Zahlenspiel enttarnt: „Erneuerbare Energie deckten 56 Prozent des Stromverbrauchs“

Der Energiewirtschaftsverband BDEW sieht Deutschland auf einem „guten Weg“. Im ersten Quartal 2024 hätten Erneuerbare demnach erneut mehr als die Hälfte des benötigten Stroms geliefert. Bei genauerer Betrachtung entpuppt sich diese Behauptung als irreführende Zahlenspielerei, wie selbst der Verband im Kleingedruckten andeutet. Eine Analyse.
Erneuerbare Energien sollen immer mehr des verbrauchten Stroms liefern. Die Realität ist weitaus komplizierter.
Erneuerbare Energien sollen immer mehr des verbrauchten Stroms liefern. Die Realität ist weitaus komplizierter.Foto: Tom Weller/dpa
Von 26. April 2024

„Erneuerbare Energien haben im ersten Quartal 2024 rund 56 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland gedeckt“, verkündete die Nachrichtenagentur dpa am Freitag, 26. April. Sie beruft sich dabei auf Hochrechnungen des Zentrums für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung Baden-Württemberg (ZSW) und des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW).

Insgesamt hätten Erneuerbare „von Januar bis März rund 75,9 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt“, so die Agentur. Das seien rund neun Prozent mehr als im ersten Quartal 2023. Konkret entfielen allein auf Windenergieanlagen an Land 39,4 Milliarden Kilowattstunden (kWh).

Der Stromertrag aus Wasserkraftanlagen stieg um 27 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. „Auch die Wasserkraft trug in den vergangenen Monaten mit 5,3 Milliarden Kilowattstunden Strom für ihre Verhältnisse überdurchschnittlich stark zur Stromerzeugung bei“, so der BDEW.

„Die zuletzt stetig steigenden Erneuerbaren-Anteile am Stromverbrauch zeigen, dass wir auf einem guten Weg sind“, erklärte die Vorsitzende der BDEW-Hauptgeschäftsführung, Kerstin Andreae.

Der Ausbau erneuerbarer Energien habe zuletzt deutlich zugelegt. „Das schlägt sich jetzt in der Stromerzeugung nieder.“ Klar sei aber auch, dass man für das Erreichen der Klimaziele „noch eine Schippe drauflegen“ müsse.

Verbrauch oder Erzeugung?

Im ersten Quartal 2024 lag die Bruttostromerzeugung bei 136,5 Milliarden kWh, sodass sich bilanziell für alle Erneuerbaren ein Anteil von 55,6 Prozent ergibt. Unter Berücksichtigung von Im- und Exporten errechnete der BDEW außerdem den „Anteil Erneuerbare bezogen auf den Bruttoinlandsstromverbrauch“. Für das erste Quartal 2024 beträgt dieser 55,8 Prozent. Beide Aussage sind irreführend.

Der BDEW vergleicht in seinem Aufmacher allerdings zwei praktisch unabhängige Größen: Wie viel Strom die Erneuerbaren in einem bestimmten Zeitraum lieferten und wie viel Strom die Deutschen in diesem Zeitraum verbraucht haben. Da Strom jedoch ein Gleichzeitigkeitsgeschäft ist – Angebot und Nachfrage müssen sich in jeder Sekunde die Waage halten –, ist die Betrachtung von Summen nutzlos.

Zudem ist die Bruttostromerzeugung – die Summe des hierzulande erzeugten Stroms – nur bedingt mit dem Verbrauch gleichzusetzen. Mit Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke im April 2023 ist Deutschland zum Stromimporteur geworden, sodass seither der Verbrauch regelmäßig die einheimische Produktion übersteigt.

Ausländische Kraftwerke fallen indes nicht in die deutsche Stromstatistik. Werden deutsche Kraftwerke abgeschaltet und durch Lieferungen aus dem Ausland ersetzt, erhöht sich rechnerisch der Anteil der Erneuerbaren. Mit anderen Worten, ausländischer Kohlestrom ist weniger schädlich als deutscher Kohlestrom.

Dazu schreibt das BDEW in einer Anlage 3 seiner Pressemitteilung: „EE-Stromerzeugung bleibt bei der Verbrauchsbetrachtung gleich, da EE-Strom in Deutschland über das EEG gefördert wird und bilanziell in Deutschland verbleibt, beziehungsweise die ‚grüne Eigenschaft‘ verbleibt in Deutschland.“ Mit anderen Worten, wenn Strom ins Ausland fließt, bleibt der grüne Schein zurück – und kann später auf importierten Strom gelegt werden.

Erneuerbare in Summe schöngerechnet

Die Angabe „so und so viel Prozent Erneuerbare“ kann somit in Wirklichkeit nichts darüber aussagen, wie viel erneuerbarer Strom verbraucht wurde. Dies verdeutlichen zwei Rechenbeispiele:

  1. Im Januar und Februar benötigt der „Stromkunde Deutschland“ 100 Einheiten Strom für eine Fabrik, im März aufgrund von Betriebsurlaub hingegen keinen. Weil zu diesem Zeitpunkt die Erneuerbaren nicht liefern können, wird der Strom importiert. Die Erneuerbaren produzieren dafür im März 56 Einheiten Strom, die in Ermangelung der deutschen Stromnachfrage exportiert werden.
  2. Der „Stromkunde Deutschland“ verbraucht jede Nacht zehn Einheiten Strom, beispielsweise für Beleuchtung. Die Solarzellen der Energieerzeuger liefern indes nur tagsüber Strom, und zwar 5,6 Einheiten. Ohne Speicher muss der Stromkunde wiederum auf Importe zurückgreifen und der Energieerzeuger seine gesamte Produktion exportieren.

Über das gesamte Quartal gerechnet, ergibt sich in beiden Fällen ein Deckungsgrad von 56 Prozent. Tatsächlich hat der „Stromkunde Deutschland“ aber jeweils 100 Prozent konventionellen Importstrom verbraucht und die Energieerzeuger 100 Prozent „erneuerbaren Strom“ exportiert. Aufgrund des Vergleichs 56 Prozent des verbrauchten Stroms als „grün“ zu bezeichnen, ist eine irreführende Zahlenspielerei.

Dass diese Art der Berechnung einen Haken haben muss, wird in einem weiteren Beispiel deutlich:

Angenommen, die Erneuerbaren würden wie im ersten Beispiel im März nicht 56, sondern 200 Einheiten Strom erzeugen, dann ergibt die Summenbetrachtung ein Deckungsgrad von 200 Prozent. Auch dann, wenn von diesem „grünen Strom“ keine einzige Einheit in Deutschland verbraucht werden kann.

Dunkelziffer unbekannt

Die Realität ist aufgrund der Vielzahl der Verbraucher und möglichen Energiequellen deutlich komplexer, sodass mit Sicherheit ein Teil des erneuerbaren Stroms direkt verbraucht werden kann.

Fakt ist jedoch auch, dass es bis heute keine nennenswerten Speicher gibt. So können alle vorhandenen Pumpspeicherkraftwerke Deutschland nur für etwa 30 bis 60 Minuten mit Elektrizität versorgen. Die Überlegung, Batterien von E-Autos als Stromspeicher für das Netz zu verwenden, scheitert bislang an der technischen Umsetzung.

Damit ist es unmöglich, den überschüssigen erneuerbaren Strom „aufzubewahren“ und es kann lediglich so viel erneuerbarer Strom verbraucht werden, wie in dem jeweiligen Moment im Strommix vorhanden ist. Weil konventionelle Kraftwerke benötigt werden, um das Stromnetz zu stabilisieren, können niemals 100 Prozent Erneuerbare im Netz sein. Damit ist es ebenso unmöglich, 100 Prozent Erneuerbare zu verbrauchen.

Eine realitätsnahe Aussage, wie viel erneuerbarer Strom in Deutschland verbraucht wurde, ist damit nur unter Berücksichtigung des Deckungsgrads für jeden Zeitpunkt erhältlich. Bei Betrachtung in Sekundenschritten sind das für das erste Quartal 2024 knapp acht Millionen Werte.



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