Zu Fuß durch Japan

Titelbild
Chureito-Pagode und Berg Fuji im Frühling mit Kirschblüten.Foto: istockphoto
Von 13. April 2022

Unser Hotelbadezimmer in Kyoto war mit zahlreichen Annehmlichkeiten ausgestattet, die von japanischem Einfallsreichtum zeugten: ein warmer Toilettensitz, der Wasser versprühte, ein Spiegel, der auch nach einer außergewöhnlich belebenden und dampfenden Dusche klar blieb, und ein raffinierter Haartrockner mit mehr Einstellungen, als ich Frisuren habe.

Doch wie ich auf unserer Wanderung durch die Landschaft feststellen sollte, waren diese Vorzüge nicht immer präsent.

Ein Zwischenstopp in einem Teehaus verdeutlichte ein weiteres durchdringendes Element der japanischen Kultur: die Präzision, mit der die Japaner so ziemlich alle Aufgaben im Alltag erledigen. Die Zubereitung einer einfachen Tasse Tee kann eine zeitaufwändige, arbeitsintensive, an Regeln gebundene und ritualisierte Zeremonie sein. Das Gleiche gilt für einen Cocktail in einer Bar. Egal ob Sie Ihr Getränk geschüttelt oder gerührt bevorzugen – wenn es geschüttelt wird, ähnelt die Prozedur einem professionellen Maracas-Konzert – die Präsentation des Getränks ist von einem Hauch Glanz, Glamour und Perfektion umgeben.

Auf den Spuren der Samurai

Von Kyoto und seinen 2.000 Tempeln aus fuhren wir auf das Land, um den Spuren der Feudalherren, der Daimyos und Samurais aus dem 17., 18. und 19. Jahrhundert zu folgen. Wir überquerten den Abschnitt der Kiso-Straße des Nakasendo-Weges, einer alten Fernstraße, die Kyoto mit der damaligen Stadt Edo, dem heutigen Tokio, verband – das Ganze mit einer Geschwindigkeit von 12 bis 16 Kilometer pro Tag. Wir reisten durch Städte, die den Wallfahrern Verpflegung und Unterkunft boten und die sich so anfühlten und aussahen wie seit jeher.

Fushimi-Inari-Schrein von Kyoto. Foto: istockphoto

Wir schlängelten uns über Pfade, durch Gebirgspässe und an Shinto-Schreinen und buddhistischen Tempeln entlang. Die Wälder waren oft dicht und üppig. Das ständige Rauschen von Bächen, Flüssen und Wasserfällen sorgte – wie die vielen Tempel auf unserer Strecke – für eine Art von Ruhe.

Tsumago-juku war eine historische Poststadt am berühmten Nakasendo-Kiso-Talweg zwischen Kyoto und Edo. Foto: istockphoto

Kiyomizu-dera ist ein buddhistischer Tempel im östlichen Kyoto, Japan. Foto: istockphoto

Ich konnte förmlich spüren, wie die Samurai dieselben Steinstufen beschritten, in denselben hölzernen Teehäusern einkehrten und auf denselben Tatami-Matten Platz nahmen. Wir wanderten durch jede Grünschattierung, vorbei an heiligen Steinmarkierungen, alten Reismühlen und monumentalen Felsstrukturen, die Götter oder Dämonen beziehungsweise Huldigungen von Kaisern und anderen menschlichen oder spirituellen Gottheiten darstellten. Bei unseren Wanderungen zu Schreinen, Tempeln und Teehäusern zogen wir uns oft die Schuhe aus und Pantoffeln an.

Die Abende verbrachten wir in kleinen Herbergen für Reisende, in denen flauschige Futons auf dem Boden als Betten dienten. Aber während die Unterkünfte vielleicht einfach waren, waren es die Abendessen nicht. In der Regel wurden wir in Form eines Banketts mit mehreren Gängen bedient, die von traditionellen (und für meinen Gaumen nicht identifizierbaren) Speisen bis hin zu bekannteren Gerichten reichten, die meist die Form von gekochtem Fisch hatten.

