Sexuelle Gewalt verharmlost? ZDF wirft Böhmermann-Sendung aus Mediathek

Infolge einer Programmbeschwerde hat das ZDF eine Sendung von Jan Böhmermann aus der Mediathek entfernt. Er hatte darin rituelle Gewalt pauschal als Einbildung von Verschwörungstheoretikern dargestellt – und soll zweifelhafte Methoden angewandt haben.
Jan Böhmermannim Interview mit der dpa in seinem Büro in den Räumen von Studio Ehrenfeld in Köln.
Jan Böhmermann im Interview mit der dpa in seinem Büro in den Räumen von Studio Ehrenfeld in Köln.Foto: Rolf Vennenbernd/dpa
Von 10. Dezember 2023

Mit einer knappen Mehrheit von 18 zu 15 Stimmen bei elf Enthaltungen hat sich der ZDF-Fernsehrat einer Beschwerde gegen eine Sendung mit TV-Satiriker Jan Böhmermann angeschlossen. Aus diesem Grund hat der Sender am Freitag, 8. Dezember, eine Ausgabe des „ZDF Magazin Royale“ aus der Mediathek genommen. Betroffen war die Ausgabe vom 8. September. Die Programmbeschwerde kam unter anderem von der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs.

Konditionierung und Manipulation von Opfern als Legende?

In der Sendung hat sich Böhmermann mit dem Thema ritualisierter sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche befasst – vor allem in satanistischen und okkultistischen Kreisen. Böhmermann stellte dabei in Abrede, dass es Fälle dieser Art überhaupt gibt, und führt entsprechende Erzählungen auf eine sogenannte Satanic Panic zurück.

Diese habe sich aufgrund mutmaßlich fiktiver Erzählungen seit Anfang der 1980er-Jahre in den USA ausgebreitet. Neben einer Vielzahl nicht verifizierbarer Berichte angeblich Betroffener hatten diese auch einige skurrile Narrative in der Popularkultur gestreut. Dazu gehörten etwa jene über vermeintliche satanische Botschaften, die in Heavy-Metal-Vinylplatten oder Spielen wie „Dungeons & Dragons“ versteckt seien. Die „Satanic Panic“ habe sich weitgehend als Gruppenwahn entpuppt.

Böhmermann bestritt insbesondere, dass Opfer über manipulative Praktiken („Mind Control“) und Konditionierung dazu gebracht würden, über ihr Schicksal zu schweigen. Darüber hinaus erweckte er den Eindruck, Darstellungen über ritualisierten sexuellen Missbrauch gingen vor allem auf eine bestimmte Psychotherapeutin zurück.

Böhmermann rückt Psychotherapeutin in die Nähe von QAnon & Co.

Ins Visier geriet dabei Michaela Huber aus Kassel, die sich schwerpunktmäßig mit traumatisierten Patienten befasst. Einige davon sollen Opfer ritueller Gewalt geworden sein. Böhmermann beschuldigte die Therapeutin jedoch, unseriös zu arbeiten und sogar selbst Verschwörungstheorien zu verbreiten.

Vor allem in der Zeit der Präsidentschaft von Donald Trump in den USA sowie in der Corona-Zeit verbreiteten Kulte wie „QAnon“ Narrative über vermeintliche Elitezirkel, die weltweit Kinder zum Zweck der rituellen sexuellen Ausbeutung oder Ermordung entführten. In vielen Fällen wurden diese bemüht, um missliebige Politiker, Staatsbeamte oder Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens zu diskreditieren.

Huber hat unmittelbar nach Ausstrahlung der Sendung Anzeige gegen den ZDF-Moderator erstattet. Im Zuge der Recherche soll Böhmermann auch Methoden in der strafrechtlichen Grauzone nicht gescheut haben. Das Magazin „Clap“ berichtete sogar von einem Ermittlungsverfahren gegen Böhmermann auf Antrag des Staatsschutzes.

Hat Böhmermann Mitarbeiter in Seminar mit Zugang zu sensiblen Patientendaten geschleust?

Einer anonymen Anzeige zufolge hat Böhmermann einen Undercovermitarbeiter in eine ausschließlich Ärzten, Psychotherapeuten und Psychologen vorbehaltene Onlineweiterbildung eingeschleust. Dieser solle sich als Berufskollege ausgegeben und sich elektronisch zur Verschwiegenheit über die Seminarinhalte verpflichtet haben.

Später soll sich der Mitarbeiter per E-Mail an Huber gewandt und die Veröffentlichung von Inhalten der Weiterbildung angekündigt haben – einschließlich persönlicher Details dort besprochener Patientenfälle. Der Journalist soll ob des möglichen Verstoßes gegen die Schweigepflicht „kalte Füße“ bekommen und sich an das LKA Nordrhein-Westfalen gewandt haben.

Zu Hubers Patienten zählten unter anderem auch Personen, die sich in Zeugenschutz- oder Aussteigerprogrammen befänden, schreibt „Clap“. Auch deshalb sei ein besonderes Schutzbedürfnis gegeben. Das ZDF weist die Vorwürfe zurück. Redaktion und Produktionsfirma beteuern zudem gegenüber „Meedia“, man habe „in der Sendung die allen journalistischen Standards angemessene Recherche an der entsprechenden Stelle transparent gemacht“.

