Weniger Autos in Städten – Utopie oder Realität?

Bedeutet Verkehrspolitik zukünftig weniger Autos? Ein Gespräch über eine radikale Verkehrspolitik.
Weniger Autos in Städten – Eine Utopie oder Realität?
Ein Car-Sharing Zeichen in der Dortmunder Innenstadt. Forscher setzen auf autoarme Städte der Zukunft.Foto: iStock
Von 31. Oktober 2022

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Verkehrsforschung, Technologiepolitik, Wissenschaftspolitik und Innovationsforschung sind Forschungsthemen von Prof. Dr. Andreas Knie. In seiner Promotion und Habilitation widmete er sich thematisch der Autoindustrie. Als Sozialwissenschaftler beriet er die deutsche Bundesregierung für das 29-Euro-Ticket. Die Epoch Times unterhielt sich mit ihm über sein Ziel, zur Einsparung der CO₂-Werte, Autos in Städten zu minimieren. Wie viel Raum nehmen Autos ein und wie sehen Alternativen aus?

Herr Knie, stimmt es, dass Sie eine „radikale Verkehrspolitik“ fordern und wenn ja, was würde diese bedeuten? 

Ja. Radikal heißt: An die Wurzel gehen. Wir müssen die grundlegenden Themen unserer Verkehrspolitik neu überdenken. Dazu gehört zum Beispiel, das alte Paradigma „Alle Kraft aufs Auto“ umzustellen. Das Auto wird nur noch ein Teil einer Verkehrslandschaft sein. Alle anderen Verkehrsträger und Verkehrsmittel müssen entsprechend ähnlich behandelt werden.

Würde das bedeuten, dass Autos minimiert werden oder dass andere Verkehrsmittel höher gesetzt werden sollen?

Das bedeutet, dass wir den Autos tatsächlich Platz nehmen, weniger Autos haben, die Privilegien nehmen und nicht mehr so viel finanzieren. Dementsprechend wird es dann für andere Nutzungsformen wie Carsharing-Dienste, das Fahrrad oder den öffentlichen Verkehr mehr Platz, Raum und Geld geben.

Sie fordern, dass Autos weniger finanziert werden sollen. Der Politik haben Sie Vorschläge zur Finanzierung des 29-Euro-Tickets gemacht. Unter anderem ist inbegriffen, dass es keine Dienstwagenpauschale mehr geben soll. Wie argumentieren Sie gegenüber Selbstständigen?

Das Dienstwagenprivileg ist nicht für Selbständige gedacht, sondern es ist ein Verschenken von Autos. Unternehmen kaufen Wagen und geben sie ihren Angestellten umsonst. Die Angestellten müssen diese mit 1 Prozent des Bruttopreises versteuern. Auf diese Art und Weise schaffen es Unternehmer und Angestellte, den Wert eines Autos durch steuerliche Geschenke praktisch zu halbieren.

Das wollen wir unbedingt verhindern. Das Auto sollte, wenn es nicht unmittelbar als Produktionsmittel für den Erwerb notwendig ist, nicht mehr steuerlich als Kosten geltend gemacht werden können.

Was genau erforschen Sie mit Ihrem Projekt „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“ und was sind Ihre Ziele?

Wir erforschen, wie wir uns bewegen, warum wir das tun und mit welchen Mitteln. Wir fragen: Wie können wir unser Bewegungsverhalten verändern und wie können wir weniger Autos haben? Wie können wir Städte lebenswerter machen auch Menschen mit unteren Einkommensklassen mehr Beweglichkeit ermöglichen? Wie können wir die Privilegien abschaffen?

Zusammenfassend: Wie können wir eine moderne, arbeitsteilige Gesellschaft weiterentwickeln, aber sie mit einer anderen verkehrlichen Grundordnung versehen, in der nicht alles auf das Auto gesetzt, sondern mit mehreren Verkehrsmitteln gleichermaßen vorliebgenommen wird? Das ist unser Ziel und das natürlich alles vor dem Hintergrund der Klimakrise. Gerade für den Verkehr ist es eine wichtige Aufgabe, die CO₂-Werte zu senken.

Auf dem Europäischen Energie Forum Campus in Berlin, dem EUREF-Campus, wurde bereits autonomes Fahren mit einem Shuttlebus getestet. Wie sind Ihre Erfahrungen damit?

Die Erfahrungen waren wunderbar. Menschen gehen davon aus, dass autonome Fahrzeuge tatsächlich kommen und sie damit gut und sicher unterwegs sind. Der Technikoptimismus ist recht hoch. Vor allem möchten ältere Menschen gerne von der Haustür abgeholt und zu einem Ort hingebracht werden. Da könnten autonome Fahrzeuge eine wunderbare Rolle spielen.

Insgesamt forschen Sie, wie Städte autofrei werden können, und Sie wollen, dass in diesen Städten autonome Busse fahren. Ich versuche mir gerade die Zukunft vorzustellen. Könnte das nicht vielleicht sehr utopisch sein? Zum Beispiel frage ich mich, welche Gefahren die autonomen Busse haben?

Ohne Gefahr ist natürlich nichts. Wir wollen die Städte nicht autofrei machen, sondern autoarm.

Das Auto ist deshalb ein Problem, weil jeder eins besitzt und es exklusiv hält, aber nur 5 bis 6 Prozent der Zeit das Auto tatsächlich nutzt. Wir wollen, dass mehr Menschen weniger Autos zusammen nutzen, damit eine höhere Flexibilität für alle erreichen und weniger Ressourcen verbrauchen. Das passt alles schon wunderbar zusammen.

Wenn Autos nur 5 bis 6 Prozent genutzt werden, inwieweit sind sie dann ein großes Problem für die Umwelt?

Weil sie erstens produziert und zweitens irgendwo hingestellt werden müssen. Drittens ist die Summe von 5 Prozent bei fast 49 Millionen Pkw in Deutschland enorm hoch. Es gibt ein deutliches Potenzial, die Autos zu vermindern und weniger zu fahren.

Wie viele Menschen nutzen ein Auto, ein Fahrrad oder die Bahn?

Das ist mit dem sogenannten „Model Split“, einer Statistik über die Verteilung der Verkehrsträger, relativ genau erhoben. In Berlin war das Auto vor der Pandemie bei den täglichen Wegen 22 Prozent beteiligt, das Fahrrad mit immerhin schon 24 Prozent und der öffentliche Verkehr mit 28 Prozent. Der Rest ist zu Fuß gegangen. Da sind die anderen Verkehrsmittel schon deutlich mehr als Autos.

Die zurückgelegten Entfernungen müssen aber auch dazugenommen werden. Bei weiteren Strecken liegt das Auto mit 40 Prozent der Verkehrsleistungen deutlich vorne.

Ist es überhaupt nötig, eine radikale Verkehrspolitik zu fordern, wenn nur 22 Prozent der Menschen das Auto nutzen?

Das genau ist der Punkt: Das Auto steht rum. In Berlin nimmt es 80 Prozent der gesamten Verkehrsfläche ein. Wenn sich mehr Leute Autos teilen, bräuchte es nicht so viele – für jeden eins oder sogar zwei. Wir haben jetzt 1,2 Millionen Autos in Berlin. Das heißt also, wenn man das Auto besser nutzt, dann könnten alle was davon haben.

In Ihren Plänen sind parkplatzfreie Stadtteile inbegriffen. Was genau ist die Idee dahinter?

Das ist genau dieselbe Idee. Das Auto ist deshalb so bequem, weil es vor der Tür steht. In Berlin kostet das Parken sehr wenig oder gar nichts. Ein Anwohnerparkausweis, sofern man einen braucht, kostet zehn Euro im Jahr. Dementsprechend haben Menschen das Auto aus Bequemlichkeit als eine Art „Mobilitätsreserve“. Es ist interessant, was passieren würde, wenn die Menschen den Parkplatz nicht mehr hätten.

Was vermuten Sie?

Die Arbeitshypothese ist, dass zumindest ein Drittel dieser Menschen ihr Auto abschaffen und ein anderes Drittel auf Alternativen wie Carsharing zurückgreifen würde. Ein Drittel verbliebe und sagt: „Nein, ich kann auf mein Auto auf keinen Fall verzichten.“ Sie würden auch ein Parkhaus bezahlen und weiter am Auto festhalten.

Was ist mit den Menschen, die tatsächlich auf ihr Auto angewiesen sind?

Was ist angewiesen? In Berlin ist keiner auf ein Auto angewiesen, es gibt jederzeit Alternativen. Die sind meistens nur teurer oder unbequemer. Das wollen wir ändern. Es gibt praktisch kaum Menschen, die sagen: „Ich brauche das Auto“, sondern sie sagen unter den Umständen: „Wie ich in Berlin lebe, habe ich das Auto günstiger, weil es bequemer und schöner ist.“

Glauben Sie persönlich tatsächlich, dass so viele Menschen bereit sein werden, auf ihr Auto zu verzichten, obwohl es ihnen ein Stück weit persönliche Unabhängigkeit verschafft?

Die Alternative zum Auto ist das bessere Auto. Unser Ziel ist: Wenn Sie von A nach B wollen oder Sie etwas transportieren müssen, soll das jederzeit gelingen, ohne ein eigenes Auto haben zu müssen.

Sie haben oft Carsharing angesprochen. Was ist, wenn eine Person ein Auto braucht, aber kein Auto von einem Carsharing-Anbieter in der Nähe ist?

Dann bestellt man sich beispielsweise ein Sammeltaxi on demand. In Berlin gab es Clever-Shuttle. Es gibt viele andere Dienste, die ähnlich sind. Auch das Taxi ist eine Option; dies muss natürlich günstiger werden. Es könnte günstiger werden, wenn man die Privilegien des Autos entzieht.

Jeder glaubt, er hätte ein Auto gekauft und damit auch gleichzeitig einen Parkplatz. Ein Parkplatz kostet die Kommunen (und damit uns allen) 3.000 bis 5.000 Euro im Jahr. Wer soll den bezahlen?

Carsharing-Dienste sind häufig teuer. Gibt es Vorschläge für die Regierung, diese zu subventionieren oder anderweitig zu vergünstigen?

Bleiben wir bei Berlin: Jetzt haben Sie ein privates Auto, das steht auf der Straße vor der Tür und Sie zahlen nicht. Der Carsharing-Anbieter ist im Hinterhof und hat für 110 Euro einen privaten Stellplatz gemietet, weil er nicht woanders parken und seine Dienste anbieten darf. Jetzt drehen wir das um: Der Carsharing-Dienst geht vor die Tür in den öffentlichen Raum und zahlt nichts, die Person mit dem privaten Auto muss im Hinterhof parken und 110 Euro zahlen. Dann dreht sich die Welt ganz anders.

Carsharing-Dienste müssen in großen Städten im Schnitt etwa 1.200 Euro an Parkgebühren im Jahr bezahlen, das private Auto wird in der Regel mit maximal 30 bis 50 Euro zu Kasse gebeten.

Wo Autos Teil des öffentlichen Nahverkehrs sind, müssen sie begünstigt werden. Autos, die nur privilegiert für einen alleine sind, müssen teurer werden.

Wo sollen die Fahrzeuge der Carsharing-Dienste abgestellt werden, wenn alle ihre Parkplätze belegt sind? Wenn es mehr Carsharing-Dienste gibt, müsste es wiederum mehr Parkplätze geben.

Wenn wir weniger private Autos insgesamt haben, kann dieser gewonnene Platz für Carsharing-Autos genutzt werden. In der Bundesrepublik haben wir im Moment 49,4 Millionen Autos und 40.000 Car-Sharing Autos. Also wir leben noch in einer sehr zurückliegenden Welt.

Haben Sie Vorschläge für die Entwicklung des Verkehrs auf dem Land, wo dann ein Großteil der Menschen auf das Auto angewiesen ist?

Auch da gilt das Gleiche, wie wir es in der Stadt haben. Sie nehmen Ihr Smartphone, geben ein, dass Sie um 16 Uhr von A nach B wollen, und es nimmt Sie jemand mit, der dort entlangfährt. Wunderbar. Und von B geht das wieder zurück. Das ist Mitfahren, das ist Pooling und viele kleine Pilotprojekte machen das schon.

Es muss sich natürlich erst durchsetzen und dann müssen Sie auch dafür bezahlen. Aber auch im ländlichen Raum geht ein Leben mit deutlich weniger Autos.

Über den Autor:

Prof. Dr. Andreas Knie ist seit 1988 Politikwissenschaftler am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB). Seit 2020 leitet er die Forschungsgruppe „Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung“. Zusätzlich arbeitet er seit 1996 als Professor an der Technischen Universität (TU) Berlin für Soziologie.



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