Der gewerkschaftliche Streik – ein archaisches Relikt

Über Gewerkschaften, öffentliche Arbeitgeber und das Ungleichgewicht der Machtverteilung. Ein Gastkommentar.
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„… die öffentlichen Arbeitgeber sind keine echte Gegenmacht gegen die Arbeitnehmerorganisation...“Foto: iStock
Von 23. Januar 2024

Man muss sich über den Langmut wundern, in dem eine sonst an Recht, Regel und Vertragstreue – kurz an zivilisierte Umgangsformen – gewohnte Öffentlichkeit den Einbruch mittelalterlicher Formen kruder Machtdurchsetzung hinnimmt. Normalerweise fallen Methoden, wie sie namentlich die im öffentlichen Bereich tätigen Gewerkschaften, aktuell gerade die kleine Eisenbahnergewerkschaft GDL, anwenden, unter die strafrechtlich zu ahnenden Tatbestände: Erpressung, Geiselnahme, Nötigung.

Sie sollte für die Schäden haftbar gemacht werden können, die sie bei nicht beteiligten Dritten anrichtet. Indessen bleibt unser GWB (Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen) stumm gegen diese Art des Schädigungskampfes. Der Arbeitsmarkt wird nicht einmal als Ausnahmebereich erwähnt. Es gilt hier der Grundsatz: Wer dem anderen länger den Hals zudrücken kann, hat recht.

Es herrscht auf diesem Markt nicht einmal ein „Gleichgewicht des Schreckens“: Die öffentlichen Arbeitgeber sind keine echte Gegenmacht gegen die Arbeitnehmerorganisation, weil sie selber nur angestellt sind und sich zur Not mit staatlichen Mitteln (über den Steuerzwang) finanzieren können. Das beeinträchtigt ihre Widerstandskraft. Auch sonst ist die Arbeitgeberseite seit Langem eher auf dem Rückzug.

„Öffentliche Arbeitgeber können ja nicht sterben“

Der Staat versäumt hier die Durchsetzung des Rechtsfriedens. Kurt H. Biedenkopf schrieb einmal: „Die Kartellpartner fordern und erhalten das Recht zur Privatfehde, ohne dass sie einer vollziehbaren Haftung gegenüber dem Ganzen unterworfen wären, dessen Teil sie sind. Dem Staat setzen sie ihr Recht als Private, den Privaten ihre Befugnisse als Gesetzgeber entgegen.“

Eine Sozialbindung ist hier offenbar unbekannt. In der Geschichte der Streiks kam es häufig auch schon zu physischer Gewaltanwendung, etwa von Streikposten gegen sogenannte Streikbrecher. Zudem ist ein so erzwungener Vertrag nicht „abdingbar“, sondern hoheitlich verbindlich für die Beteiligten und manchmal („Allgemeinverbindlichkeit“) auch für Nichttarifpartner, wobei der Ausdruck „Partner“ ein Euphemismus ist. Diese „Partnerschaft“ mit Tarifzwang hat schon oft zum Untergang von privaten Unternehmen geführt. Aber öffentliche Arbeitgeber können ja nicht sterben.

Rebus sic stantibus – bei gleichbleibenden Umständen

Ursprünglich war der Streik ein Notstandsrecht, als solcher im Kampf ums Überleben zu billigen. Aber worum geht es heute? Um Lohnprozente, um eine weitere Verringerung der Arbeitsstunden, um Nebenkonditionen wie Pausenregelungen. Eine Situation, die den Gebrauch des Streiks als „ultima ratio“ rechtfertigt, ist heutzutage gar nicht mehr vorstellbar.

Der Staat unternahm bisher kaum einen Anlauf zur Kodifizierung des „Arbeitskampfrechts“. An seine Stellen treten Arbeitsgerichte als stark gewerkschaftlich beeinflusste Ersatzgesetzgeber. Es herrscht kein echtes Gleichgewicht der Macht mehr. „Aussperrungen“ seitens der Arbeitgeber kommen kaum mehr vor.

Nicht einmal frivole „Warnstreiks“ sind mehr ausgeschlossen, wie wir gerade erleben. Arbeitgeberverbände, Gerichte, die allgemeine Öffentlichkeit haben das gewerkschaftliche Selbstverständnis unkritisch übernommen. So konnte sich die Lehre vom legitimen Ausnahmezustand im Bereich der Arbeitsbeziehungen durchsetzen.

Rebus sic stantibus wäre eine Regelung nach Art des Schweizer Friedensabkommens, die wünschenswert wäre. Hier unterwerfen sich die Tarifpartner verbindlichen Schlichtungsregelungen (bereits seit 1938). Auch eine Art Taft-Hartley-Regelung wie in den USA (1947) könnte sinnvoll sein.

Dem ordoliberalen Alexander von Rüstow ist wohl zuzustimmen, wenn er schrieb, dass das „illiberale Wohlwollen gegenüber dem Monopolismus der Gewerkschaften“ als ein Symptom „jener subsozialistischen Knochenerweichung aus schlechtem sozialen Gewissen“ gelten könne.

 

Über den Autor: 

Prof. Gerd Habermann ist seit 2003 Honorarprofessor an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam, Wirtschaftsphilosoph und freier Publizist. Er ist Mitbegründer der Friedrich-August-von-Hayek-Stiftung für eine freie Gesellschaft.

Dieser Beitrag stellt ausschließlich die Meinung des Verfassers dar. Er muss nicht zwangsläufig die Sichtweise der Epoch Times Deutschland wiedergeben.


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