Elf Festnahmen nach Anschlag in Moskau – Tatverdächtige wollten sich in Ukraine absetzen

Nach dem Terroranschlag auf einen Konzertsaal nahe Moskau haben russische Behörden elf Tatverdächtige festgenommen. Sie sollen aus Tadschikistan stammen und versucht haben, sich in die Ukraine abzusetzen. Der IS hat sich derweil zu dem Anschlag bekannt.
Soldaten der russischen Nationalgarde verlassen einen Bus in der Nähe des brennenden Gebäudes.
Soldaten der russischen Nationalgarde verlassen einen Bus in der Nähe des brennenden Gebäudes.Foto: Sergei Vedyashkin/Moscow News Agency/AP
Von 23. März 2024

Am Samstagmorgen, 23. März, haben Sicherheitsbehörden russischen Medienangaben zufolge elf mutmaßliche Verdächtige bezüglich des Terroranschlags vom Freitagabend nahe Moskau festgenommen. In vier Fällen geht man von direkten Tatbeteiligten aus. Die Berichte stützen sich auf Erklärungen von Alexander Bortnikow, dem Chef des Inlandsgeheimdienstes FSB.

Vier Personen in einem Pkw mit Kennzeichen aus Twer waren möglicherweise im Begriff, sich in die Ukraine abzusetzen. Der weiße Renault, nach dem im Zusammenhang mit dem Terrorakt gefahndet wurde, soll sich auf der Fernstraße M3 befunden haben.

Zwischenfall auf Fernstraße in Richtung Ukraine

Die Straße verbindet Moskau und Kiew und verläuft durch die Regionen Kaluga und Brjansk. In dem Fahrzeug sollen sich vier Personen befunden haben. Einem Bericht des staatlichen russischen Senders RT zufolge hat sich der Fahrer in Höhe des Dorfes Khatsun im Gebiet Brjansk geweigert, einer Anhalteaufforderung nachzukommen.

Die Sicherheitsbehörden hätten die Verfolgung aufgenommen. In weiterer Folge habe der Pkw sich überschlagen. Der Fahrer konnte an Ort und Stelle schwer verletzt festgenommen werden. Drei weitere Personen versuchten in die umliegenden Wälder zu entkommen. Mittlerweile soll es gelungen sein, sämtliche Insassen des Wagens zu fassen.

In der Kabine des Wagens sollen eine Makro-Pistole, ein Magazin für ein Kalaschnikow-Sturmgewehr und Pässe tadschikischer Staatsangehöriger gefunden worden sein. Der Verkehr auf der Fernstraße ist derzeit weiterhin eingeschränkt.

„Eindruck gut vorbereiteter und ausgebildeter Kämpfer“

Der weiße Renault wurde aufgrund von Videoaufnahmen vom Freitagabend mit dem Anschlag in Verbindung gebracht. In der Konzerthalle Crocus City Hall in der Stadt Krasnogorsk im Nordwesten von Moskau hatten mehrere Personen mit Schusswaffen das Feuer auf Konzertbesucher eröffnet. Dort sollte die schon seit Sowjetzeiten bestehende Rockband „Picknick“ auftreten.

Das Vorgehen der Terroristen zeigte Ähnlichkeiten zum Anschlag des IS auf das Theater Bataclan in Paris 2015. Zeugenaussagen zufolge sollen sich mindestens fünf bärtige und bewaffnete Personen der Veranstaltungshalle genähert haben. Sie sollen den Eindruck gut vorbereiteter und ausgebildeter Kämpfer gemacht haben. Erst hätten sie das Feuer auf die Wachen eröffnet, später den Haupteingang blockiert.

Die Angreifer seien mit Kalaschnikows bewaffnet gewesen, zudem sollen einige von ihnen Rucksäcke getragen haben. Darin befanden sich offenbar Molotowcocktails. Die Attentäter schossen um sich und setzten Gebäude in Brand. Aktuell gehen die Einsatzkräfte bereits von mehr als 130 Toten und mehreren Hundert Verletzten aus.

Russische Behörden gingen nach US-Warnung offenbar von provokativem Post aus

Anfang März hatten die Botschaften der USA und Großbritanniens vor möglichen Terroranschlägen im Großraum Moskau gewarnt. Sie riefen ihre Staatsbürger dazu auf, Menschenansammlungen zu meiden. Die vom 7. März datierende Warnung sprach jedoch von einem möglichen Anschlag innerhalb der darauffolgenden 48 Stunden.

Ein solcher Anschlag hatte jedoch nicht stattgefunden. Präsident Wladimir Putin war deshalb noch am Dienstag vor Mitarbeitern der Sicherheitsdienste von „provokativen“ Erklärungen ausgegangen und sprach von einem „Versuch der Einschüchterung“.

