Zehn Jahre „Kalifat“ – Terrormiliz IS rüstet sich mit Khorasan-Ableger zu neuem Feldzug

Das Massaker in der Crocus City Hall von Moskau am 22. März könnte nur der Auftakt zu einem neuen weltweiten Terrorfeldzug des IS werden. Im Juni jährt sich die Ausrufung seines „Kalifats“ zum zehnten Mal. Die Rückschläge scheinen langsam vergessen zu sein. Der Khorasan-Ableger übernimmt das Ruder.
Ein Meer aus Blumen und Karten: Passanten trauern um die Opfer des Terroranschlags in der Crocus City Hall bei Moskau.
Ein Meer aus Blumen und Karten: Passanten trauern um die Opfer des Terroranschlags in der Crocus City Hall bei Moskau am 22.März.Foto: Vitaly Smolnikov/AP/dpa
Von 31. März 2024

Am Freitag, 22. März, töteten Terroristen 145 Menschen bei einem Massaker in der Crocus City Hall in Krasnogarsk bei Moskau. Zu dem Anschlag, der Parallelen zu jenem Paris im November 2015 aufwies, bekannte sich die IS-Gruppe „Khorasan“ (ISPK).

Inzwischen holten eine Botschaft des IS und eine Attentatsdrohung gegen den deutschen Fußball-Bundesliga-Schlager FC Bayern München gegen Borussia Dortmund die Spekulationen wieder auf den Boden der Tatsachen zurück.

IS-Khorasan verübte bereits im Januar blutigen Anschlag im Iran

Ein Propagandamedium des IS zeigte am Freitag ein Bild, das Fans vor der Allianz-Arena zeigt und einige davon in den Fokus einer Zielscheibe nimmt. Die Polizei versuchte, die Gemüter schnell zu beruhigen. Man prüfe den Sachverhalt, sehe jedoch keine erhöhten Gefährdungserkenntnisse.

Tatsächlich hatte ein Sympathisant des IS jedoch im September 2016 einen Anschlag auf die Allianz-Arena geplant. Zudem gab es speziell vonseiten des IS-Khorasan erst in jüngster Zeit Terrorplanungen in Deutschland. So konnte zum Ende des Vorjahres ein möglicher Bombenanschlag auf den Kölner Dom verhindert werden.

Der IS-Khorasan soll zudem für den Selbstmordanschlag auf eine Gedenkveranstaltung für den 2020 durch eine US-Drohne ausgeschalteten General der Iranischen Revolutionsgarden, Kassem Soleimani, verantwortlich sein. Bei diesem starben im Januar mindestens 94 Teilnehmer. Erst vor wenigen Tagen hatten deutsche Sicherheitskräfte auch zwei Personen mit mutmaßlichem IS-Khorasan-Bezug nahe Gera festgenommen. Sie sollen ein Attentat auf das schwedische Parlament geplant haben.

IS ruft weltweit zu Anschlägen auf

In Europa war der Bekanntheitsgrad der Vereinigung in der breiteren Bevölkerung eher gering. Die Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) war vielfach generell aus dem Bewusstsein verschwunden. Das sogenannte Kalifat auf dem Gebiet von Syrien und dem Irak war zerschlagen, die Zahl der Anschläge war in den vergangenen Jahren rückläufig. Begangen wurden sie von Einzeltätern. Der IS schien sein Aktionsgebiet viel eher in Afrika und Asien auszubauen.

Nun hat der IS-Sprecher Abu Hudhayfah al-Ansari Sympathisanten dazu aufgerufen, in den verbleibenden Tagen des Ramadan Anschläge in den USA, in Europa und in Israel zu verüben. In einer 41-minütigen Ansprache lobte die Khorasan-Gruppe für den Terrorakt bei Moskau. Er rief insbesondere junge Sympathisanten dazu auf, ihre Elternhäuser zu verlassen und sich Dschihad-Gruppen anzuschließen.

Unter dem Motto „Töte sie, wo du sie findest“ sollen diese vor allem gegen Juden und „Kreuzfahrer“ vorgehen und dabei auf die bekannten Terrortaktiken des IS und anderer dschihadistischer Gruppen zurückgreifen. Der Sprecher sprach unter anderem von Sprengstoffattacken, Brandbombenanschlägen, Schusswaffenangriffen oder Angriffe mithilfe von Messern oder schweren Fahrzeugen.

US-Dienste warnten schon frühzeitig vor perspektivisch drohender Gefahr durch Khorasan-Gruppe

Die Khorasan-Gruppe wurde erstmals Ende 2014 in US-amerikanischen Geheimdienstberichten genannt. Damals hatten sich pakistanische Dschihadisten von den Taliban abgespalten, die ihnen als zu moderat und zu realpolitisch orientiert galten.

Die US-Dienste hatten der Khorasan-Gruppe bereits in der Zeit ihrer Entstehung ein enormes Gefahrenpotenzial zugesonnen. Ihre Radikalität und ihre Rücksichtslosigkeit würden an dem Grenzen der Region, nach der sie benannt ist, nicht haltmachen. Schon 2015 schwor die Gruppe dem IS die Treue.

Zwar gelang es sowohl den US-geführten Truppen als auch der damaligen afghanischen Regierung, etwa die Hälfte der Khorasan-Kämpfer zu eliminieren oder gefangen zu nehmen. Nach dem Abzug der US-geführten Truppen und der Machtübernahme der Taliban konnten sie sich vor allem in den Gebieten festsetzen, die diese nicht unter Kontrolle hatten.

Bereits im August gelang ihnen mit einem Anschlag auf den Flughafen Kabul, bei dem 13 amerikanische Servicemitarbeiter und bis zu 170 Zivilisten starben, ein Coup für die eigene Propaganda. Durch solche versucht die Gruppe zunehmend, weit über die Grenzen Afghanistans, Pakistans und Tadschikistans hinaus zu wirken.

DIA behielt mit ihren Einschätzungen recht

Schon bald stellten sich Erfolge ein. Bereits im Mai des Vorjahres berichtete die „Voice of America“, dass das State Department Tendenzen der Gruppierung feststellte, sich nach Kasachstan, Kirgisistan und weitere Teile Tadschikistans auszudehnen. Ian McCary, der stellvertretende Sondergesandte des US-Außenministeriums, äußerte damals:

„Wir sind uns über die anhaltende Bedrohung durch ISIS im Klaren. Und wir sehen das Auftauchen von ISIS-Ablegern – etwa dem sogenannten ISIS-Khorasan innerhalb Afghanistans. Sie stellen eine externe Bedrohung dar.“

Der IS-Khorasan wolle „nicht nur Entbindungskrankenhäuser und Schulen in die Luft jagen und Frauen und Kinder töten“. Die Gruppe habe es darauf abgesehen, auch außerhalb Afghanistans Chaos zu stiften:

„Sie haben eine sehr nihilistische Vision.“

Für ein Anschlagspotenzial auch im Westen gab die Defence Intelligence Agency (DIA) dem IS-Khorasan damals sechs bis zwölf Monate.

IS-Khorasan spielte USA und Russland vor Terrorattacke erfolgreich gegeneinander aus

Der IS sieht in der angespannten Situation in vielen Teilen der Welt seine Chance zum Wiederaufstieg gekommen. Der Krieg in der Ukraine, der Antiterrorkampf Israels in Gaza, die Lage im Roten Meer und die Spannungen mit dem KP-Regime Chinas sorgen dafür, dass sich die sicherheitspolitischen Prioritäten verschieben.

Zudem rechnet man damit, dass die geopolitischen Unwägbarkeiten ein koordiniertes Vorgehen gegen den Terror erschweren würden. Sie würden vielmehr dazu führen, dass mögliche Zielländer einander nicht vertrauen.

Im Iran und in Russland hatte der IS-Khorasan die für ihn günstige Lage auch in fataler Weise richtig eingeschätzt. In beiden Ländern warnten US-Dienste ungeachtet der bilateralen Spannungen die Behörden vor Ort vor dem Anschlagsrisiko. In beiden Fällen unterstellten die Empfängerländer den Amerikanern böse Absichten und taten die Hinweise als „Einschüchterung“ ab.

Terrormiliz scheint Rückschläge mental weggesteckt zu haben

IS-Sprecher Abu Hudhaifah al-Ansari hat in seinem Aufruf das zehnte Gründungsjubiläum des sogenannten Kalifats in Erinnerung gerufen. Dass man bereits so weit ist, dieses Ereignis mythisch zu verklären, obwohl dieses unter den Bomben einer internationalen Koalition, imperialer Überdehnung und interner Rivalitäten zusammengebrochen war, ist ein Alarmzeichen.

Eine neue Generation von Kämpfern scheint startbereit zu sein – vollgepumpt mit Captagon und deshalb im Augenblick der Tat von allen Skrupeln befreit, wie die vier Tatverdächtigen von Moskau. Der IS-Khorasan sieht sich mit der gesamten Welt im Krieg und ist gewillt, gegen jedes erdenkliche Feindbild zu jeder Zeit zuzuschlagen.

Entscheidend ist das Potenzial, maximales Chaos zu stiften, um eines Tages auf den Trümmern alter Ordnungen eine neue nach ihren Maßstäben zu errichten. Das wäre eine Strategie, wie man sie bereits von den kommunistischen Führern Trotzki und Mao kannte. Gelingt es den Terroristen, an Finanzierungsquellen und Waffen zu gelangen, könnten auch der westlichen Welt schon bald wieder Zustände wie in den 2010er-Jahren drohen.



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