Jurist zu UN-Migrationspakt: Gegenüberstellung von „rechtlicher“ und „nur politischer“ Bindung ist irreführend

„Die Herrschaft des Unrechts“ – unter diesem Titel veröffentlichte der Jurist Dr. Ulrich Vosgerau ein Buch zur Grenzöffnung durch Kanzlerin Merkel. Jetzt meldet er sich wieder zur Wort mit einer Kritik am UN-Migrationspakt und dessen Darstellung als "bedeutungslos".
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Löst sich der deutsche Rechtsstaat auf?Foto: iStock
Von 16. November 2018

Der Hauptredner der CDU/CSU-Bundestagsfraktion in der Bundestagsdebatte über den Global Compact on Safe, Orderly and Regular Migration am 8. November 2018, Stephan Harbarth, führte die Bedenken nicht weniger Abgeordneter und um so mehr Bürger überall in Deutschland gegen den Global Compact hauptsächlich auf Bildungsmängel zurück: „Ich kann mir sie eigentlich nur so erklären, daß das Völkerrecht heute in vielen Bundesländern nicht mehr zum Kernbereich der juristischen Ausbildung gehört“ (Plenarprotokoll 19/61, S. 6813).

Dass Harbarths eigene völkerrechtliche „Ausbildung“ allerdings auch nicht übermäßig in die Tiefe ging, diesen Verdacht löst schon die Lektüre einer von Harbarth (gemeinsam mit einem Ko-Autor) verfaßten Argumentationshilfe zum Thema Global Compact für die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 25. Oktober 2018 aus („Gegenwärtige Falschinformationen zum globalen Pakt für eine sichere, geordnete und reguläre Migration“).

Denn in dieser nach Art eines „Faktenchecks“ aufgebauten Handreichung wird das eigene – angebliche – Verständnis eines hochkomplizierten, teilweise unverständlichen, vielfach selbstwidersprüchlichen Rechtstextes ohne jede weitere rechtliche Argumentation (warum ist unsere Auslegung allen anderen möglichen Deutungen vorzuziehen?) als eine „wahre Tatsache“ hingestellt, konkurrierende und abweichende Auslegungsarten hingegen werden als „Falschbehauptungen“ deklariert.

Beim Streit um den Global Compact geht es um das mögliche, künftige Verständnis eines zentral wichtigen völkerrechtlichen Dokuments

Dies ist erkennbar methodisch so unsinnig, daß es unredlich wirkt. Zwischen „Wirklichkeit“ und „Falschbehauptungen“ kann man nur im Hinblick auf bereits vorhandene, äußere, empirische Tatsachen unterscheiden; beim Streit um den Global Compact geht es hingegen um das mögliche, künftige Verständnis eines zentral wichtigen völkerrechtlichen Dokuments und die mit künftig möglichen Deutungsarten unter Umständen verbundenen Folgen gerade für die Bundesrepublik Deutschland.

Bei der Lektüre dieser Argumentationshilfe – und noch mehr beim Anhören des Redebeitrages von Harbarth im Deutschen Bundestag – steht der halbwegs kundige Leser und Hörer daher unwillkürlich vor der Frage, ob Harbarth eigentlich selber, rein subjektiv, an das glaubt, was er sagt, oder ob er es persönlich eigentlich besser weiß und seine Ausführungen nur dazu dienen, die Mitglieder der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bzw. die gesamte deutsche Öffentlichkeit ins Bockshorn zu jagen.

Im ersteren Fall ist er ahnungslos, im letzteren unredlich. Und dies ist angesichts der Tatsache, daß Harbarth nun seitens der CDU/CSU als nächster Präsident des Bundesverfassungsgerichts nominiert worden ist (ob er dies auch wird, oder eben nur einfacher Verfassungsrichter, wird der Bundesrat entscheiden, in dem nun offenbar ausgerechnet die Grünen nun das Zünglein an der Waage spielen) einigermaßen beunruhigend.

Was ist das Problem am Global Compact, dieser ganz von den subjektiven Individualrechten eines jeden Migranten ohne Rücksicht auf dessen Migrationsgründe oder seinen möglichen Flüchtlingsstatus her aufgebauten, endlosen Litanei aus Völkerwanderungslob und Staatenpflichten unklaren normativen Charakters? Die Bundesregierung behauptet bekanntlich, der Global Compact sei zwar politisch, keineswegs aber rechtlich bindend. Daher sei der Beitritt der Bundesrepublik zum Pakt politisch von höchster Wichtigkeit und Unverzichtbarkeit, rechtlich aber gleichzeitig glücklicherweise bedeutungslos.