Kommission wirft ZDF-Sendung „gezielte Stimmungsmache“ mit „verhetzender Wirkung“ vor

Kritik gab es jedoch auch vonseiten der Unabhängigen Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs. In ihrer Programmbeschwerde äußerte diese, Böhmermann habe jedwede Differenzierung unterlassen und gezielte Stimmungsmache gegen alle Betroffenen sexualisierter Gewalt betrieben. Darüber hinaus entfalte die Art der Darstellung eine „verhetzende Wirkung“ gegenüber Betroffenen.

Die Sendung befördere eine „Stimmung, die Betroffene sexualisierter – einschließlich organisierter und/oder ritueller – Gewalt als nicht weiter ernstzunehmende Personen darstellt“. Zudem verletze Böhmermann „die Verpflichtung, die Würde der Betroffenen sexualisierter Gewalt zu achten“. Die Art und Weise, wie das Thema aufgearbeitet werde, löse „stillschweigend einen Sog der Abwertung aus“.

Infolge der Kritik hatte das ZDF die Ausgabe in der Mediathek bereits zuvor thematisch in weitere Sendungen zu sexueller Gewalt an Kindern eingebettet. Nach dem Votum des Fernsehrats hat der Sender die dazugehörige Aufzeichnung vollständig daraus entfernt.

Tatsächlich nur Einbildung oder Suggestion?

Inwieweit Erzählungen von Menschen, die von sich behaupten, zum Opfer ritueller sexueller oder sonstiger Gewalt geworden zu sein, tatsächlich authentisch sind, ist nicht pauschal zu beantworten. Dass es organisierten Kindesmissbrauch gibt und zum Teil auch Personen von gesellschaftlichem Rang daran beteiligt sein können, kann spätestens seit dem Fall Dutroux in Belgien als gesichert betrachtet werden.

Historische Beispiele destruktiver Kulte und sektenartiger Zusammenschlüsse, unter deren Dach systematischer sexueller Missbrauch stattgefunden hat, sind ebenfalls hinreichend gesichert. Sie reichen vom Jim-Jones-Kult der späten 1960er bis hin zu den „Davidianern“ in Waco 1993. Erst in den vergangenen Jahren flog der NXIVM-Kult auf, an dem sich unter anderem hoch bezahlte Filmschauspieler beteiligten.

Sexualisierte Gewalt unter dem Banner ideologischer Ziele und vermeintlicher sozialer Traditionen ist vom sogenannten Kentler-Experiment bis hin zur Odenwaldschule bekannt. Erst 2021 erschien ein Buch über ritualisierte sexuelle Gewalt an der französischen Eliteuniversität Sciences Po.

Wenn unter all diesen unterschiedlichen Prätexten zum Teil ritualisierte sexuelle Gewalt stattgefunden hat, bleibt offen, warum man dies für okkulte oder satanistische Zusammenschlüsse von vornherein ausschließen sollte. Zudem war gegenüber Erzählungen über Missbrauch durch Angehörige der Katholischen Kirche bis dato ein ähnlich hohes Maß an Skepsis eher nicht üblich.

Falschberichte infolge manipulativer Fragetechniken bleiben stets ein Risiko

Dass sich Individuen und Gruppen dieser Art durch ein erhebliches Maß an Gewaltbereitschaft und sozialer Abweichung auszeichnen, ist auch in Deutschland aktenkundig. So schafften es der sogenannte Satansmord von Sondershausen 1993 und der Mordfall von Witten 2001 in die überregionalen Schlagzeilen.

Das „Infoportal Rituelle Gewalt“ hat es sich zur Aufgabe gemacht, Gewalttaten und sexuellen Missbrauch durch destruktive oder okkulte Gruppen oder Einzelpersonen zu dokumentieren. Ein Fall nachgewiesenen rituellen Kindesmissbrauchs in Deutschland ist dort bis dato nicht dokumentiert. Allerdings kam es beispielsweise in Brasilien tatsächlich zu Verurteilungen wegen der rituellen Tötung mindestens dreier Kinder im Zusammenhang mit der sogenannten LUS-Sekte.

Gleichzeitig gibt es auch eine Vielzahl an Fällen, in denen Behauptungen über sexuellen Missbrauch der Fantasie oder manipulativen Fragetechniken entsprungen sind. Diesbezüglich gingen beispielsweise der „Flachslanden-Komplex“ oder die sogenannten Wormser Prozesse in die Rechtsgeschichte ein.

Kommission spricht von 292 befragten Betroffenen und Zeitzeugen

Die Unabhängige Kommission zur Aufarbeitung sexuellen Kindesmissbrauchs hat Forschungsprojekte zu behauptetem sexuellem Kindesmissbrauch in organisierten und rituellen Gewaltstrukturen durchgeführt. Die Projekte stützen sich auf anonyme Onlinebefragungen mutmaßlich Betroffener und deren psychosozialer Begleiter.

Demnach haben 292 Personen sowie Zeitzeugen Angaben zu mutmaßlichen Fällen organisierter oder ritueller Gewalt gemacht. In den Fällen, in denen von letztgenannter die Rede war, sollen teils esoterische, religiöse oder pseudoreligiöse Sinngebungen die Taten motiviert haben – darunter auch satanistische oder okkultistische.

Ob Böhmermann in allen genannten Fällen mit seiner Theorie vom „Gruppenwahn“ oder dahinterstehendem Geltungsbedürfnis richtig liegt, bleibt offen.



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