Rollt 2024 die nächste Pleitewelle durch Deutschland? Was Ökonomen dazu sagen

Die Entwicklung der Unternehmensinsolvenzen in Deutschland zeigt eine klare Trendwende. Nachdem während der Corona-Pandemie umfangreiche Hilfsprogramme die Unternehmenspleiten auf historische Tiefstände gedrückt hatten, rechnen Experten nun mit einer Insolvenzwelle bei deutschen Unternehmen. Werden neben hohen Energiepreisen und Zinsen jetzt auch die Corona-Hilfen zum Pleite-Bumerang?
«Wir schliessen. Alles muss raus» an der Tür eines Geschäfts. - Der Kreditversicherer Allianz Trade erwartet in Folge der jüngsten Turbulenzen am Bankenmarkt im laufenden Jahr mehr Firmenpleiten.
Trendwende in Deutschland nach Pandemie, steigende Pleite-Zahlen für das zweite Jahr in Folge prognostiziert.Foto: Martin Schutt/dpa-Zentralbild/dpa
Von 9. Januar 2024

Die Unternehmensinsolvenzen in Deutschland sind 2023 um fast ein Viertel gestiegen, und ein Ende des Trends ist auch für dieses Jahr nicht abzusehen. Creditreform verzeichnet nun schon das zweite Jahr in Folge eine ansteigende Pleitewelle. Im Vergleich zum Jahr 2022 wurde für das vergangene Jahr ein Anstieg der Insolvenzen um fast ein Viertel ausgewiesen. Dieser Trend werde sich aber 2024 noch verschärfen, so die Prognose.

„Pleitewelle rollt durch Deutschland“

Im Oktober 2023 titelte der „Merkur“: „Eine Insolvenz nach der nächsten: Pleitewelle rollt durch Deutschland“ und zählte einige der bekannten Pleitegeier-Unternehmen 2023 auf: darunter der Schuhriese Reno oder auch Peek & Cloppenburg. Zum Jahresende machte dann noch die Insolvenz der Signa-Gruppe, Konzernmutter der Kaufhauskette Galeria Karstadt Kaufhof, Schlagzeilen. Damit ist das Ende der Fahnenstange noch lange nicht erreicht: „Wir dürften 2024 über 30 Prozent mehr Insolvenzen sehen“, so Jonas Eckhardt über die Prognosen nach Ergebnissen einer Untersuchung von Restrukturierungsberatung Falkensteg.

Viel zitiert auch in diesem Zusammenhang der Auftritt des grünen Wirtschaftsministers Robert Habeck in der ARD-Talkshow „Maischberger“ Mitte vergangenen Jahres, wo er mit seiner Antwort auf die Frage, ob er wegen der Teuerungen im Winter eine Insolvenzwelle fürchte, für Aufruhr in den sozialen Medien sorgte: „Nein, tu’ ich nicht. Ich kann mir vorstellen, dass bestimmte Branchen einfach erst mal aufhören, zu produzieren und zu verkaufen“, so der Vizekanzler.

Bestimmte Branchen haben aufgehört, zu produzieren

„Aufgehört zu verkaufen und zu produzieren“ haben 2023 immer mehr Unternehmen. Hier die aktuellen Zahlen: Im vergangenen Jahr stieg die Anzahl der Unternehmensinsolvenzen um deutliche 23,5 Prozent auf 18.100 Fälle. Im Jahr 2022 wurden noch 14.660 Fälle verzeichnet. Als Prognose für 2024 bestätigt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung: „Die Zahl der Insolvenzen wird bei diesen schwierigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen auch in den kommenden Monaten deutlich ansteigen.“ Die Sondereffekte aus der Corona-Zeit seien weitgehend verpufft.

Eine Untersuchung der Creditreform Wirtschaftsforschung belegte eine massiv gestiegene Anzahl an Insolvenzen von mittleren und großen Unternehmen. Bei Großunternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern lagen die Fallzahlen um 50 Prozent über dem Vorjahreswert. Bei Unternehmen mittlerer Größe mit 51 bis 250 Beschäftigten stiegen die Insolvenzen sogar um rund 76 Prozent, bei kleinen Unternehmen mit bis zu zehn Beschäftigten um knapp 19 Prozent. Dadurch sind schätzungsweise 205.000 Arbeitsplätze weggefallen. Zum Vergleich: Im Jahr 2022 waren es 175.000.

Ganz vorn bei Firmen-Pleiten sind aktuell Unternehmen mit der Rechtsform GmbH. Deren Anteil am gesamten Insolvenzgeschehen stieg gegenüber dem Vorjahr von 39,0 auf 42,4 Prozent. Dieser Trend passt zum deutlichen Anstieg der Insolvenzen im mittleren Größensegment. Etwas niedriger als im Vorjahr war der Anteil der UG (haftungsbeschränkt). 10,7 Prozent aller Insolvenzfälle firmierten als Unternehmergesellschaft, im Vorjahr waren es noch 11,3 Prozent.

