Simpeldichter: Berliner Schnitzel 1-9

Aus der Reihe Epoch Times Poesie - Gedichte und Poesie für Liebhaber
Titelbild
Ein mancher ist eher ein Papagei als ein Dichter.Foto: AFP / Getty Images
Epoch Times31. Mai 2012

 

Berliner Schnitzel

 

1. Kein rückwärts schauender Prophet,

Geblendet durch unfaßliche Idole,

Modern sei der Poet,

Modern vom Scheitel bis zur Sohle.

 

2. Verruchtes Epigonenthum,

Egypter- und Teutonenthum,

Daß dich der Teufel brate!

Schon längst sind wir fascikelsatt,

Grinst doch durch jedes Titelblatt

Das Dante’sche »Lasciate«!


3. Ihr armen Dichter, die ihr »Philomele«,

In jedem Lenze rythmisch angeschwärmt,

O wenn ihr wüßtet, wie sich meine Seele

Um ihre gottverlassnen Schwestern härmt!

Dreht ihr auch noch so ernsthaft eure Phrase,

Der Teufel setzt sie lustig in Musik,

Denn eine ungeheuer lange Nase

Hat seine Großmama, die Frau Kritik.

 

4. Nicht wahr, Du bist ein großes Thier?

So sprich, was ist zum Dichten nütze?

Eine Perryfeder, ein Stück Papier,

Ein Tintenfaß und – ein Schädel voll Grütze!

 

5. Ihr schwatzt befrackt hoch vom Katheder

Von alter und von neuer Kunst,

Von Fleischgenuß und Sinnenbrunst,

Und gerbt nur Leder, altes Leder.

Ihr laßt um jede Attitüde

Ein weißgewaschnes Hemdchen wehn;

Denn um die Schönheit nackt zu sehn,

Sind eure Seelen viel zu prüde.

 

6. Ja, unsre Zeit ist eine Dirne,

Die sich als »Mistreß« producirt,

Mit Simpelfranzen vor der Stirne

Und schauderhaft decolletirt.

Sie raubt uns alle Illusionen,

Sie turnt Trapez und paukt Klavier –

Und macht aus Fensterglas Kanonen

Und Kronjuwelen aus Papier!

 

7. Urewig ist des großen Welterhalters Güte,

Urewig wechselt Herbstblatfall und Frühlingsblüthe,

Urewig rollt der Klangstrom lyrischer Gedichte:

Ein jedes Herz hat seine eigne Weltgeschichte.

 

8. Ich bin ein Dichter und kein Papagei

Und lieb es drum, in unsre Zeit zu schauen;

Und doch mißfällt an ihr mir dreierlei,

Und dieses Factum kann ich nicht verdauen.

Die junge Dame weint sich nicht mehr »blind«,

Die jungen Herrn sind meistens eitle Schöpfe,

Und – »last not least« – die echten Thränen sind

Noch seltner heute als die echten Möpse.

 

9. Die Simpeldichter hör ich ewig flennen,

Sie tuten alle in dasselbe Horn

Und nie packt sie der dreimal heil’ge Zorn,

Weil sie das Elend nur aus Büchern kennen.

 

Arno Holz (HG. Wilhelm Arent 1885)



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