Zu Unrecht unbeliebt: Wieso Hörgeräte sinnvoll sind

Millionen Menschen hören schlecht – ohne es zu wissen oder ohne etwas dagegen zu unternehmen.
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Bei langem Hören mit Kopfhörern raten Fachleute zu Pausen.Foto: iStock
Epoch Times3. März 2024

Kaum jemand läuft ohne Brille oder Kontaktlinsen herum, wenn er schlecht sieht. Aber bei schlechtem Gehör tragen bei Weitem nicht alle ein Hörgerät. Das hat negative Folgen, die weit über das Hören hinausreichen.

Viele Vorurteile über Hörhilfen sind inzwischen überholt, wie Hörakustiker berichten. Neueste Systeme sind nahezu unsichtbar und können dank Künstlicher Intelligenz viel mehr, als für besseres Gehör zu sorgen.

Forscher der Universität Mainz hatten 2023 Daten von 5024 Menschen ausgewertet – vom jungen Erwachsenen bis zum Über-80-Jährigen. Dabei stellten sie fest, dass knapp die Hälfte der Teilnehmenden nach der sogenannten Hilfsmittel-Richtlinie die Voraussetzung für ein Hörgerät auf beiden Seiten erfüllte.

Aber lediglich 7,7 Prozent hatten tatsächlich zwei Hörgeräte. Dabei war das Hörvermögen der Frauen im Schnitt besser als das der Männer. Mit zunehmendem Alter zeigte sich eine deutlich erhöhte Prävalenz der Hörstörungen.

„Massive Unterversorgung“

Die Koblenzer Hörakustikmeisterin Eva Keil-Becker kennt die Vorurteile, die Menschen gegenüber Hörgeräten haben. „Früher sah man das als Stigma. Hörgeräte sahen aus wie hautfarbene Bananen.“

Diese Zeiten seien lange vorbei. „Moderne Hörgeräte sind Wunderwerke der Technik, die kleinsten tragbaren Computer der Welt“, sagt Keil-Becker vor dem Welttag des Hörens am 3. März.

Viele bemerken ihre Schwerhörigkeit erst sehr spät

Die „massive Unterversorgung“ mit Hörgeräten habe aber auch einen anderen Grund, glaubt die Vizepräsidentin der in Mainz ansässigen Europäischen Union der Hörakustiker (EUHA) und Geschäftsführerin eines Familienunternehmens mit mehr als 20 Fachgeschäften.

„Hörverlust ist ein schleichender Prozess. Bis man es bemerkt, dauert es im Schnitt sieben Jahre.“ Laut EUHA leiden 5,4 Millionen Menschen in Deutschland unter einer Hörminderung, darunter mehr als 500.000 Kinder.

Schlechtes Hören erhöht das Alzheimer-Risiko

Wenn man schlecht hört, ist es nicht damit getan, Gesprächspartner zu bitten, deutlicher zu sprechen, oder den Fernseher lauter zu stellen. Oft gehe schlechtes Hören zum Beispiel mit Schwindel und auch Tinnitus einher, so Keil-Becker.

Wer schlecht hört, hat auch ein erhöhtes Demenz-Risiko. Eine internationale Forschergruppe (The Lancet Commission on Dementia and Prevention) listet zwölf Risikofaktoren auf, die das Alzheimer-Risiko erhöhen – Hörverlust ist einer davon.

„Das Gehirn braucht Input“, erklärt der Leiter des Kölner Alzheimer Präventionszentrums, Frank Jessen, den Zusammenhang. Wer schlecht höre, bekomme weniger Informationen und habe dadurch ein höheres Alzheimer-Risiko. Daher sollte ein Hörgerät ebenso selbstverständlich sein wie eine Brille.

Zuerst fallen die hohen Frequenzen aus

Bei der typischen Altersschwerhörigkeit gehen zuerst die hohen Frequenzen verloren, erklärt die Hörakustikerin ihren Kunden.

Im Bereich der hohen Töne liegen die meisten Konsonanten und damit der Großteil der Informationen. Von vielen Menschen hört Keil-Becker daher oft die Aussage: „Ich höre, aber ich verstehe nicht, was gesagt wird.“

Der erste Schritt ist also, das Gehör testen zu lassen. Wird dann ein Hörgerät empfohlen, muss sich der Kunde im Klaren sein: „Es gibt kein neues Hören auf Knopfdruck“, sagt Keil-Becker. „Das ist nicht wie beim Optiker, wo man eine Brille aufsetzt und man sieht gut.“

Die drei Ks: Komfort, Klang, Kosmetik

Auswahl und Anpassung eines Hörgeräts sind nicht trivial. Denn das Angebot an Geräten ist groß und die Bedürfnisse der Kunden verschieden.

Der Akustiker orientiert sich „an den drei Ks“, wie Keil-Becker erklärt: „Komfort, Klang, Kosmetik“. Wer viel in Konzerte geht oder Berufsmusiker ist, braucht optimale Tonqualität. Für Menschen, die viel Sport machen, ist es wichtig, dass das Gerät robust ist.

Die Hörakustikmeisterin Eva Keil-Becker mit einem winzigen Hörgerät.

Die Hörakustikmeisterin Eva Keil-Becker mit einem winzigen Hörgerät. Foto: Boris Roessler/dpa

Anders als bei Brillen zahlen die gesetzlichen Krankenkassen viel zu, laut Keil-Becker 700 bis 800 Euro pro Seite. Wer nichts drauflegen will, für den gibt es Basismodelle, bei denen nur eine Zuzahlung von zehn Euro pro Ohr fällig wird.

Integrierter Fitnesstracker und andere Extras

Die neuesten Geräte haben zahlreiche Zusatzfunktionen – und bekommen dank KI immer weitere dazu. Viele Hörgeräte kann man auf Wunsch per App vom Handy aus steuern. Schon heute gibt es Geräte mit integriertem Fitnesstracker oder Sturzdetektor. In der Entwicklung sind Hörgeräte, die den Träger erinnern, seine Medikamente zu nehmen.

Altersschwerhörigkeit ist eine häufige, aber nicht die einzige Indikation für ein Hörgerät. Schon Kinder und auch Neugeborene können schlecht hören.

Weil der Input über die Sprache so wichtig ist für die Entwicklung, ist es nötig, Schwerhörigkeit so früh wie möglich zu erkennen und gegenzusteuern. Auch bei Tinnitus – einem oft stressbedingten Pfeifen im Ohr – kann ein Hörgerät hilfreich sein.

Regelmäßige „Hörpausen“ einlegen

Die Europäische Union der Hörakustiker empfiehlt regelmäßige Hörtestungen ab dem 50. Lebensjahr. Den Fachleuten ist neben der Aufklärung auch die Prophylaxe wichtig.

Was Keil-Becker immer wieder auffällt: dass viele junge Menschen gefühlt den ganzen Tag einen Kopfhörer auf oder im Ohr haben. Auf Dauer werde damit der Hörnerv überstrapaziert. Besser sei es, regelmäßig „Hörpausen“ einzulegen und „achtsam mit dem eigenen Gehör umzugehen“.
(dpa/red)



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