Solarindustrie droht „zweiter Niedergang“ – Deutschland vor Milliarden-Entscheidung

Die deutsche und die europäische Solarindustrie befinden sich mitten in einer Krise. Die EU will nun ein Gesetz verabschieden, um die Branche zu stärken. Mehrere Fachleute sehen diesen Plan jedoch kritisch.
Solarindustrie ohne China möglich? Deutschland vor Milliarden-Entscheidung
Die EU will eine europäische Solarindustrie aufbauen.Foto: iStock
Von 12. März 2024

Europa erlebt derzeit eine hohe Nachfrage an Photovoltaikanlagen – auch, um die von der Europäischen Kommission angestrebten Klimaziele zu erreichen. Doch China mischt auf dem europäischen Solarmarkt mit seinen staatlich geförderten Billigmodulen ordentlich mit. Einheimische Hersteller haben Probleme, sich gegen die Übermacht aus Fernost zu behaupten.

Die EU will den Chinesen diesen Markt aber nicht kampflos überlassen. Es „muss unbedingt sichergestellt werden, dass die EU-Industrie diese Wachstumschance nutzen […] kann“, verkündete die Kommission vor Kurzem in einer Pressemitteilung.

Netto-Null-Industrie-Gesetz

Immer wieder in der Debatte sind mögliche Handelsbeschränkungen gegen aus China importierte Solarmodule und andere Photovoltaikprodukte. Bisher sah die Kommission jedoch davon ab. Denn auch europäische Hersteller beziehen Bauteile aus China oder lassen ihre in der EU konzipierten Produkte in China fertigen. Diese Unternehmen würden dann auch unter den Strafzöllen leiden, wie das Portal „Energiekonzepte Deutschland“ erklärt. Diese Extrakosten würden letztlich an den Endkunden weitergegeben. Bereits vor einigen Jahren bremsten solche Handelsbeschränkungen die heimische Solarbranche spürbar aus.

Auch heute vermuten mehrere Fachleute, dass ein ähnlicher Effekt auftreten würde. Die chinesischen Billigprodukte im Solarsektor hätten die europäische Energiewende entscheidend mit befeuert. Erst deshalb seien die Preise für die Endkunden im vergangenen Jahr deutlich gesunken. Daher verkündete die Kommission Anfang März, dass es Strafzölle gegen die Einfuhr von chinesischen Solarmodulen in der EU bis auf Weiteres nicht geben werde.

Stattdessen setzt die EU-Exekutive auf den Aufbau einer europäischen Solarindustrie. Eine Initiative soll dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen: das sogenannte Net Zero Industry Act (Netto-Null-Industrie-Gesetz, NZIA).

Das NZIA zielt darauf ab, die Herstellung von sogenannten Netto-Null-Technologien in der EU auf 40 Prozent des heimischen Bedarfs bis 2030 zu decken. Photovoltaik- und Solarthermieprodukte gehören zu den Technologien, die die EU als „strategisch“ eingestuft hat. Die Mitgliedstaaten sollen sie daher besonders fördern.

Das vorgeschlagene Gesetz plant, Investitionen anzuregen und bessere Bedingungen für in der EU produzierte PV-Produkte zu schaffen. Konkret wird dies unter anderem durch verschärfte Kriterien, die PV-Anlagen bei öffentlichen Aufträgen erfüllen müssen, geschehen. Am 6. Februar 2024 haben das Europäische Parlament und der Rat eine politische Einigung über den NZIA erzielt. Nach seiner Verabschiedung tritt er in Kraft.

Neben Photovoltaik und Solarthermie gelten aus Sicht der Kommission auch Windkraft, Brennstoffzellen, Stromspeichertechnologien, CO₂-Abscheidung, Netztechnologien und Wärmepumpen als Schlüsseltechnologien.

Unrealistisch und teuer

Nach Einschätzung einiger Fachleute ist das 40-Prozent-Ziel der EU weder realistisch noch sinnvoll, berichtete der „Focus“. Es gebe laut Antoine Vagneur-Jones, Solarexperte des Analyseunternehmens BloombergNEF, zu wenig Investoren, um neue Fabriken in der EU aufzubauen. Gleichzeitig fehlten die notwendigen Anreize für Investitionen zum Erreichen des 40-Prozent-Ziels. „Der Bau von Solarfabriken in Europa ist etwa drei- bis viermal so teuer wie in China. Die Produktion ist mit einem beträchtlichen Kostenaufschlag verbunden“, erklärte Vagneur-Jones gegenüber „Table.Media“.