Keine Insolvenzwelle, sondern Normalisierung

Laut Creditreform handle sich hier aber um keine „Insolvenzwelle“, sondern um eine „Normalisierung“ von Insolvenzen. Damit sei endgültig das Ende des paradoxen Insolvenzgeschehens der Corona-Jahre markiert.

Während also die Zahl der Firmeninsolvenzen bis Ende 2023 stetig gestiegen ist, sind zum 1. Januar 2024 einige befristete Sonderregelungen im Insolvenzrecht ausgelaufen. Zum Jahresbeginn sind wieder die alten Regelungen zur Insolvenzantragspflicht in Kraft getreten. Im Zuge der Corona-Pandemie wurden seit 2020 umfassende Lockerungen im Insolvenzrecht eingeführt. Dazu gehörte das Aussetzen der Insolvenzantragspflicht, nach offizieller Lesart, um Unternehmen in dieser schwierigen Zeit zu unterstützen.

Corona-Schonfrist vorbei: 2024 ohne Sonderregelungen

Zum Jahreswechsel 2024 treten jetzt zwei Änderungen im Insolvenzrecht in Kraft, die zusätzliche Auswirkungen auf das zukünftige Insolvenzgeschehen haben könnten.

Sechswochenfrist für Überschuldung

Ab dem Jahr 2024 wird die Frist für die Anmeldung einer Insolvenz wegen Überschuldung, die im Rahmen des dritten Corona-Entlastungspaketes auf acht Wochen verlängert worden war, wieder auf sechs Wochen verkürzt. Diese verlängerte Insolvenzantragsfrist galt ausschließlich für überschuldete Unternehmen, die dennoch zahlungsfähig waren. Bei Zahlungsunfähigkeit lag die Antragsfrist unverändert bei drei Wochen.

Verlängerte Fortführungsprognose

Ab 2024 gilt auch wieder die Fortführungsprognose von zwölf Monaten. Während der Pandemie wurde der Prognose-Zeitraum auf vier Monate reduziert. Das bedeutet, dass überschuldete Unternehmen Insolvenz anmelden müssen, wenn sie voraussichtlich innerhalb der nächsten zwölf Monate zahlungsunfähig werden.

Corona-Hilfen nicht als Rettung, sondern als Pleite-Verzögerer

Aber nicht nur die großzügige Handhabung bzw. die Aussetzung solcher Fristen, auch die „Staatsgelder der Vergangenheit werden zum Insolvenz-Bumerang“, wie das „Handelsblatt“ schreibt. Der Staat habe während der Pandemie viele Pleiten durch Milliardenzahlungen verhindert. Nun zeige sich; der Großteil der Insolvenzen wurde dadurch nur verzögert.

Ob ein Unternehmen diese staatlichen Unterstützungen erhalten hat, wurde unter Berücksichtigung von vier Kriterien entschieden. Es ging um die „Bedeutung des Unternehmens für die Wirtschaft Deutschlands“, um „die Dringlichkeit“, um die „Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt“ und um den „Wettbewerb und den Grundsatz des möglichst sparsamen und wirtschaftlichen Einsatzes der Mittel“.

Konkret bedeutete das, dass mit den Geldern aus dem Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) keine Unternehmen finanziert werden sollten, die sich nur noch dank dieser Staatshilfen vor der Insolvenz hätten retten können. Zudem wurde zur Bewilligung der Mittel eine „klare, eigenständige Fortführungsperspektive nach Überwindung der Pandemie“ verlangt. Es musste also gute Aussichten geben, dass ein Unternehmen auch nach der Pandemie noch erfolgreich sein kann.

Insgesamt standen im Rahmen des WSF 250 Milliarden Euro an Staatshilfen für deutsche Großunternehmen zur Verfügung, um die Pandemiefolgen abzufedern.

Insolvenzschock Ergebnis von Nachholeffekten

Für viele Betriebe werden die Staatshilfen der Vergangenheit jetzt zum Insolvenz-Bumerang. Denn der jetzige Insolvenzschock sei das Ergebnis von Nachholeffekten: Milliardenschwere Staatshilfen und die zeitweise Aussetzung der Insolvenzanmeldepflicht hat die Pleiten nicht verhindert – sie wurden nur verzögert.

„So stellt sich erneut die Frage, wie nützlich staatliche Hilfen für Unternehmen in Krisenzeiten wirklich sind“, kommentiert das Wirtschaftsmagazin. In vielen Fällen sei das Kalkül nicht aufgegangen, weil sich Firmen auf den staatlichen Zahlungen ausgeruht haben, ohne ihr Geschäftsmodell anzupassen. Eine steigende Zinslast und noch zurückhaltender einkaufende Verbraucher haben angeschlagenen Unternehmen nun den Rest gegeben.

Damit nicht genug: Hohe Kostenbelastungen und die Rezession haben das Insolvenzgeschehen in Deutschland zusätzlich befeuert, erläutert Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. „Immer mehr Firmen brechen unter den Dauerbelastungen der hohen Energiepreise und der Zinswende zusammen.“



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