Söder-Regierung mauert: „Kein Anlass“, Corona-Dokumente herauszugeben

Die bayerische Staatsregierung wehrt sich weiter dagegen, Akten aus der Corona-Zeit offenzulegen. Das Landesgesundheitsministerium beharrt auf seinem Standpunkt, dass die Maßnahmen auch Kindern und Jugendlichen gegenüber „angemessen und verhältnismäßig“ gewesen seien.
Kritisiert die Bundestags-Pläne der Ampel scharf: Bayerns Ministerpräsident Markus Söder.
Markus Söder (CSU), Bayerns Ministerpräsident. Er galt zu Corona-Zeiten als einer der strengsten Verfechter des „Teams Vorsicht“.Foto: Peter Kneffel/dpa
Von 22. April 2024

Trotz der nicht versiegenden Rufe nach einer Aufarbeitung der Corona-Jahre sieht die bayerische Staatsregierung offenbar „keinen Anlass“, eigene Dokumente herauszurücken, die mehr Klarheit über die Hintergründe verschaffen könnten. In Bayern hat eine Koalition aus Christsozialen und Freien Wählern unter Ministerpräsident Markus Söder (CSU) das Sagen.

Nach Informationen des „Bayerischen Rundfunks“ (BR) hatte das Landesgesundheitsministerium von Judith Gerlach (CSU) in einem Antwortschreiben an die oppositionelle SPD-Landtagsfraktion argumentiert, dass „der Schutz von Leib und Leben an oberster Stelle“ gestanden habe: „Daher waren aus damaliger Sicht auch die Kita- und Schulschließungen bzw. der Wechselunterricht an den Schulen angemessen und verhältnismäßig.“

Immerhin, so ein namentlich nicht genannten Sprecher des Ministeriums nach BR-Angaben, sei die „Corona-Pandemie […] eine bis zu diesem Zeitpunkt nie dagewesene Herausforderung“ gewesen. Auch das Bundesverfassungsgericht habe die Maßnahmen aus der Münchener Staatskanzlei nicht beanstandet, habe der Sprecher betont.

SPD-Fraktionschef bat um Akteneinsicht – im Interesse der Kinder

Wenige Tage zuvor hatte Florian von Brunn, der Vorsitzende der SPD-Fraktion im bayerischen Landtag, die Staatsregierung gebeten, jene „Protokolle und Unterlagen zu Corona“ offenzulegen, die „aus dem Kabinett, aus dem Gesundheitsministerium und aus Behörden wie dem Landesamt für Gesundheit“ vorlägen. In einer Pressemitteilung der SPD-Fraktion heißt es zur Begründung: „Es ist wichtig für unsere Gesellschaft, über Corona in vernünftiger und einfühlender Weise nachzudenken.“

Schließlich habe auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) „die langen Schulschließungen im Nachhinein für einen Fehler“ gehalten – und sei nun seinerseits offen gegenüber einer „Aufarbeitung der Corona-Maßnahmen“, „um daraus zu lernen“, argumentierte von Brunn nach BR-Informationen.

Im Einklang mit Lauterbach verwies von Brunn darauf, dass es „Transparenz“ bedürfe, um die gesellschaftlichen Gräben zu überwinden. Immerhin hätten gerade die Kita- und Schulschließungen, „die Familien und vor allem die Kinder sehr stark belastet“. Viele Kinder und Jugendliche würden noch immer unter psychischen Problemen leiden. Angesichts dessen halte er es für „nicht gut“, „jetzt zu sagen, dass die Schließungen in dieser Form völlig richtig waren“:

Dass die Regierung Söder sich jetzt weigert, die Akten zu öffnen und alle Maßnahmen immer noch für richtig erklärt, ist da unverständlich.“

Auch von Brunn lehnt Rechenschaftspflicht ab

Trotz der Differenzen um die Offenlegung von Dokumenten habe von Brunn aber auch Verständnis für den Standpunkt der bayerischen Regierung geäußert: Es sei klar, dass „niemand von den damaligen Entscheidungsträgern […] der Bevölkerung“ habe schaden wollen, so der Sozialdemokrat laut BR, „sondern die Menschen sollten geschützt werden“.

Einig sind sich der SPD-Oppositionelle von Brunn und die bayerische Landesregierung also offenbar, dass es nicht um eine Rechenschaftspflicht einzelner Verantwortlicher, sondern nur um künftige Verbesserungen gehen soll. So habe von Brunn angesichts des Anstiegs der psychischen Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen gemahnt:

Da müssen wir doch drüber reden, damit wir auch fürs nächste Mal wissen: Welche Fehler sind gemacht worden? Was kann man besser machen? Wie kann man das Kindeswohl mehr beachten?“

„Rückblickende Schuldzuweisungen verkennen die damalige Situation“

Das bayerische Gesundheitsministerium will die Vergangenheit offenbar ebenfalls am liebsten loslassen: „Rückblickende Schuldzuweisungen verkennen die damalige Situation völlig“, zitiert der BR den Sprecher des Ministeriums. Dieser habe von Brunn insofern zugestimmt, als „bei Infektionsgeschehen“ künftig „verstärkt auf jedwede Belastungen für Kinder zu achten“ sei, „etwa wenn es um Kita- und Schulschließungen“ gehe.

Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) hatte nach Informationen des BR Anfang April 2024 während einer von der AfD-Fraktion initiierten Aktuellen Stunde im Münchener Landtag klargestellt, dass es „in erster Linie Aufgabe der Wissenschaft“, nicht aber der „Politik“ sei, jetzt „so etwas wie eine Pandemie aufzuarbeiten“. Es gelte, eine „politische Instrumentalisierung“ zu verhindern. Denn unter jenen, die nun eine politische Aufarbeitung forderten, seien viele, die „ihr Urteil schon längst gefällt“ hätten, zitiert der BR Herrmann.

Der Freisinger Christsoziale hatte sich schon ganz zu Beginn der Krise unter anderem für allgemeine Kontakt- und Ausgangsbeschränkungen und das Verschieben von Operationen starkgemacht.

Lauterbach verspricht „maximale Transparenz“

Ähnlich wie Herrmann jetzt hatte auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach noch vor wenigen Wochen in einem „Welt“-Artikel geklungen, kurz nachdem die „RKI-Files“ vom „Multipolar Magazin“ veröffentlicht worden waren: Eine weitere Aufarbeitung würde „bestimmten Gruppen“ in die Hände spielen. Wenige Tage später aber versprach der BMG-Minister in einem Interview mit dem „Deutschlandfunk“ (DLF) „maximale Transparenz“: Er werde eine „weitestgehend ungeschwärzte“ Version der Protokolle des RKI-Krisenstabs zur Verfügung stellen lassen (Audio auf DLF).

Nach Lauterbachs Worten könnten die Papiere noch im April vorliegen. Schon die bisher vorliegende Fassung bestätigt den Verdacht, dass die Bundes- und Landesregierungen sich bei ihren Gesetzen und Verordnungen häufig über die Lageeinschätzung aus dem RKI-Krisenstab hinweggesetzt hatte. Im Zeitraum, aus dem die bisher vorliegenden Protokolle stammen, nämlich Januar 2020 bis April 2021, war Jens Spahn (CDU) Gesundheitsminister, Angela Merkel (CDU) Kanzlerin.

Die in großen Teilen geschwärzte Fassung der RKI-Files ist in einer einzigen 355-MB-PDF-Datei unter anderem auf Telegram und auf der Website von Bastian Barucker abrufbar. Das „Multipolar-Magazin“ stellte sie auch in einzelnen Tagesprotokollen auf der Plattform „HiDrive“ zum Herunterladen zur Verfügung. Auf „HiDrive“ sind auch die Stellungnahmen der Anwaltskanzlei Raue zu den Schwärzungen einsehbar. Raue vertritt die Interessen des RKI.

SPD: Enquete-Kommission und Bürgerrat sollen’s richten

Schon im Laufe der Woche wollen die Bundestagsfraktionsspitzen über eine Enquete-Kommission und einen Bürgerrat zur Corona-Aufarbeitung beraten. Entsprechende Signale hatte es kürzlich aus allen drei Fraktionen gegeben. Beide Gremien hätten nur eine beratende Funktion für zukünftige Krisen.

Auch Florian von Brunn favorisiert nach BR-Informationen ein Doppelmodell für seinen Landtag: Neben einer aus Wissenschaftlern und Politikern bestehenden „Kommission“ fände er einen ergänzenden Bürgerrat sinnvoll.

Bayern war besonders hartes Corona-Pflaster

Das Bundesland Bayern hatte laut „Apollo-News“ unter Ministerpräsident Markus Söder (CSU) „teils die härtesten Corona-Maßnahmen in ganz Deutschland“ angeordnet. Söder hatte laut „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) insbesondere einer „unterschiedliche Behandlung von Geimpften und Ungeimpften“ bereits im August 2021 das Wort geredet: Diese werde „so oder so“ kommen.

Obwohl der Bayerische Verwaltungsgerichtshof Söders Staatsregierung schon im Oktober 2021 bescheinigt hatte, dass deren dreiwöchige Anordnung von Ausgangssperren im März 2020 unverhältnismäßig und rechtswidrig gewesen war, blieb Söder seiner Linie treu: Man müsse „weniger Rücksicht auf die nehmen, die selbst keine nehmen“, so Söder mit Blick auf ungeimpfte Menschen im November 2021. Anfang Dezember desselben Jahres hatte er sich laut „Bild“ für eine Impfpflicht für Kinder ab zwölf Jahren ausgesprochen. Wenig später ließ er für Jugendliche in Bayern die Ausnahmen von der 2G-Regelung streichen.

Klaus Holetschek (CSU), der zwischen Januar 2021 und Oktober 2023 unter Söder das Amt des Landesgesundheitsministers von Bayern bekleidet hatte, hatte sich zu Weihnachten 2021 nicht nur für „Bußgelder“, sondern auch für „finanzielle Nachteile bei der Krankenversicherung“ eingesetzt
– alles gezielt gemünzt auf Ungeimpfte.

In seiner aktuellen Rolle als CSU-Fraktionschef im bayerischen Landtag hatte sich auch Holetschek im März 2024 gegenüber dem BR darauf berufen, dass es seinerzeit stets darum gegangen sei, „Menschenleben zu schützen und zu retten“. Da „wir natürlich jetzt ein anderes Wissen“ hätten, würde man Kinder und Jugendliche heute wohl anders behandeln. In Bayern habe man „längst“ Lehren aus der Coronazeit gezogen: Ein „Pandemie-Zentrallager“ sei eingerichtet, die „Digitalisierung der Gesundheitsämter […] vorangetrieben worden“.

Von Brunn war für allgemeine Impfpflicht

Florian von Brunn hatte Ende November 2021 den Druck auf die Regierung Söder erhöht, „einheitliche Kontaktbeschränkungen und viel mehr Impfungen“ durchzusetzen. Nach einer Pressemitteilung seiner SPD-Landtagsfraktion sprach er sich für „2G bzw. 2Gplus“ und für „eine allgemeine Impfpflicht“ aus. Söder habe einen „schweren Fehler“ gemacht, indem die Impfzentren habe herunterfahren lassen. Außerdem hätte Söder „Zuschauer bei Profi-Fußballspielen“ verbieten sollen, so von Brunn. Die Schulen aber hätten seiner Meinung nach offen bleiben müssen.



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