Rote Papierlaternen am Eingang eines Restaurants. Foto: istockphoto

Die sanitären Einrichtungen waren hier ganz anders als in unserem Hotel in Kyoto. Normalerweise dusche ich nicht oder wasche mir nicht die Haare, bevor ich ein Bad nehme. Jedoch war dies in dem Gasthaus in der ländlichen Stadt Tsumago gang und gäbe. „Duschen“ ist eigentlich die falsche Bezeichnung. Tatsächlich saß ich auf einem niedrigen Hocker neben einer Reihe anderer niedriger Hocker und spülte mich mit einem Duschkopf ab. Auch der Begriff „Bad“ ist nicht ganz korrekt. In Wirklichkeit handelt es sich um eine Reihe heißer Becken in einer ruhigen Außenanlage, die über Steinstufen zugänglich und von großen bis riesigen Felsblöcken umgeben waren.

Dies war eine äußerst ungewöhnliche Erfahrung, aber unser Reiseführer versicherte mir, dass es der alltägliche Brauch sei. Das Baden ist eher ein gemeinschaftliches als ein individuelles Ereignis. Dieses Gemeinschaftsgefühl spiegelt sich auch bei den Mahlzeiten wider, zu denen die Gasthausbewohner in ihren Yukatas (von den Gasthäusern bereitgestellte Bademäntel) im Schneidersitz auf Tatami-Matten sitzen.

Der Hauptturm der Burg Himeji. Die 1333 gegründete und Anfang 1600 wiederaufgebaute Burg gilt als eine der am besten erhaltenen in Japan. Foto: istockphoto

Mit jedem Tempel, Schrein und jeder Burg, die wir betraten, war ich umso faszinierter vom Leben der verschiedenen Kaiser, Shogune, Samurais, Daimyos und Konkubinen, die die Geschichte Japans vom 9. bis zum 20. Jahrhundert beherrschten.

Zurück in die Stadt

Schließlich war es Zeit, in die große Stadt zurückzukehren. Der Wechsel von der Ruhe auf dem Land zur Reizüberflutung in Tokio war ein regelrechter Kulturschock. Trotz der modernen Hochhäuser in Tokio ist die Edo-Periode (Tokugawa-Zeit, 1602-1868) unter der Oberfläche immer noch lebendig. Paul, unser Reiseleiter, erzählte uns begeistert von ihr. Anhand einer Sammlung von Holzschnitten und alten Fotografien aus den 1800er Jahren, die er in einem Mammutbuch zusammengetragen hatte, veranschaulichte er uns, wie jede Straßenecke, jede Brücke, jede versteckte Seitenstraße und jeder große Straßenzug seine Anfänge in der Zeit der Ankunft Tokugawas im Jahr 1590 hatte.

Menschenmassen im Einkaufsviertel Ameyoko in Tokio. Foto: istockphoto

Diese reiche Geschichte zeigt sich weniger in den Gebäuden als vielmehr im Grundriss der Stadt mit ihren vielen verwinkelten Gassen und Gebäuden. Er verknüpfte seine Bilder direkt mit dem, was wir sahen, sodass wir nicht mehr das aktuelle Gebäude wahrnahmen, sondern vielmehr das, was einst dort stand. All die weitreichenden Errungenschaften der Shogune der Tokugawa-Familie und die der Daimyos und Samurais sowie die Kaufleute und Pferdehändler, die dort lebten, wurden durch die Erzählungen wieder zum Leben erweckt.

„Sehen Sie das?“, fragte er und zeigte auf eine historische Illustration. „Das ist der Ort, an dem wir uns gerade befinden.“

Obwohl die beiden großen Städte Tokio und Kyoto unsere Erfahrung bereicherten, war es der Reichtum und die Tiefe der Kultur des Nakasendo-Weges, der die Reise so bedeutungsvoll machte.

Als ich auf dem Heimweg durch die Sicherheitskontrolle am Flughafen Narita ging, fühlte sich das Ausziehen der Schuhe irgendwie nicht so bedrückend an wie sonst. Ich fühlte mich wie zu Hause – bis ich einen überraschten Flughafenmitarbeiter um ein Paar Pantoffeln bat.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times USA: Walk Japan to Explore the Soul of a Country (Deutsche Bearbeitung von rm)



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