Dr. Daniele Ganser: Rote Karten für Putin, Zelenskyj, Scholz, Obama

Kriegstreiberei, Geopolitik und Friedensbotschaften – viele Rote Karten verteilte der Schweizer Historiker. Die Frage ist: „Wie sind wir in diese Situation gekommen, dass Russland einmarschiert ist?“
Titelbild
Vortrag Dr. Daniele Ganser: Rote Karten für Kriegstreiber.Foto: Roeber
Von 25. November 2022

An dieser Stelle wird ein Podcast von Podcaster angezeigt. Bitte akzeptieren Sie mit einem Klick auf den folgenden Button die Marketing-Cookies, um den Podcast anzuhören.

Wenn man der Online-Enzyklopädie Wikipedia glaubt, wer der Typ ist, zu dessen ausverkauftem Vortrag man gerade unterwegs ist, müsste man eigentlich direkt wieder umdrehen oder, jetzt erst recht neugierig geworden, sich einmal mehr auf den Weg machen. Bei Wikipedia steht’s so:

„Daniele Ganser (…) ist ein Schweizer Historiker und Publizist. Er wurde mit seiner 2005 veröffentlichten Dissertation NATO-Geheimarmeen in Europa bekannt. Seitdem publiziert Ganser zu Militäraktionen von NATO-Staaten, die er als völkerrechtswidrig beschreibt, sowie zum globalen Ölfördermaximum. Er verbreitet Verschwörungstheorien, besonders zum 11. September 2001.“

Mit Verschwörungstheorien in Bezug auf den 9/11 meinen die Wiki-Autoren wohl, dass Dr. Daniele Ganser das WTC 7 thematisiert, ein Nebengebäude der Twin Towers, das einstürzte, obwohl es von keinem Flugzeug getroffen worden war. Damit fielen bei zwei Flugzeugen drei Türme, das WTC 7 symmetrisch. Historiker Ganser will hier eine gezielte Sprengung erkannt haben. Wikipedia nimmt das als Steilvorlage.

Die „online-Enzyklopädie“ ist nur ein Beispiel von vielen. Gansers Arbeit wird auch über den 11. September hinaus vielfach verrufen. Doch mindestens genauso viele Geister zieht der selbst ernannte „Friedensforscher“ in seinen Bann. Was ist von seinen Live-Vorträgen zu erwarten? Herrscht eine neblig-dunkle und mystisch-getränkte Verschwörungsatmosphäre? Gehen die Zuschauer mit wirren Gedanken und angestrengten Gesichtszügen aus dem Vortrag? Epoch Times war an einem seiner Beiträge vor Ort. 

Volles Haus: „Menschheitsfamilie“ gegen Ukraine-Krieg

Die Diffamierungs-Kampagnen gegen den polarisierenden Historiker haben dazu geführt, wie Vortragsorganisatorin Daniela Schramm zur Begrüßung in der picke-packe vollen Stadthalle Falkensee (bei Berlin) sagt, dass die Suche nach einem Veranstaltungsort „etwas schwieriger als gedacht war, da nicht jeder Vermieter automatisch in Begeisterung verfiel beim Namen Daniele Ganser“.

Dafür offenbar immer mehr Menschen, die sich der von Ganser proklamierten „Menschheitsfamilie“ als Begriff für Toleranz und menschliches Miteinander zugehörig fühlen wollen und dafür gesorgt haben, dass die Stadthalle kurz hinter der östlichen Stadtgrenze Berlins mit einem Zusatzvortrag Gansers gleich doppelt gebucht war.

Ganser schreibt über sich selbst auf seiner Website: „Ich untersuche die Themen Frieden, Energie, Medien, Krieg und Terror.“ Und um den aktuellen Krieg in der Ukraine ging es bei dem Vortrag. Gleich zu Vortragsanfang bekommt Putin von Sportfan Ganser, passend zum aktuellen Start der Fussball-WM in Katar, die erste Rote Karte, symbolisch und auf der Großbild-Leinwand eingeblendet, für seinen Angriff auf die Ukraine:

Die Invasion ist illegal und auch jeden Tag wird das in den Medien erklärt. Aber was eben fehlt, ist, dass man nicht weiter zurückblickt und überhaupt nicht erklärt. Wie sind wir in diese Situation gekommen, dass Russland einmarschiert ist?“

Massig Rote Karten

Um es vorwegzunehmen: Am Ende des Vortrags hat Ganser einer ganzen Reihe von – übrigens ausschließlich männlichen – Protagonisten die Rote Kriegskarte ans Revers geheftet, und zwar den Hauptakteuren dieses geopolitischen Kriegsspiels:

„Scholz: Rote Karte, weil, er hat Deutschland in den Krieg geführt. … Rote Karte für Clinton 1999 wegen der NATO Osterweiterung. Rote Karte: für Bush 2008 wegen der NATO-Einladung an die Ukraine, 2014 für Obama für den Putsch. 2019 für Zelenskyj, weil er den Bürgerkrieg weiterführt. 2022 für Putin, weil er die Invasion macht und 2022 für Scholz, weil er Deutschland in den Krieg mit Russland führt.“

Aber bevor er bei Scholz’ Roter Karte und der Rolle Deutschlands angekommen ist, geht Historiker Ganser erst mal zurück und beleuchtet nicht nur das Wirken jedes einzelnen Rote-Karte-Kandidaten, sondern auch dezidiert den historischen Ablauf, der in die jetzige Kriegssituation geführt hat. Ganser legt in den knapp zwei Stunden im sportlich-charmanten Schwyzerdütsch das Gesamtbild dieses geopolitischen Zerrens unter die Lupe.

Die Ursachen des Angriffskrieges

Er startet also nicht am 24. Februar 2022, der vor allem in den Medien als Startpunkt des Krieges angestellt wird, seine Analyse setzt zurück in den Kalten Krieg, bei Gorbatschow, der Wende, geht über zur NATO-Osterweiterung, zeigt die „langen Wurzeln“ der Krise auf, inklusive des Putsches von 2014. Auf der Großleinwand werden dabei Zeitungsartikel, Grafiken, Kartenmaterial, Fotos, Dokumente eingeblendet.

In knapp zwei Stunden entsteht so ein aus den historischen Quellen, Medienberichten und Eckdaten in sich stringenter, durchaus nachvollziehbarer Pfad durch Medien-Framings, Informations-Wirrwarr und politische Hintergrundaktivitäten – so, „dass auch ein 16-Jähriger nachvollziehen kann, worum es bei diesem Konflikt geht“, wie Ganser selbst seinen Anspruch benennt, als er eine Karte vom geteilten Deutschland vor 1990 einblendet und daran erinnert, dass Deutschland mal zweigeteilt war:

„Während des Kalten Krieges waren 16 Staaten Mitglied der NATO. Die wichtigsten: die USA und Kanada. Und jetzt kommt dieser Mauerfall. Und dann wird Deutschland wiedervereinigt. … Das heißt, die NATO dehnt sich aus und das ist in Ordnung, weil das war mit Gorbatschow abgesprochen. Aber dann kommt Clinton. Neun Jahre später, 1999, nimmt er Polen rein, dann kommen Ungarn und Tschechien dazu… Und das war gegenüber den Russen ein Wortbruch, weil man hat ihnen versprochen, die NATO wird sich keinen Zentimeter erweitern. Und natürlich ist Polen größer als ein Zentimeter. … Man kann jetzt sagen ja, aber die Polen wollten rein, das stimmt. Aber die Amerikaner hatten ja versprochen, wir werden sie nicht aufnehmen. Aber Clinton hat das Versprechen gebrochen, und nach ihm kam Bush. Und Bush hat weitere Staaten aufgenommen: Estland, Lettland, Litauen, Rumänien und Bulgarien. Wenn Sie das auf der Karte anschauen, also die Ukraine wurde dann auch für Bush ein Thema und er hat am Gipfel in Bukarest – Bukarest, die Hauptstadt von Rumänien – gesagt: Jetzt lade ich die Ukraine in die NATO ein. Und das war eine absolute Provokation gegenüber Russland ….Und dann hat Bush gesagt: Na, uns fehlt da noch ein Stück, weil – erst dann sind wir mit unseren Raketen nahe genug an Russland.“

Die Protagonisten kommen unter das Kriegstreiber-Sezier-Licht von Gansers Historiker-Lupe: Ob Staatschef-Schauspieler Seleskyj und seine Metamorphose zum Präsidenten, die Klitschkows, die Rolle der Rechtsradikalen in der Ukraine, die NATO und ihre Rolle oder auch die Grünen und die Medien mit ihrer einseitigen Berichterstattung, die zur Kriegspropaganda geworden ist.

Konstruktiv nach vorne

Nachdem alle Roten Karten verteilt, das Kriegstreiben und die Kriegstreiber analysiert war, kamen im zweiten Vortragsteil dann die Versöhnungsbotschaften, adressiert an die von Ganser proklamierte Menschheitsfamilie.

Irgendwie ein bisschen ertappt klingen die Lacher im Saal, als er insistiert, dass nicht nur die, die einer Meinung sind, sondern auch Frau Baerbock und ein Olaf Scholz eben zu dieser Menschheitsfamilie gehören.

Zusammenfassend appelliert er an die Zuhörer:

„…bei diesem Thema Ukraine, auch beim Thema Corona gehen ja die Wogen hoch. Die Leute kommen in den Streit, in den Familien gibt es Streit, in der Schule gibt es Streit, eine Seite ist für die Waffenlieferungen, der andere ist gegen die Waffenlieferungen. Dann ist man für die Impfung, der andere ist gegen die Impfung. Und da rate ich eigentlich den Menschen, dass sie tolerant sind, dass sie sagen okay, wir haben verschiedene Ansichten, lasst uns nicht streiten. Das ist eigentlich, was ich heute herausarbeiten wollte.“

Glückauf-Atmosphäre

Nach dem Vortrag entstehen schnell Menschentrauben für Selfies und Autogramme am Büchertisch. Viele strahlende Gesichter, Zuhörer, die friedlich und miteinander redend die Stadthalle Falkensee verlassen.

Von Polarisierung keine Spur, zumindest ist nicht ersichtlich, dass in irgendeiner Form aufgehetzte oder verwirrte Geister, oder gar unversöhnlich aufgerüttelte Menschen aus dem Vortrag gehen, die hier eine riesige Verschwörung der Mächtigen sehen.

Es scheint eher die Botschaft Gansers nachzuklingen, die vielleicht seine Wichtigste ist an dem Abend, dass, wenn kritische Geister die ihnen missliebigen Vertreter der Politik auch als Teil der Menschheitsfamilie begreifen, das der Beitrag eines Jeden für mehr Toleranz ist.

Ganser selbst schreibt auf seiner Website über seine Intention: „Mein Ziel ist es, alle Menschen zu stärken, die sich achtsam für den Frieden und eine intakte Umwelt engagieren“. Die Mission scheint hier erfüllt, jedenfalls für die meisten an diesem Abend anwesenden Menschen.

Organisatorin Daniela sagte eingangs auf der Bühne, als sie Daniele Ganser ankündigte: „Ich wünsche mir, dass dieser Vortrag wie eine Saat ist, die ausgebracht wird. Dass daraus neues Gedankengut erwächst, dass Diskussionen beginnen, dass Meinungsvielfalt wirklich gelebt wird und nicht nur auf dem Papier steht.“

Das mag hoch aufgehängt klingen, bald nach einem religiösen Ansatz. Aber misst man den Erfolg dieses Vorhabens an den dem Vortrag folgenden Gesprächen der Besucher untereinander, dann scheint zu funktionieren, was sich Ganser vorgenommen hat.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion