Die größten Tech-Player auf dem WEF: Verliert Europa den Anschluss?

Künstliche Intelligenz ist in Davos allgegenwärtig. Die Big Player der KI-Branche, fast alle aus den USA, sind zum WEF in die Schweiz gekommen und prognostizieren, befürchten, fordern, jubeln, entwarnen und verharmlosen rund um Artificial Intelligence. Quo vadis, KI?
KI hat das Potenzial, die Welt zu verändern. Noch fehlen globale Regeln.
KI hat das Potenzial, die Welt zu verändern. Noch fehlen globale Regeln.Foto: Gian Ehrenzeller/Keystone/dpa
Von 19. Januar 2024

Vergangenes Jahr war ChatGPT der neueste Höhenflug auf dem Weltwirtschaftsforum, doch Künstliche Intelligenz (KI) war für viele noch sehr abstrakt. Vor 14 Monaten ist der ChatBot auf den Markt gekommen, seitdem sind der unmittelbare Nutzen und die Alltagstauglichkeit immer mehr Menschen bewusst geworden. Beim WEF ist KI in diesem Jahr allgegenwärtig.

Grenzenloser Nutzen und unüberschaubare Risiken?

Die Anwendungen scheinen grenzenlos: Von KI-generierter Musik und Bildern, dem schnellen Bauen einer Website, Vorhersagen von Extremwetter bis zur Optimierung von Lieferketten, Logistik und ganzen Analysen von Geschäftsberichten.

Möglicherweise werden bald durch KI viele Berufszweige wegrationalisiert. Auch so manchem Politiker treiben die scheinbar unkontrollierbaren Möglichkeiten von KI Sorgenfalten auf die Stirn. Stichwort: Fake News gerade im Superwahljahr 2024. Auf den Podien in Davos fällt auf: Europäische Firmen müssen aufpassen, dass sie den Anschluss nicht verlieren.

Menschenwürde und menschliches Handeln in Gefahr

Die großen Player der Tech-Branche wie Google, Microsoft, der Facebook-Konzern Meta – sie alle haben in Sachen Künstlicher Intelligenz eine rasante Entwicklung hingelegt. Vor wenigen Wochen ordnete der UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Volker Türk, Künstliche Intelligenz als Gefahr für die Menschenwürde ein.

„Die digitale Transformation hat riesiges Potenzial“, so Türk. „Aber seien wir ehrlich: Von künstlicher Intelligenz bis hin zu Neurotechnologie, Cyberkriminalität, Überwachung und Biowaffen sind wir mit einer Welt konfrontiert, in der die Grundlagen des Menschseins – die Menschenwürde und das menschliche Handeln – in Gefahr sind.“

Die Frage, die man sich in Bezug auf die digitale Transformation stellen müsse, sei: „Wie können wir unsere Menschlichkeit und unsere Rechte in diesem neuen Universum schützen?“

Kein Grund zur KI-Panik?

Für Meta-Topmanager Nick Clegg (President Global Affairs) ist die Zeit der Panikreaktionen vorbei, glücklicherweise: „Ich habe das Gefühl, dass wir in den letzten ein, zwei Jahren ziemlich viel Energie damit verschwendet haben zu spekulieren, ob am nächsten Dienstag die Welt untergeht und ob Roboter mit leuchtend roten Augen die Macht übernehmen.“

Fest steht, dass KI die Welt jetzt schon verändert hat, dass sie Potenzial zu noch rasanteren Entwicklungen in sich birgt.

Doch es fehlen globale Regeln, die einen verantwortungsvollen Einsatz der Technologie garantieren. In naher Zukunft seien diese auch unrealistisch, meint der Technologievorstand der deutschen Softwarefirma SAP, Jürgen Müller. Zu unterschiedlich sind international die Vorstellungen zu Transparenz und Privatsphäre: Während China auf Gesichtserkennung zur Überwachung seiner Bevölkerung setzt, will die EU genau das einschränken.

Europa technologisch im Hintertreffen

In Brüssel hat man sich vor wenigen Wochen auf Regeln für die Nutzung Künstlicher Intelligenz verständigt. Die EU plant angesichts der KI-Gefahren einen sogenannten Artificial Intelligence (AI) Act. Bestimmte Anwendungen sollen verboten werden, wie biometrische Systeme, die die sexuelle Orientierung oder religiöse Überzeugungen verwenden. Auch das ungezielte Auslesen von Bildern aus dem Internet oder von Überwachungsaufnahmen soll nicht erlaubt sein. Durch das Gesetz soll die Bereitstellung und Verwendung von KI durch private und öffentliche Akteure weitreichend reguliert werden.

Das Gesetz sieht unter anderem vor, dass Unternehmen, die sogenannte Generative KI wie ChatGPT entwickeln, verwendetes urheberrechtlich geschütztes Material offenlegen müssen. Der ChatGPT-Anbieter OpenAI hatte angesichts der geplanten Regulierungen der Europäischen Union mit einem möglichen Rückzug aus Europa gedroht. „Der derzeitige Entwurf des EU-KI-Gesetzes wäre eine Überregulierung“, sagte Sam Altman, Chef der Microsoft-Beteiligung OpenAI, letzten Sommer. Im Zweifelsfall wäre das Unternehmen bereit, dem europäischen Markt den Rücken zu kehren.

Manche halten die EU-Vorgaben noch für zu lasch, andere warnen, damit drohe Europa technologisch ins Hintertreffen zu geraten. Kritiker der Regulierungen der neuen Technologien monieren, dass eine zu starke KI-Regulation den technischen Fortschritt und die Innovationskraft behindern.

Tech-Konzerne zu Regulierung von KI: „Erst einmal abwarten“

ChatGPT-Chef Altmann plädierte dafür, dass man abwarten solle, wie sich KI weiter entwickle. Erst danach solle der Staat eingreifen. Doch bis der AI Act der EU nach seiner endgültigen Verabschiedung in Kraft tritt, ist höchstwahrscheinlich das Jahr 2026 erreicht.

Bei Meta ist man ebenfalls skeptisch bezüglich strenger Regulierungen von KI: „Das ist noch sehr viel work in progress“, sagt Meta-Manager Nick Clegg. Er wünscht sich zum Beispiel Vorgaben zur Kennzeichnung von mit KI erstellten Bildern – eine Art verpflichtendes Wasserzeichen, über das Instagram und Facebook manipulierte Fotos identifizieren könnten.

Thema in Davos: Gefahr durch KI im Superwahljahr

Das Weltwirtschaftsforum hat KI in seiner Risikoumfrage als eine der größten Gefahren der nächsten Jahre eingestuft. Da geht es vor allem um Falschinformationen im Superwahljahr mit Urnengängen in den USA, in Großbritannien oder Indien.

Mit Künstlicher Intelligenz könne gefälschtes Material in Windeseile Unmengen von Wählern erreichen, warnt Carolina Klint von der Beratungsfirma Marsh McLennan.

Einen Vorgeschmack hat auch die Bundesregierung schon bekommen: Im November 2023 kursierte ein manipuliertes Video von Olaf Scholz. Dem Bundeskanzler wurde in den Mund gelegt, die Regierung strebe ein Verbot der AfD an. Ein „Opfer“ von Satire wurde der Bundeskanzler auch, als der Video-KI-Satiriker Snicklink ihm mittels KI die Worte einer Neujahrsrede in den Mund legte.

Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, die seit 2020 am Programm des Weltwirtschaftsforums „Young Global Leaders“ teilnimmt, ging sogar gegen einen Twitter-Satirekanal vor, der oft mit KI-erzeugten Bildern und Filmchen unbedarfte Äußerungen der Politikerin zeigte.

Auch das Weltwirtschaftsforum selbst ist bereits von diesen KI-Satire-Attacken betroffen. Gerade geht ein Video des Deep Fake-Künstlers Damon Imami viral, in dem er sich verblüffend echt aussehend und klingend in die blaue Kulisse des WEF „gebeamt“ hat und, von der Realität kaum zu unterscheiden, in Richtung Klaus Schwab und Publikum vom Podium sagt: “Ich danke Ihnen für die Gelegenheit, hier sprechen zu dürfen, um zu sagen: „F*ck dich, Klaus Schwab! Wir, die Menschen, sind frei geboren und wir werden frei bleiben. Und du und deine globalistischen Freunde und alle im Raum, ihr könnt gehen.“ Anzusehen hier.

Desinformation durch KI mit KI bekämpfen

Meta-Manager Clegg hält viele Warnungen für übertrieben. Doch der führende KI-Wissenschaftler des Konzerns, Yann LeCun, räumt auch ein: „Gefährliche Desinformation zu erkennen, ist sehr schwierig. Wir haben nicht die ideale Technologie dafür.“ Laut LeCun erkennt KI allerdings inzwischen 95 Prozent aller „Hass-Posts“ auf Facebook und Instagram – in allen Sprachen.

Und zudem kann man optimistisch sein: Wenn KI für Cyberattacken genutzt werde, könne man mit der gleichen Technologie solche Attacken erkennen und Schwachstellen ausmerzen.

Kassensturz in Davos: Was KI kann – und was (noch) nicht

Künstliche Intelligenz kann weit mehr als Texte schreiben und Informationen zusammensuchen. Microsoft-Chef Satya Nadella berichtet von einem mithilfe von Software konzipierten Material, mit dem man den Lithiumgehalt in Batterien senken könne. Google hat eine KI zur Identifizierung von Genmutationen entwickelt. SAP koordiniert mit KI Lieferketten und hilft beim Erfassen von Quittungen.

Intel-Chef Pat Gelsinger erwartet KI perspektivisch auf allen Plattformen und Geräten. Schon 2028 könnten in 80 Prozent aller Computer Chips verbaut sein, die den Einsatz Künstlicher Intelligenz ermöglichten.

Doch Wissenschaftler LeCun betont auch deutlich, was KI-Anwendungen noch nicht können: „Anders als manche behaupten, haben wir noch kein System, das die menschliche Intelligenz erreichen würde.“ KI könne sich noch nicht erinnern, nicht nachdenken und planen, die Welt nicht verstehen. Daran könnten auch größere Datenmengen und Computer nichts ändern, nötig seien noch unbekannte wissenschaftliche Durchbrüche. „Und das wird nicht schnell passieren, sondern Jahre, wenn nicht Jahrzehnte brauchen.“

Von der Intelligenz eines Menschen sei KI noch weit entfernt – und das müsse man auch bei der Regulierung berücksichtigen. „Jetzt aus Angst vor übermenschlicher Intelligenz Regulierung zu fordern, ist wie im Jahr 1925 die Regulierung von Turbojets zu verlangen“, argumentiert LeCun. „Der Turbojet war 1925 noch nicht erfunden.“

Chat GPT-Chef: „KI sollte besser keine lebenswichtigen Entscheidungen treffen“

KI sei, so Sam Altman, Chef von OpenAI, “gut in einigen Dingen, aber nicht gut in einer Situation, in der es um Leben und Tod geht“. Der Mensch wird weiterhin entscheiden, „was in der Welt passieren soll“, unabhängig vom Aufstieg der Künstlichen Intelligenz.

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Auf dem gleichen Podium wie Altman sagte – ebenso optimistisch –  der CEO von Salesforce, Marc Benioff, dass die KI den Menschen nicht ersetzen, sondern eher ergänzen werde. „Natürlich werden sich Jobs verändern, natürlich werden manche Jobs komplett verschwinden“, räumte Sam Altmann ein.

Last but not least: Auch Bill Gates meldet sich zu Wort

In einem aktuellen Bericht prognostizierte der Internationale Währungsfonds, dass KI fast 40 Prozent der Arbeitsplätze weltweit betreffen wird, „einige ersetzen und andere ergänzen“, aber möglicherweise die Einkommensungleichheit insgesamt verschärfen wird.

OpenAI hat eine Multimilliarden-Dollar-Partnerschaft mit Microsoft. Bill Gates, einer der größten Aktionäre von Microsoft, hält KI für den größten Produktivitätsfortschritt unseres Lebens. „Es ist so dramatisch, wie sie die Produktivität der Angestellten verbessert“, sagte Gates, als er Redezeit hatte bei „Bloomberg“ am Rande des WEF. „Die Welt wird reicher sein, weniger arbeiten und mehr haben.“

Europa „hinten dran“ bei Künstlicher Intelligenz

Google, Microsoft, Meta, Intel und natürlich ChatGPT – nur die Europäer, die sind auf den KI-Panels des Weltwirtschaftsforums kaum vertreten. „Die Hauptentwicklungen finden statt in den USA, in China und dann kommt erst mal lange nichts“, räumt SAP-Vorstand Müller ein. In der Grundlagenforschung sei Deutschland zwar oft exzellent – weniger aber, wenn es um die Kommerzialisierung von Technologie gehe.

Einer im „Handelsblatt“ zitierten Studie der Unternehmensberatung McKinsey zufolge gibt es 35 größere KI-Firmen in den USA, ganze drei fanden die Forscher in Europa. Groß sei das Missverhältnis auch bei den Investitionen: Europa steckte demnach im vergangenen Jahr 1,7 Milliarden Dollar in die Zukunftsbranche, die USA 23 Milliarden.

( Mit Material von dpa)



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