Ärzteblatt: Impfstoffe könnten Immunantwort gegen Coronavirus-Varianten schwächen

Verschiedene Studien weisen auf geringen Effekt der Vakzine hin. Impfstoffhersteller präsentieren hingegen positive Ergebnisse.
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Viel hilft nicht unbedingt viel, zeigen verschiedene Studien aus den USA.Foto: iStocks/Teka77
Von 10. Februar 2023

Einen durchaus kritischen Blick auf die Sinnhaftigkeit der Impfung wirft das „Ärzteblatt“ – in einem Artikel mit der Überschrift „Immune Imprinting: Kann denn Impfen Sünde sein?“, dass eine frühere Impfung die Reaktion auf aktuell zirkulierende Stämme beeinträchtigen könne.

Dies gelte auch für eine Infektion mit einer Prä-Omikron-Variante. Das Argument der Originalantigensünde (Original Antigenic Sin, OAS), auch als „Immune Imprinting“ (Immunprägung) bekannt, steht dabei im Raum. Das Fachblatt zitiert aus verschiedenen Studien. Dabei gehen die Meinungen – je nach Auftraggeber der Studien – zum Teil weit auseinander.

Seit Jahren Diskussionsthema

Die Theorie hinter dem „Immune Imprinting“ besagt: Ist der Körper bereits einmal in Kontakt mit einem Virus gekommen, bildet er bei Kontakt mit einer neuen Virusvariante vor allem Antikörper gegen solche Molekülstrukturen (Epitope), die bereits auf der ursprüng­­lichen Virusvariante vorhanden waren.

Die Reifung naiver B-Zellen (Zellen, die noch keinen Kontakt zu ihrem Antigen hatten), die neue Epitope binden, würde unterdrückt. Über dieses Phänomen diskutierten Forscher bereits seit Jahren. Zunächst im Zusammenhang mit Influ­enza, inzwischen aber auch bei SARS-CoV-2.

In einem aktuellen Kommentar in „The Lancet“ stellen sich auch Sebastian Hoehl und Sandra Ciesek vom Universi­täts­klinikum Frankfurt die Frage: „Haben wir eine Erbsünde begangen, indem wir mit dem Spike-Protein einer inzwischen verdrängten SARS-CoV-2-Variante geimpft haben, die fortan unsere Immunreaktion auf Varianten und Impfstoffe der Zukunft hemmen wird, was zu höherer Morbidität und Mortalität führt?“

Bivalenter Booster verbessert Antikörperantwort nicht

Mittlerweile lägen auch SARS-CoV-2-Studien zur Antikörperantwort auf die neuen, angepassten Impfstoffe vor, die die Diskussion neu entfachten. So hätten Forscher die Antikörperantwort des bivalenten Impfstoffs gegen den Wildtyp und den Omikron-Subtyp BA.5 mit der durch den ursprünglichen monovalenten Impfstoff verglichen. Dies belegten verschiedene Studien. Bei allen Untersuchungen habe sich gezeigt, dass die Antikörperantwort gegen die Ursprungsvariante am höchsten war. Dies übrigens unabhängig von der Art des Impfstoffs.

Zwei Studien deuteten wiederum darauf hin, dass ein biva­len­ter Booster die Antikörperantwort im Vergleich zu dem monovalenten Booster nicht verbessere. So zeigte sich in der im Januar 2023 publizierten Untersuchung der Columbia University in New York City und der University of Michigan, Ann Arbor, etwa dreieinhalb Wochen nach der Gabe beider Impfstoffe „kein signifikanter Unterschied in der neutralisierenden Wirkung gegen verschiedene SARS-CoV-2-Varianten – auch nicht gegen BA.5“.

Impfstoff verstärkt T-Zellantwort unwesentlich

Forscher vom Beth Israel Deaconess Medical Center in Boston kommen laut „Ärzteblatt“ zu einem vergleichbaren Ergebnis. Sie fanden einen moderaten, nicht signifikanten Anstieg der Antikörperantwort gegen BA.5 durch den bivalenten Impfstoff im Vergleich zum monovalenten Impfstoff. Die Impfstoffe verstärkten die T-Zellantwort nur unwesentlich.

