder Träger von eigenen auf sie zugeschnitten Grundrechten sind. Dies gelte namentlich für das Recht des Kindes auf Entwicklung seiner Persönlichkeit, den Jugendschutz und die Berücksichtigung des Kindeswohls bei Entscheidungen über sein familiäres Umfeld.
„Die Einführung spezieller Kindergrundrechte könnte Fragen zu dem Verhältnis dieser Rechte zu den sonstigen allgemeinen Grundrechten der Kinder aufwerfen. Dazu wird in der Literatur vertreten, dass bestehende Grundrechte der Kinder, zum Beispiel die aus der Menschenwürde entwickelten grundrechtlichen Gewährleistungen, geschwächt werden könnten und der Grundrechtsschutz der Kinder gespalten würde.“
Zwar heiße es in den Gesetzesbegründungen zu den Formulierungsvorschlägen 1 [Justizministerium] und 3 [Partei Die Linke], dass die Rechte der Eltern nach Artikel 6 GG „nicht angetastet“ beziehungsweise „nicht beschnitten“ würden. „Es ist aber offen, ob die Hervorhebung der Kinderrechte (durch explizite Nennung der Rechte auf Achtung, Schutz und Förderung, einschließlich des Rechts auf Entwicklung) nicht eine veränderte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nach sich ziehen könnte, in der sich die Hervorhebung auch gegenüber dem Elterngrundrecht niederschlägt“, so das Gutachten.

Pro und Contra

Die Positionierung eines neuen Absatzes mit Kindergrundrechten vor dem Absatz mit dem Elterngrundrecht würde insofern unterschiedlich beurteilt werden, heißt es im Gutachten. Die Bund-Länder-AG würde in ihrem Abschlussbericht argumentieren, dass wenn die Kindergrundrechte vor dem Elterngrundrecht stünden, sie die Ziele von Elternverantwortung und Wächteramt prägen würden.
„Insbesondere würden die an den Staat gerichteten Vorgaben des neuen Regelungstexts in diesem Fall für das Wächteramt nur relevant, soweit nicht Artikel 6 Absatz 2 GG die Verantwortung den Eltern zuweist, und sie würden im Übrigen nur für staatliches Handeln außerhalb des familiären Kontextes – etwa im Schulbereich – gelten.“ Die Zuständigkeitsverteilung von Eltern und Staat im geltenden Art. 6 Abs. 2 GG würde sich nicht verschieben.
Weiter heißt es im Gutachten:
„Andere Stimmen in der Literatur gehen dagegen davon aus, dass die Verortung vor dem Elterngrundrecht „eindeutig für eine Relativierung und Abschwächung der Elternverantwortung zugunsten der staatlichen Kindeswohlverantwortung“ spreche. Es wird bemängelt, dass dem Formulierungsvorschlag 1 (dies dürfte in gleicher Weise für den Formulierungsvorschlag 3 gelten) eine Sicherungsklausel fehle, die ausdrücklich bestimme, dass die geplante Grundrechtsergänzung das Elternrecht unberührt lasse und vor einem „Verfassungstrojaner“ gewarnt.“
Ein weiterer Aspekt seien laut Gutachten mögliche Spannungsverhältnisse zu geltendem internationalen Recht (UN-KRK und Artikel 24 Charta), sollten die Formulierungen der Kinderrechte voneinander abweichen. Gerade im Hinblick auf den Formulierungsvorschlag 1 [Justizminiterium] zeige sich, dass dieser bezüglich der Beteiligungs- und Mitspracherechte der Kinder hinter den völkerrechtlichen Staatenverpflichtungen aus Art. 12 UN-KRK zurückbleibt. Daraus könnten sich Interpretationsprobleme ergeben.
Auch in der Union gibt es Kritik, dass dem Staat mit der geplanten Regelung zu viel Einfluss zulasten der Eltern eingeräumt werde. Das Grundgesetz wurde vor 71 Jahren, am 23. Mai 1949, verkündet. (mit afp-Anteilen)

Kommentare

Noch keine Kommentare – schreiben Sie den ersten Kommentar zu diesem Artikel.