Bundesgericht trifft wegweisendes Urteil zur Durchsuchung in Erstaufnahmeeinrichtung

Der Polizeigroßeinsatz in einer Asylbewerberunterkunft 2018 in Ellwangen beschäftigte jahrelang deutsche Gerichte. Jetzt traf das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein wegweisendes Urteil.
Titelbild
Polizeieinsatz in einer Flüchtlingsunterkunft im Mai 2018 in Ellwangen.Foto: Thomas Niedermueller/Getty Images
Von 24. Juni 2023

Bundesweit erregte die im ersten Anlauf misslungene Abschiebung eines 23-jährigen Togolesen aus der Landeserstaufnahmeeinrichtung im Mai 2018 in Ellwangen (Baden-Württemberg) große mediale Aufmerksamkeit.

Die „Abholaktion“ durch Polizeikräfte musste damals abgebrochen werden, da sich circa 150 Migranten in der Aufnahmeeinrichtung zusammenschlossen und gewaltsam Widerstand gegen die Abschiebung des Afrikaners leisteten.

Drei Tage später rückte ein Großaufgebot von Polizeikräften in die Erstaufnahmeeinrichtung ein, um den Togolesen und die Rädelsführer des Aufstandes festzunehmen. Einige von ihnen wurden danach abgeschoben.

Unter ihnen war auch Alassa Mfouapon aus Kamerun. Er war einer der Anführer des Widerstandes und wurde damals nach Italien, seinem Erstaufnahmeland, abgeschoben. Ende 2018 tauchte der Kameruner erneut in Deutschland auf und erhielt Unterstützung, um ein Verfahren gegen seine Abschiebung aus der Bundesrepublik Deutschland anzustrengen. Am Donnerstag fiel nun in Leipzig das wegweisende Urteil.

Kläger: „Urteil gibt Polizisten bei Abschiebungen zu viele Freiheiten“

Das Bundesverwaltungsgericht erklärte nämlich, dass die damalige Praxis der Polizei, Zimmer von Flüchtlingen und Migranten ohne richterlichen Beschluss zu betreten, um sie abzuschieben, für rechtens.

Damit wurde eine Kernfrage zum Grundrechtsschutz von Asylbewerbern geklärt, die zu Beginn ihres Asylverfahrens verpflichtet sind, in einer sogenannten Landeserstaufnahmeeinrichtung zu wohnen: Ist das Betreten eines Zimmers in einer Erstaufnahmeeinrichtung durch die Polizei eine Wohnungsdurchsuchung?

Das Gericht entschied, dass diese Zimmer Wohnungen im Sinne des Grundgesetzes seien, doch hielt es zugleich für zulässig, dass Polizeivollzugsbeamte die Zimmer ohne Durchsuchungsbeschluss zur Nachtzeit betreten, um die Abschiebung zu vollstrecken. Denn das bloße Betreten und Hineinblicken stelle keine Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG dar, berichtet LTO. Damit ist Kläger Alassa Mfouapon mit seiner Revision gescheitert.

Er zeigte sich laut LTO nach der Verkündung resigniert: „Das Urteil gibt Polizisten bei der Abschiebung zu viele Freiheiten. Sie können praktisch tun, was sie wollen“, zitiert ihn das Medium.

„Recht, in Ruhe gelassen zu werden“

Eine Wohnung sei ein privater Rückzugsort. Das könne man bei einem Zimmer in einer Erstaufnahmeeinrichtung nicht grundsätzlich verneinen. Auch Flüchtlinge und Migranten hätten das „Recht, in Ruhe gelassen zu werden“, zitiert LTO den vorsitzenden Richter. Zimmer in einer Erstaufnahmeeinrichtung, in denen bis zu zwei Personen leben, seien durch Art. 13 GG als Wohnung in vollem Umfang grundrechtlich geschützt. Allerdings sei das Betreten eines Zimmers in der Erstaufnahmeeinrichtung zum Zweck der Überstellung eines Ausreisepflichtigen keine Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG, gibt LTO den Richter wieder.

Die Kombination aus bloßem Betreten und dem prüfenden Sich-Umsehen reiche nicht für eine Durchsuchung. Einen Bewohner der Erstaufnahmeeinrichtung in dem ihm zugeteilten Zimmer zu vermuten, sei keine Suche nach etwas Verborgenem. Es müssten weitergehende Suchmaßnahmen hinzutreten, um eine Durchsuchung anzunehmen. „Zum Betreten dieses Zimmers war der Polizeivollzugsdienst somit nach § 6 des Landesverwaltungsvollstreckungsgesetzes befugt“, befindet das Gericht.

Verhütung einer dringenden Gefahr?

Das Betreten des Zimmers war nach Ansicht des Gerichtes zudem zur Verhütung einer dringenden Gefahr für die „öffentliche Sicherheit und Ordnung nach Art. 13 Abs. 7 GG erforderlich“, weil der vollziehbar ausreisepflichtige Kläger noch am selben Tag nach Italien zu überstellen war. Das Betreten der Zimmer in der Erstaufnahmeeinrichtung bedurfte somit keines richterlichen Beschlusses.

Auch das Vorgehen Mfouapons gegen die Uhrzeit der Abschiebung verwarf das Gericht. Offenbar fand sie in den Nachtstunden statt.

Eine Abschiebung zur Nachtzeit sei vom Verwaltungsvollstreckungsgesetz des Landes Baden-Württemberg gedeckt, das keine Differenzierung zwischen Tag- und Nachtzeit vornimmt, zitiert LTO das Gericht.

Alassa Mfouapon kündigte laut LTO an, nun vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen.



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