Der Aufbau einer Industrie mit den notwendigen Kapazitäten in der EU könnte teuer werden. Optimistische Schätzungen der EU-Kommission belaufen sich hierbei auf Kosten in Höhe von 7,5 Milliarden Euro, so „Focus“. Der Branchenverband Solar Power Europe rechnet hingegen mit 30 Milliarden Euro, die bis 2025 getätigt werden müssten. Europa müsste also „die Investitionen und Betriebskosten von Solarherstellern massiv subventionieren“, sagt Jenny Chase, langjährige Solaranalystin von BloombergNEF gegenüber „Table.Media“.

Zudem zweifeln Analysten der Brüsseler Denkfabrik Bruegel ernsthaft an der Sinnhaftigkeit des 40-Prozent-Ziels. „Vollständige Herstellungsprozesse erfordern energie- und kapitalintensive Investitionen, bei denen Europa keinen Vorteil hat.“ In der Solarindustrie gilt besonders Polysilizium, das Grundmaterial der Solarzellen, als äußerst energieintensiv. Die Subventionierung zusätzlicher Produktionen hätte darüber hinaus auch keinen Nutzen für das Klima, fügten die Bruegel-Analysten hinzu.

Solarindustrie

Ein großer Solarpark in Deutschland. Die meisten der Module stammen aus China. Foto: iStock

Bundesverband fürchtet Solarkrise

Allerdings steht die Bundesregierung unter Druck, der Branche bald mit außerplanmäßigen Finanzmitteln unter die Arme zu greifen. Denn in Problemen befindet sich unter anderem die Glasmanufaktur Brandenburg, die Spezialglas für die Solarindustrie produziert, sowie der Schweizer Solarzellenhersteller Meyer Burger.

Deswegen warnte kürzlich die Präsidentin des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE), Simone Peter, vor einer erneuten Krise der deutschen Solarindustrie. Staatsgelder seien nun gefragt. „Ein zweiter Niedergang des Solarvalley hätte nicht nur fatale industrie- und beschäftigungspolitische Folgen, sondern würde auch Raum für weitere populistische Kräfte geben“, sagte Peter.

Staatliche Finanzspritzen und zusätzliche Ausschreibungen im Erneuerbare-Energien-Gesetz wären ihrer Ansicht nach eine wichtige Investition in den laufenden Aufbau von Solarfabriken in Deutschland. „Die sollte die Ampelregierung noch vor Ostern nutzen. Die Zeit drängt. Abwanderungen werden wir bitter bereuen“, so die frühere Bundesvorsitzende der Grünen. „In Deutschland kann mit dem Solarpaket I die heimische Produktion unmittelbar gestützt werden, um Solarmodulhersteller vor Betriebsschließungen, wie von Meyer-Burger angekündigt, zu bewahren und ungleiche internationale Wettbewerbsbedingungen auszugleichen.“

Meyer Burger hatte in der vorigen Woche erklärt, wegen des sich verschlechternden europäischen Marktumfeldes sei die Produktion in Sachsen nicht mehr rentabel. Ein Teil der Produktion könnte das Unternehmen in die USA verlagern. Sollten in der Freiberger Fabrik des Schweizer Herstellers tatsächlich die Lichter ausgehen, könnte die Abhängigkeit von chinesischen Herstellern im Solarbereich nach Einschätzung von Experten weiter wachsen.

Solarindustrie: Sachsen fordert Hilfe aus Berlin

Im Ringen um die Zukunft der deutschen Solarindustrie forderte jüngst auch Sachsens Umweltminister Wolfram Günther rasche Unterstützung des Bundes. „Um die Solarproduktion in Deutschland sicherzustellen, braucht es schnell eine Entscheidung für ein geschütztes Marktsegment mit Resilienzkriterien“, schrieb der Grünen-Politiker an Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) sowie an Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne).

Entsprechend den Beschlüssen des Bundesrates sollten sogenannte Resilienz-Ausschreibungen und -Boni möglichst schnell im Bundestag beschlossen und im Erneuerbare-Energien-Gesetz verankert werden. Dann würde etwa für Solaranlagen, die vorrangig aus europäischer Produktion stammen, eine höhere Einspeisevergütung gezahlt.

Mit diesen Instrumenten könnten die europäischen Photovoltaikunternehmen unter den aktuellen Bedingungen auf dem Weltmarkt ihre wirtschaftlichen Aktivitäten besser fortführen, so Günther in dem Schreiben. Die Solarbranche sei für die wirtschaftliche Stärke Ostdeutschlands wichtig, betonte der Minister. Die meisten der in Deutschland produzierten Module kämen aus Sachsen. Sechs Unternehmen produzieren den Angaben zufolge im Freistaat. Sie seien ein wichtiger Baustein für die deutsche und europäische Solarindustrie.

(Mit Material der Nachrichtenagenturen)

Anm. d. Red.: Dieser Artikel wurde am 12. März 2024 aktualisiert.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion