Habeck schaltet „überflüssige“ Kraftwerke ab – so abhängig ist Deutschland von Stromimporten

Erst Kernkraftwerke, jetzt Kohlekraftwerke. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) hält die Energieversorgung in Deutschland für unabhängiger als vor der Krise. Auch nach der Abschaltung mehrerer Kraftwerke Ende März sei die Versorgung gesichert. Die Daten sprechen eine andere Sprache.
Viele Kraftwerke in Deutschland stehen trotz unsicherer Energieversorgung vor dem Aus.
Das Kohlekraftwerk Neurath am 25. März 2024 in der Nähe von Grevenbroich, Nordrhein-Westfalen.Foto: Andreas Rentz/Getty Images
Von 2. April 2024

Am Montag, 1. April, erklärte Vizekanzler Robert Habeck (Grüne), dass „mehrere Kohlekraftwerke, die während der letzten zwei Jahre vorsorglich noch am Netz waren, […] nun überflüssig [sind]“. Diese Kraftwerke „können endgültig vom Netz“, so der Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz.

Angesichts von aktuellen Erzeugungsdaten, die das Fraunhofer ISE mehrmals täglich veröffentlicht, scheint dies fraglich: Tags zuvor, am 31. März, musste Deutschland sowohl am Morgen als auch am Abend bis zu 18 Gigawatt (GW) Strom aus dem Ausland dazukaufen. Am 30. März wurden Kraftwerke mit einer installierten Leistung von 3,1 GW „endgültig“ abgeschaltet. Aber auch am Abend des 27.3. klaffte eine Lücke von etwa 18 GW zwischen Stromerzeugung und -verbrauch in Deutschland.

Deutschland hat (k)ein Stromproblem?

Besonders prekär erscheint der Versorgungsengpass im zeitlichen Kontext: Der 31. März war Ostersonntag, sodass die Stromnachfrage aus der Industrie minimal war. Dennoch mussten die Energieversorger fast 50 Prozent der benötigten Energie über den Import decken.

Konkret stellten die deutschen Kraftwerke in der Nacht zum Ostersonntag um 01:30 Uhr 21,2 Gigawatt (GW) Leistung bereit. Dem gegenüber stand ein Verbrauch beziehungsweise eine „Last“ von 39,6 GW. Daraus ergibt sich, dass 18,4 GW elektrische Leistung aus dem Ausland zugekauft werden musste. Das entspricht 46,5 Prozent der Last.

Kraftwerke in Deutschland können die deutsche Stromerzeugung nicht mehr zu jeder Zeit in ausreichendem Umfang sicherstellen.

Stromerzeugung und -verbrauch in Deutschland Ende März 2024. Zum Vergrößern klicken, öffnet in neuem Tab. Foto: Bildschirmfoto/energy-charts.info/Fraunhofer ISE

Mit knapp 40 GW lag der Verbrauch aufgrund der Osterfeiertage jedoch außergewöhnlich niedrig. Exakt ein Jahr zuvor, am Morgen des 31. März 2023 um 01:30 Uhr, ein Freitag, benötigten die deutschen Verbraucher 46,1 GW Strom. An einem durchschnittlichen Wochentag im März 2024 betrug die Last um die Mittagszeit etwa 65 GW.

Bei ähnlich geringer einheimischer Stromerzeugung hätte Deutschland an jedem anderen Tag somit bis über die Hälfte seines Stroms aus dem Ausland beziehen müssen, sofern die grenzüberschreitenden Leitungen dies stemmen können. Andernfalls geht hierzulande – und möglicherweise europaweit – das Licht aus.

Mehr Solaranlagen liefern nachts auch keinen Strom

Wie Habeck ebenfalls am Montag erklärte, stamme der Strom durch den Ausbau erneuerbarer Energien „mittlerweile mehrheitlich aus sauberen, klimafreundlichen Quellen“. Die Daten des Fraunhofer-Instituts zeichnen auch hier ein vollkommen anderes Bild: Von den in der Nacht zum Ostersonntag benötigten 40 GW stammten knapp ein Drittel von den Erneuerbaren, wobei Biomasse und Wasserkraft überwogen. Weitere zehn GW kamen aus einheimischen „Fossilen“ und mehr als 18 GW aus dem Ausland.

Während Solaranlagen erwartungsgemäß keine Stromerzeugung aufweisen konnten, lieferten die Windkraftwerke etwa 5,5 GW. Das sind ungefähr acht Prozent der bisher installierten Windleistung.

Zusammen kommen Laufwasser und Pumpspeicher, Biomasse, Wind und Solar auf derzeit knapp 180 GW installierte Leistung, wovon am Ostersonntag am Mittag fast 41 GW zur Verfügung standen – ohne Solar wären es tagsüber bis unter zehn GW gewesen.

Da zu jenem nächtlichen Zeitpunkt Biomasse- und Wasserkraftwerke mit sieben GW mehr als die Hälfte der erneuerbaren Stromerzeugung ausmachten, fällt die Auslastung der politisch bevorzugten und stark auszubauenden Energieträger Sonne und Wind entsprechend niedrig aus. Das verdeutlicht die Notwendigkeit einer wetterunabhängigen, zuverlässigen Stromerzeugung.

Ende März mehrere Kraftwerke stillgelegt

Ganz im Gegensatz dazu sind zum Monatswechsel in Deutschland mehrere Kohlekraftwerke endgültig stillgelegt worden. Im Rheinischen Revier sowie in Brandenburg wurden insgesamt sieben Braunkohle-Kraftwerksblöcke abgeschaltet, wie die Energieunternehmen RWE sowie LEAG am Ostersonntag bestätigten.

Außerdem seien acht mittlere und kleinere Steinkohleanlagen endgültig vom Netz gegangen, hieß es am Montag vom Wirtschaftsministerium unter Berufung auf Angaben der Bundesnetzagentur.

Die Stilllegung der Kraftwerke war schon früher geplant gewesen. Das Ministerium ließ mehrere Blöcke von Kohlekraftwerken länger laufen als ursprünglich vorgesehen oder holte sie aus der Reserve, um sie für die Stromerzeugung zu nutzen und Erdgas zu sparen.

Im Rahmen weiterer Kraftwerksabschaltungen ist die deutsche Stromversorgung bis auf Weiteres den Launen der Natur ausgesetzt – und den Kapazitäten der Nachbarstaaten.

Ausländische Kraftwerke fallen ihrerseits nicht in die deutschen Stromerzeugungsstatistiken, sodass der Import von Kohlestrom nicht den Anteil der Erneuerbaren senkt. Im Gegenteil: Werden „dreckige“ deutsche Kraftwerke abgeschaltet und der Strom aus ebensolchen Kraftwerken im Ausland importiert, steigt rechnerisch der Anteil der Erneuerbaren an der innerdeutschen Stromerzeugung sogar.



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