Ex-Corona-Expertenratsmitglied: „Keine Schlussfolgerungen für zukünftige Pandemien“

Der Corona-Expertenrat galt als wichtiges Fachexpertengremium, das die Bundesregierung bei seiner Corona-Politik wissenschaftlich fundiert unterstützte. Über den geladenen Zeugen, den Kinderarzt Prof. Dr. Jörg Dötsch, der Mitglied im Expertenrat war, wollten die Ausschussmitglieder nun erfahren, welche Empfehlungen es zum Umgang mit Kindern und Jugendlichen gab, die nachweislich besonders unter den Corona-Maßnahmen litten.
Titelbild
Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. Jörg Dötsch, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, am 11.03.2024 im Corona-Untersuchungsausschuss im Landtag Brandenburg.Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times
Von 16. März 2024

Als Sachverständiger war Prof. Dr. Jörg Dötsch, ehemaliges Mitglied des Corona-Expertenrates, am 11. März in den brandenburgischen Corona-Untersuchungsausschuss geladen. Kern der Befragung war die Auswirkung der Corona-Politik in Brandenburg auf die Kinder und Jugendlichen.

Das Bundeskanzleramt beauftragte den Corona-Expertenrat, die Bundesregierung „auf Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse zur COVID-19 Pandemie“ zu beraten. Der Rat tagte vom 14. Dezember 2021 bis zum 4. April 2023.

Dötsch war eines von 19 Mitgliedern des Gremiums, von denen ein großer Teil Mediziner waren und welches nicht nur die Bundesregierung, sondern auch – beim Thema Schulen – die Kultusministerkonferenz beriet. Die Kultusministerkonferenz stand im Corona-Jahr 2021 turnusgemäß unter der Leitung der damaligen brandenburgischen Bildungsministerin Britta Ernst, der Ehefrau von Olaf Scholz.

Kinderarzt Dötsch sagte aus, seine Maxime in dem Gremium sei gewesen, bei jeder politischen Maßnahme zu schauen, ob das Wohl von Kindern und Jugendlichen berücksichtigt werde. Dötsch ist auch Direktor der Kinderklinik der Uniklinik Köln und ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin.

Kinder steckten sich in den Ferien stärker an als in der Schulzeit

Ein Kind malt Coronaviren. Foto: coscaron/iStock

Dötsch erklärte, dass man als Expertenrat sehr stark auf Nummer sicher gegangen sei, da man am Anfang nicht wusste, wie infektiös das Virus sei.

Aus Sicht von Dötsch war es „eine ganz wichtige Entscheidung“, Kinder- und Jugendmediziner in den Rat aufzunehmen. „Denn es wurde klar, dass die Situation bei den Kindern und Jugendlichen bei COVID-19 anders ist als bei den Erwachsenen.“ Man dachte anfangs, dass sich Kinder genauso leicht anstecken und erkranken.

Besonders pädagogische Einrichtungen sah man kritisch. In einer Stellungnahme des Corona-Expertenrates vom 17. Februar 2022 zur „prioritären Berücksichtigung des Kindeswohls in der Pandemie“ heißt es, dass Kitas, Schulen und Betreuungseinrichtungen durch die hohe Zahl an Kontakten unmittelbare Infektionsrisiken bergen würden.

Dann kamen Zweifel und man habe gemerkt, dass es nicht so sei. „Bis zu dieser Erkenntnis hat es sehr lange gedauert.“

Entscheidend war dabei offenbar ein Überwachungsmonitoring von Schulkindern in Nordrhein-Westfalen. Dies zeigte bei der Auswertung, dass sich Kinder stärker in den Ferien als in der Schulzeit ansteckten. Für das Monitoring nutzten die Einrichtungen den Lollitest. Mit Lollis wurde dabei Speichel von den Kindern entnommen und dann per PCR-Test untersucht.

Im Laufe der Pandemie sei man zunehmend zu dem Schluss gekommen, dass Kinder und Jugendliche keine Treiber der Pandemie seien, so Dötsch im Ausschuss.

Laut dem Klinikleiter habe sich der Expertenrat intensiv und auch ausführlich mit dem Wohl der Kinder und Jugendlichen auseinandergesetzt.

Kinderarzt sieht „Corona-Angstpapier“ kritisch

Ein gesperrter Spielplatz in Dinslaken, Deutschland. Foto: Lars Baron/Getty Images

Mit den heutigen Kenntnissen hätte er damals „das eine oder andere“ sicherlich im Corona-Expertenrat auf andere Art formuliert. „Da gibt es wahrscheinlich eine Reihe von Beispielen zu finden.“ Konkret nennt er die Intensität des Testens bei Schulkindern, „also die Millionen und Abermillionen von Tests, die man durchführte. Statt dreimal die Woche würde nach heutigem Wissensstand einmal pro Woche reichen, so der Mediziner. Das habe hohe Kosten verursacht, erklärt er nach der Sitzung im Interview mit der Epoch Times.

Das sogenannte Corona-Angstpapier des Bundesinnenministeriums vom März 2020 beurteilt er kritisch. Als Kinder- und Jugendarzt habe er gelernt, dass, wenn man den Menschen ernst nehme und seine Ängste anerkenne, ein partnerschaftliches Behandlungsverhältnis entstehen könne. „Wir müssen Menschen Ängste nehmen und nicht noch zusätzliche Ängste schaffen“, so Dötsch.

In der ersten Phase der Pandemie habe man bei den Corona-Maßnahmen keinen Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen gemacht, obwohl man immer wusste, dass Kinder und Jugendliche eine besondere Bevölkerungsgruppe darstellen. Daher habe man für Kinder auch keine Daten erhoben.

Dann habe man auf den Krankenstationen gesehen, dass nur wenige Kinder dort eintrafen.

STIKO-Entscheidung wurde mitgetragen

Die Entscheidung der Ständigen Impfkommission (STIKO) zur Impfung der gesunden Zwölf- bis 17-Jährigen vom August 2021 habe man als Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin mitgetragen.

Ein Kind wird geimpft. Foto: evgenyatamanenko/iStock

Denn der ethische Grundsatz in der Medizin laute, dass Kinder und Jugendliche nur geimpft werden dürfen, wenn ein Individualnutzen bestehe. „Es gab diesen Individualnutzen, deshalb haben wir das mitgetragen.“

Laut Dötsch habe die STIKO in Bezug auf die damalige Datengrundlage zur Impfungsfreigabe für Kinder die richtige und eine solide Entscheidung getroffen. „Es hat allerdings zu lange gedauert, bis die Entscheidung fiel.“

Mittlerweile empfiehlt die STIKO keine COVID-Impfung für gesunde Minderjährige mehr, da diese unter der Omikron-Variante überwiegend milde oder asymptomatische Krankheitsverläufe zeigen und „potenzielle unerwünschte Ereignisse (wie z.B. Myokarditiden)“ nicht völlig ausgeschlossen werden können.

„Impfen hat die Pandemie besiegt“

Seiner Ansicht nach hätte das Impfen die Pandemie besiegt. Gleichzeitig wand er ein: Die Impfung habe sicherlich nicht die Ausbreitung und letztlich das Virus gestoppt, aber auf jeden Fall einen Schutz für die geimpften Menschen erreicht. Sie habe dazu geführt, dass erwachsene Menschen, die besonders gefährdet waren, durch SARS-CoV-2 wieder Zugang zum alltäglichen Leben fanden.

Auf den Einwand, dass Länder mit niedriger Impfquote gut die Pandemie überstanden hätten, erwähnte er Südafrika. Das Land hätte weniger Impfstoff bekommen, sei aber aufgrund seiner jungen Bevölkerung, die weniger schwer erkrankte, gut durchgekommen.

Kinder in Knysna, Südafrika. Foto: Bernd Kregel

Die jüngere Altersstruktur und die Tatsache, dass die Bevölkerung schon vor SARS-CoV-2 relativ viel Kontakt zu Coronaviren gehabt habe, habe einen gewissen Schutz gebracht, so Dötsch. Die deutsche Gesellschaft sei auf andere Art strukturiert, mit einem hohen Anteil an älteren Menschen. „Diese Unterschiede werden viel zu wenig bei der Aufarbeitung beachtet.“

In Südafrika liegt die „vollständige“ COVID-Impfquote bei 33 bis 35 Prozent.

In Deutschland (Stand: 8. April 2023) gelten 63,6 Millionen Menschen (76,4  Prozent) als „vollständig“ geimpft. 18,4 Millionen Menschen haben sich nicht impfen lassen (22,1  Prozent der Bevölkerung).

„Aussage ist Unsinn“

Das Ausschussmitglied Dr. Daniela Oeynhausen (AfD) hält Dötschs Aussage für „Unsinn“. „Was hat denn tatsächlich die Pandemie besiegt? Omikron!“ Diese Variante sei im ersten Quartal 2022 in Brandenburg einmal durch die Bevölkerung „gefegt“. „Wir hatten Inzidenzen gerade bei den Kindern im vierstelligen Bereich und danach waren 90 Prozent der Bevölkerung mit Antikörpern ausgerüstet und die Pandemie war erledigt.“

Kinder und Jugendliche hätten sich hauptsächlich auf natürliche Weise immunisiert. „Ein Glück, denn eine natürliche Immunisierung schützt am besten, obwohl die Bundesregierung das Gegenteil behauptet“, so die Ärztin.

Die AfD-Landtagsabgeordnete Dr. Daniela Oeynhausen ist Mitglied des bisher bundesweit einzigen Corona-Untersuchungsausschusses im Landtag Brandenburg. Foto: Epoch Times

Kinderarzt Dötsch erklärte sich das manchmal schnelle Erlassen und aber oft zögerliche Wiederaufheben von Corona-Maßnahmen mit dem sogenannten Präventionsparadox. Damals habe man die Bilder aus Bergamo im Kopf gehabt. „Es gab die Situation, dass man sich sorgte, dass ein großer Teil der Bevölkerung die Lage nicht überlebt“, so Dötsch nach der Sitzung.

Später dann, wenn sich die Lage verbessere, gebe es die Sorge, ob die Maßnahme das Schlimme verhindert habe oder die Verbesserung auch so eingetreten wäre. Deshalb taten sich Entscheidungsträger oft mit Lockerungen so schwer.

„Wir hatten damals eine schlechte Datengrundlage“, stellt er fest.

Es sei richtig, dass Wissenschaft sich manchmal Zeit lasse und Entscheidungen gut vorbereite, damit man dann auch noch Jahre danach dazu stehen könne, so der Klinikleiter.

Auf die Frage, ob er die Schulschließungen rückblickend als sinnvoll erachte, erklärte er: „Wir haben keine abschließende Meinung zu den Auswirkungen der Schulschließungen.“

Kritik am Robert Koch-Institut

Oeynhausen fragt sich, warum etwa ein Robert Koch-Institut (RKI) nicht noch mehr Studien initiierte, wenn die Datenlage so schlecht sei. Zeit habe man ausreichend gehabt. „Was wir hier diskutieren, ist, ob ein Behördenversagen vorlag. Den Schwarzen Peter immer irgendeiner Wissenschaft zuzuschieben, ist unredlich.“

„Auch jetzt könnte das RKI viel mehr aufklären, zum Beispiel bei der Übersterblichkeit, die wir schon lange Zeit haben“, findet die Landespolitikerin. Sie frage sich daher, ob hier etwas unter den Teppich gekehrt werden soll.

Das Ausschussmitglied Saskia Ludwig (CDU) sieht dies ähnlich: „Es gab keine vernünftige Datengrundlage, und es ist auch keine vernünftige Datengrundlage erhoben worden, das ist ein ganz großes Manko“, so die CDU-Politikerin nach der Sitzung zu Epoch Times. Trotzdem habe man Maßnahmen erlassen und Entscheidungen getroffen.

Keine Schlussfolgerungen für zukünftige Pandemien?

Für Kinderarzt Dötsch war eine Lehre aus der Corona-Krise, dass egal welche Maßnahme man erlasse, man sich überlege, welche Konsequenzen dies für die Kinder und Jugendlichen habe. „Von Anfang an sollten Experten aus dem Kinder- und Jugendbereich eingebunden sein.“

Im scheinbaren Gegensatz dazu steht seine Aussage, die er bei der Befragung machte: „Schlussfolgerungen für zukünftige Pandemien kann man nicht ziehen, weil man nicht weiß, wie sie genau aussehen werden.“

Die Landtagsabgeordnete Oeynhausen zweifelt die Sinnhaftigkeit dieser Aussage an: „Natürlich muss man aus dieser Pandemie lernen.“ Deswegen gebe es einen Corona-Untersuchungsausschuss und man schaue, was gut und was schlecht gelaufen sei.

Sie könne nicht nachvollziehen, warum man hier so eine „intransparente Aufklärung“ habe und die Regierenden so wenig Konsequenzen aus falschen Entscheidungen ziehen würden.

Der Klinikleiter berichtete, dass es durch die Corona-Krise mehr Verhaltensauffälligkeiten, eine vermehrte Ängstlichkeit und auch zunehmend Einschränkungen des psychischen Wohlbefindens bei Minderjährigen gebe. „Hinzu kommen vermehrt Essstörungen, sowohl im Hinblick auf Untergewicht als auch auf Übergewicht“, so Dötsch.

Der Corona-Untersuchungsausschuss im Brandenburgischen Landtag in Potsdam. Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times

„Corona-Politik ging nur in eine Richtung“

Für Ludwig sei nach der Befragung klar, dass nicht die Experten für Kinder und Jugendliche entschieden haben, sondern größere Gremien, wo auch andere Interessen eine Rolle spielten. Interdisziplinäre Diskussionsrunden seien wichtig, jedoch sollten dabei Fachleute mit kritischer Meinung nicht ausgeschlossen werden. Die Corona-Politik sei oft nur in eine Richtung gegangen und habe andere Meinungen nicht berücksichtigt. „Das hatte harte Konsequenzen, gerade für unsere Kinder und Jugendlichen.“



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