Nach ersten Berichten über den Terrorakt machten Gerüchte über eine Beteiligung der Ukraine die Runde. Die Führung in Kiew wies diese umgehend zurück. Auch aus den USA hieß es, dass man bis dato keinerlei Hinweise auf einen Bezug zum kriegsgeschüttelten Nachbarland habe.

Dass der mögliche Fluchtwagen in Richtung ukrainischer Grenze unterwegs war, sagt für sich genommen auch nicht viel über eine mögliche Beteiligung aus. Der Weg aus russischem Hoheitsgebiet wäre für die Tatverdächtigen von Moskau aus deutlich kürzer als jener in zentralasiatische Staaten. Der FSB erklärte allerdings auch, dass von bislang elf Tatverdächtigen einige Kontakte in die Ukraine gehabt hätten. Auf Telegram hatte sich die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) zu dem Anschlag bekannt.

Direkte Verwicklung der Ukraine wenig wahrscheinlich

Eine Verwicklung der Ukraine in den Terrorakt in Russland ist – ungeachtet noch ausstehender Untersuchungen – insgesamt wenig wahrscheinlich. Es gab zwar Bestrebungen vonseiten dschihadistischer Gruppierungen, unter Krimtataren Fuß zu fassen, diese gingen aber vor allem von Hizb ut-Tahrir aus. Der IS ist dort wenig relevant. Mit Ausnahme des gemeinsamen Feindbilds Russland gibt es wenig, was die dschihadistischen Terroristen mit ukrainischen Nationalisten verbindet.

Von nicht unerheblichem Interesse wird jedoch die Frage sein, wie die Terroristen von Krasnogorsk an ihre Waffen gekommen sind. Denkbare Optionen wären nach wie vor aus den Tschetschenienkriegen vorhandene Waffen, die auf dem Schwarzmarkt gelandet sind. Damalige Großlieferanten an die Dschihadisten wie Saudi-Arabien haben jedoch mittlerweile eine 180-Grad-Wende vollzogen – auch aus Furcht davor, dass die Extremisten im eigenen Land Probleme bereiten könnten.

Zuletzt gab es auch Berichte über Waffen, die der Westen an die Ukraine geliefert habe und die ihren Weg auf den Schwarzmarkt gefunden hatten. Gefestigte Erkenntnisse über die Herkunft gibt es jedoch bisher nicht.

Hat die Hamas den IS zum „Lebenszeichen“ bei Moskau inspiriert?

Es gibt einige mögliche Gründe für ein „Lebenszeichen“ des IS ausgerechnet in Russland und zu diesem Zeitpunkt. Russland ist mit wesentlichen Ressourcen in der Ukraine gebunden. Auch die Aufmerksamkeit bezüglich terroristischer Angriffe konzentrierte sich auf ukrainische Drohnen oder neonazistische Überfälle auf Belgorod.

Bereits beim Hamas-Terror gegen Israel hatte sich im Oktober 2023 gezeigt, dass dschihadistische Terroristen Aufmerksamkeitsdefizite der Sicherheitsdienste ihrer Zielländer wahrnehmen – und ausnutzen. Ähnliches dürfte in Russland nun der Fall gewesen sein.

Die Dschihadisten könnten zudem davon ausgehen, dass es keinen Schulterschluss gegen den Terror wie noch in den 2000er-Jahren geben würde. Die Dämonisierung Russlands im etablierten politischen und medialen Diskurs des Westens würde eine solche Form der Anteilnahme schwächen.

Auch hier zeigt sich eine Parallele zum Hamas-Angriff auf Israel. Die Terroristen hatten eine vehemente militärische Reaktion Jerusalems im Gazastreifen schon im Vorfeld eingepreist. Und sie setzten darauf, dass der Westen mit einer stark israelkritischen öffentlichen Meinung schon von Beginn an Zurückhaltung einfordern würde.

Nach Rückzug aus Syrien startete der IS mehrere Comeback-Versuche

Es ist zudem möglich, dass der IS jetzt generell eine günstige Situation für ein mögliches Wiedererstehen sieht. Im Westen haben viele die Terrororganisation aus den Augen verloren, nachdem diese aus Syrien und dem Irak weitgehend zurückgedrängt werden konnte und die Zahl der Anschläge in Europa abnahm.

Danach versuchte die Terrororganisation, sich in ausgesuchten Gebieten zu regenerieren, in denen mit ausländischen Interventionen nicht zu rechnen sein würde. Im Jahr 2017 verbündete sich ein ehemaliger Abu-Sayyaf-Kommandeur, der dem IS die Treue geschworen hatte, auf den Philippinen mit seinen früheren Mitstreitern und der Maute-Gruppe.