Beide Autorenteams gehen davon aus, dass der nur gering höhere Effekt des bivalenten Impfstoffs im Ver­gleich zum monovalenten Impfstoff auf eine mögliche Immunprägung hindeuten könnte. Immunprägung ist eine Tendenz des Körpers, seine Immunantwort basierend auf der ersten Variante, auf die er gestoßen ist – durch Infektion oder Impfung – zu wiederholen, wenn er auf eine neuere oder etwas andere Variante desselben Erregers stößt.

Datenbank für das Immunsystem

Das Phänomen beobachteten Wissenschaftler erstmals 1947. Sie stellten fest, dass „Menschen, die zuvor eine Grippe hatten und dann gegen den aktuellen zirkulierenden Stamm geimpft wurden, Antikörper gegen den ersten Stamm produzierten, dem sie begegnet waren“. So hieß es in einem Bericht, der in der Zeitschrift „Nature“ erschien. Im Laufe der Jahre haben die Forscher erkannt, dass die Prägung als Datenbank für das Immunsystem fungiere. Sie helfe ihm, besser auf wiederholte Infektionen zu reagieren. Nachdem der menschliche Körper zum ersten Mal einem Virus ausgesetzt ist, produziert er Gedächtnis-B-Zellen. Diese zirkulieren im Blutkreislauf und produzieren schnell Antikörper, wenn derselbe Stamm des Virus erneut infiziert wird.

Das Problem tritt auf, wenn der Körper auf eine ähnliche, nicht identische Variante des Virus trifft. In solchen Fällen aktiviert das Immunsystem, anstatt neue B-Zellen zu erzeugen, Gedächtnis-B-Zellen, die wiederum „Antikörper produzieren, die an Merkmale binden, die sowohl in den alten als auch in den neuen Stämmen gefunden werden, bekannt als kreuzreaktive Antikörper“, heißt es in dem „Nature“-Bericht weiter. Obwohl diese kreuzreaktiven Antikörper einen gewissen Schutz gegen den neuen Stamm bieten, sind sie nicht so wirksam wie die, die die B-Zellen produzieren, nachdem der Körper zum ersten Mal mit dem ursprünglichen Virus in Kontakt kam.

Lauterbach: Impfstoffen sind Grenzen gesetzt

Einem möglichen „Immune Imprinting“ wider­spricht wiederum Leif-Erik Sander von der Medizinischen Klinik mit Schwerpunkt Infektiologie und Pneumologie der Charité in Berlin. Im Vergleich zum mono- und bivalenten Booster habe eine Durch­bruchinfektion mit BA.5 in der Studie der Columbia University zu einer „deutlich verbesserten Neutralisation gegen diese Variante“ geführt.

„Das spricht für mich gegen die Originalantigensünde als Problem“, erläuterte Sander die Ergebnisse der bereits im Oktober 2022 als Preprint erschienen Studie auf. Eventuell sei eine geringe Dosierung des adaptierten BA.5-Anteils beziehungsweise die bivalente Formulierung mit dem Wildtyp „nicht ideal“, so der Impfstoffforscher. Im selben Atemzug sprach er aber auch von „ernüchternde[n] Sero-Daten zum adaptierten bivalenten BA.5-Booster (…)“.

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hatte die Ergebnisse der Preprints ebenfalls schon im Ok­to­ber 2022 auf Twitter kommentiert: „Wenn sich die Ergebnisse aber bestätigen, sind den Varianten-angepass­ten Impfstoffen Grenzen gesetzt. Zumindest in Bezug auf den Infektionsschutz.“

Charité-Forscher: Immunsystem „vollkommen unflexibel“

Auch Ergebnisse einer im Sommer 2022 im Magazin „Science“ veröffentlichten Studie könnten für das Auftreten eines „Immune Imprintings“ sprechen. Die Studie zeigte unter ande­rem, dass eine Infektion mit der Wuhanvariante vor einer Impfung eine Boosterung des Immunsystems (Anti­körper- und T-Zellantwort) nach drei Impfungen (mRNA-Vakzin) und anschließender Omikroninfektion verhin­der­te.

Dabei seien die Antikörperspiegel bei den zuvor mit der Wuhanvariante Infizierten „niedriger als solche, die nicht vorher infiziert waren, dann dreimal geimpft und dann mit Omikron infiziert waren“, erläuterte Sander im Coronavirus-Podcast des „Norddeutschen Rundfunks“.

Für die Studien-Autoren war dies ein deutlicher Hinweis auf eine Antigenerbsünde, „weil dieser aller­erste Viruskontakt das Immunsystem so geprägt haben müsse. Es sei daher laut Sander „vollkommen unflexibel“ und nicht mehr in der Lage, zu reagieren.

Allerdings wies der Virologe auch darauf hin, dass nur wenige Personen an der Studie teilgenommen hätten. Es lasse sich daher nur schwer ein Effekt herausarbeiten – zumal die gleiche Arbeit wider­sprüchliche Ergebnisse ergeben hätte.

BioNTech und Moderna mit anderen Ergebnissen

Weitere Untersuchungen – unter anderem von den Impfstoffherstellern Moderna und BioNTech/Pfizer stimmten laut „Ärzteblatt“ hingegen „zuversichtlicher“. Sie zeigten eine etwa zwei- bis sechsfach höhere Antikörperantwort gegen BA.5 durch den biva­lenten Impfstoff im Vergleich zum monovalenten Impfstoff.

Auch gegen andere SARS-CoV-2-Varianten wie beispielsweise gegen XBB.1 habe der bivalente Impfstoff höhere Antikörpertiter als der ursprüngliche Impfstoff erzielt. Doch auch hier war die Antikörperantwort in allen Kohorten gegen die Ursprungsvariante am höchsten.

FDA will jährliche COVID-Impfung

Die amerikanische Food and Drug Administration (FDA) hatte wiederum moniert, dass die Teilnehmerzahl (Kohorten) beider Studien, deren Ergebnisse auf ein „Immune Imprinting“ hinweisen, zu klein gewesen sei. Endgülti­ge Schlussfolgerungen über die Booster könnten daher nicht gezogen werden.

Die Forscher der Columbia University hatten 21 und das Team vom Beth Israel Deaconess Medical Center 18 Personen untersucht, die den bivalenten Impfstoff erhalten hatten. Moderna hatte 511 Personen untersucht, die den neuen Booster erhalten hatten. Bei BioNTech/Pfizer waren es 74.

Erst kürzlich hatten sich FDA-Berater für eine jährliche COVID-19-Impfung in den USA ausgesprochen. Eine Empfehlung der Ständigen Impfkommission (STIKO) für jährliche COVID-19-Impfungen hierzulande gibt es noch nicht.

Hessen: Über 400 Anträge von Impfgeschädigten

Unterdessen sind beim Regierungspräsidium (RP) Gießen mehr als 400 Anträge auf Entschädigungen nach COVID-Impfungen eingegangen. Die Behörde bearbeitet die Anträge für Hessen, teilt das „Ärzteblatt“ unter Berufung auf die „Deutsche Presse-Agentur“ (dpa) mit. Über 260 habe das RP bereits entschieden, in 22 Fällen erhalten die Antragsteller Entschädigung. Die Anträge beinhalteten auch Hinterbliebenenversorgung und Bestattungsgelder.

Die Grundlagen für mögliche Entschädigungen sind im Paragraph 60 des Infektionsschutzgesetzes geregelt. Jeder Antragsteller muss nachweisen, dass er eine oder mehrere Impfungen erhalten habe. Ebenso müssen Betroffene der Behörde Gesundheitsschäden nachweisen. Dafür sind Berichte der jeweiligen behandelnden Ärzte vorzulegen. Die gesundheitlichen Probleme müssten auch mehr als sechs Monate aufgetreten seien. Ein Zusammenhang mit der Impfung sei nachzuweisen. „Es reicht für die Annahme des ursächlichen Zusammenhangs nicht aus, dass dieser nur möglich ist“, heißt es beim Regierungspräsidium.

Für eine Entschädigung geltend gemacht würden Angstzustände, Sehstörungen, Hirninfarkt, Migräne, Herzmuskelentzündungen, Schwindel, kreisrunder Haarausfall, Diabetes, Allergien oder Tinnitus. Anerkannt würden aber überwiegend die Folgen von Herzmuskelentzündungen, Sinusvenenthrombosen oder das Guillain-Barré-Syndrom, eine seltene Nervenerkrankung, die im schlimmsten Fall zu einer Lähmung führen kann.



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