Diese versuchten die 200.000-Einwohner-Stadt Marawi in der Provinz Lanao del Sur in der Region Bangsamoro unter Kontrolle zu bringen. Die Gruppe wollte in der mehrheitlich muslimischen Region der Insel Mindanao ein „Kalifat“ ausrufen. Nach mehrmonatigen Kämpfen konnte die Armee die Stadt jedoch befreien und mehrere Anführer der Terrorgruppen liquidieren.

Neben dem gescheiterten Versuch, die Philippinen zu einem neuen Schwerpunkt zu machen, verstärkten IS-Ableger ihre Aktivitäten in Teilen Afrikas und in Afghanistan. Dort will man nach dem Abzug der US-geführten Koalition und der Machtübernahme der Taliban auf deren Kosten Einfluss gewinnen.

Extremisten hegen Ressentiments gegen Russland nach mehreren Antiterrorkriegen

Während die frühere Sowjetunion ein erklärtes Feindbild der Dschihadisten in Afghanistan war, ist das Verhältnis der Russischen Föderation zu den Taliban eher entspannt. Dies hat auch mit deren am Ende erfolgreichen Guerillakampf gegen den Westen zu tun.

Ressentiments gegen Russland bestehen jedoch nach wie vor unter Dschihad-Gruppen in Syrien. Die Russische Föderation hatte dort 2015 zusammen mit dem syrischen Regime unter Baschar al-Assad und iranischen Proxys eine Koalition gebildet. Diese richtete sich – ähnlich wie ein von den USA geführtes Bündnis – gegen den IS. Russland bekämpfte auch dschihadistische Gruppierungen, die abseits des IS einen Sturz Assads anstrebten.

Der Einsatz hatte temporär sogar eine politische Eiszeit gegenüber der Türkei zur Folge, die einige der Gruppierungen als Teil der legitimen Opposition betrachtete. Zwar kam es im Frühsommer 2016 wieder zu einer Normalisierung der Beziehungen, allerdings erschoss ein Polizist im Dezember des Jahres mit seiner Dienstwaffe den russischen Botschafter Andrei Karlow während einer Ausstellungseröffnung in Ankara vor laufenden Kameras.

Die türkische Regierung machte die Gülen-Bewegung für den Anschlag verantwortlich. Tatsächlich deutete der Inhalt der Rede, die der Attentäter hielt, bevor Kollegen ihn erschossen, auf einen Zusammenhang mit syrischen Dschihadisten hin. In jenen Tagen nahmen Regierungstruppen mit russischer Unterstützung das von diesen kontrollierte Aleppo ein.

Moskau bereits mehrfach im Visier von Dschihadisten

Es ist jedoch auch denkbar, dass der Terrorismus seinen Ursprung im eigenen Land oder dessen Peripherie – wie in Tadschikistan – hat und der IS versucht, in Russland eine neue Front aufzubauen. Bereits im April 2017 hatte es in St. Petersburg einen Anschlag auf die U-Bahn gegeben – und als Täter wurden Angehörige des sogenannten Imam-Schamil-Bataillons identifiziert. Dieses hat seine Ursprünge in zentralasiatischen Sowjetrepubliken mit mehrheitlich muslimischer Bevölkerung, in denen es in den 1990er-Jahren Abspaltungstendenzen gegeben hatte.

Der Rückhalt der Dschihadisten unter russischen Muslimen ist gering. In Russland genießen traditionelle Religionen, zu denen auch der Islam gehört, volle Entfaltungsfreiheit. Restriktiv ist die Politik des russischen Staates hingegen gegenüber neueren religiösen Bewegungen, beispielsweise evangelikalen Gruppen oder den Zeugen Jehovas. Einige von ihnen werden als Einflussgruppen der USA betrachtet.

Ehemalige Konfliktregionen wie Tschetschenien oder Dagestan wurden mit umfangreichen staatlichen Mitteln wieder aufgebaut. Allerdings ist nicht auszuschließen, dass terroristische Gruppen dort ein Hinterland gefunden haben, in dem sie sich regenerieren konnten.

Russland hat bereits Kontakt zu Behörden in Tadschikistan aufgenommen

Dass sie in der Lage sind, blutige Anschläge zu organisieren, hatten vor allem die späten 1990er- und die 2000er-Jahre gezeigt. 1999 hatte es Bombenattentate auf Wohnhäuser gegeben, 2002 die Geiselnahme im Dubrowka-Theater, 2004 jene in Beslan und mehrere Anschläge in der Moskauer U-Bahn.

Wie die staatliche russische Nachrichtenagentur TASS berichtet, haben die Behörden in Moskau bereits Kontakt mit Sicherheitsbehörden in Duschanbe aufgenommen. Sie erhoffen sich Erkenntnisse über Hintergründe und Verbindungen der Tatverdächtigen.



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