Niemand behauptet, künftig könne wegen des Global Compact z.B. Frankreich Deutschland vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag auf die Aufnahme von mehr Migranten verklagen. Dies ginge aus einer Reihe von Gründen nicht, u.a. schon deswegen nicht, weil die Pflichten aus dem Global Compact nicht gegenüber einem oder mehreren konkreten Staaten, sondern eher gegenüber der Weltgemeinschaft oder den United Nations übernommen werden. Aber hieraus nun zu schließen, der Global Compact sei rechtlich bedeutungslos, wäre verkehrt.

Schon die von der Bundesregierung so betonte Gegenüberstellung von „rechtlicher“ und „nur politischer“ Bindung ist irreführend. Da kein Staat gegen seinen ausdrücklichen Willen vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag auch nur verklagt werden könnte, und da es, selbst wenn ein Urteil aus Den Haag vorläge, im Völkerrecht keine Zwangsvollstreckung, keinen Gerichtsvollzieher und keine Polizei gibt, ist völkerrechtliche Bindung immer politischer Natur – auch bei „richtigen“ völkerrechtlichen Verträgen, in denen ein Staat sich mit klarem Rechtsbindungswillen gegenüber einem anderen Staat zu einer eindeutig definierten Handlung verpflichtet.

Völkerrechtliche Bindung ist immer Selbstbindung, völkerrechtliche Pflichten sind (außer in Extremfällen, wie dem Verbot des Angriffskrieges) immer Selbstverpflichtungen von Staaten. Solche Selbstverpflichtungen sind aber nun im Global Compact überreichlich vorhanden. „Die Welt“ hat 87mal das Wort verpflichten/Verpflichtung oder Synonyme gezählt; dem stehen zwei Fundstellen gegenüber (Ziffern 7 und 15), in denen der Global Compact betont, im Rahmen und bei Einhaltung aller dieser völkerrechtlichen Pflichten bestehe die staatliche Souveränität bei der Gestaltung der eigenen Einwanderungspolitik im übrigen ja durchaus fort.

Die zahllosen Selbstverpflichtungen, die die Staaten im Global Compact zugunsten aller Teilnehmer der kommenden Völkerwanderungen übernehmen, sind natürlich „bindend“ – sonst bräuchte man sie ja nicht schriftlich zu fixieren und feierlich zu proklamieren – nur daß es eben erstens keinen internationalen Rechtszwang gegenüber Staaten gibt, die ihre Selbstverpflichtung dann nicht ernst nehmen, und daß sich zweitens die Staaten nur auf gewisse Ziele hin festlegen, bei der Wahl der Mittel aber frei und „souverän“ bleiben.

Harbarth meldet sich erneut zu Wort – und hat das erste Mal mit irgend etwas Recht

In einem Gastbeitrag in der FAZ (Nr. 265, 14. November 2018, S. 6) meldet Stephan Harbarth sich nun erneut zu Wort, um seine bisherige Argumentation doch beträchtlich umzuakzentuieren. Der Verweis auf die – angebliche – Unverbindlichkeit des Global Compact sei „unter allen Argumenten“ (wie viele gibt es denn sonst noch?) „dasjenige mit der geringsten Überzeugungskraft“. Und damit hat nun selbst Harbarth zum ersten Mal mit irgend etwas Recht. Auch, so räumt er überraschend ein, gebe es im Global Compact „eine Reihe von Forderungen“, die „kritikwürdig sind und die bei isolierter Betrachtung nicht auf die Zustimmung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion stoßen“.

Davon hätte man eigentlich im Rahmen der Bundestagsdebatte am 8. November gern mehr gehört, dafür sind Bundestagsdebatten ja da. Aber es wurde ja nur wieder die AfD beschimpft, auch und gerade von Harbarth. Und politisch brisant ist ja auch, daß die Bundesregierung bis heute jegliche Auskunft darüber verweigert, mit welchen ihrer Forderungen sie sich im Rahmen der Verhandlungen zum Global Compact gegen andere Interessenten durchgesetzt hat und mit welchen anderen Forderungen sie aufgrund welcher Gegner gerade gescheitert ist.

Aber eigentlich hatten wir doch Stephan Harbarths neues Argument kennenlernen wollen, das aufgrund einer höheren Überzeugungskraft – als das mit der mangelnden rechtlichen Bindung – nun alle von den Vorteilen des Global Compact überzeugen wird. Hier ist es:

Wenn […] im Migrationspakt die Rede davon ist, daß der Zugang zu sozialen Grundleistungen, zu einer Gesundheitsversorgung oder zum Arbeitsmarkt vorhanden sein muß, dann ist zunächst nicht Deutschland der Adressat dieser Forderungen. Unsere Verfassung und das europäische Recht geben uns in diesen Bereichen längst unverrückbare Mindeststandards vor, die, in globalem Maßstab betrachtet, hoch sind.“

Das heißt also: uns kann rein rechtlich gar nichts mehr passieren, weil uns rein rechtlich ja alles schon längst passiert ist. Uns fehlen zu unserem Glück rein faktisch nur eben noch weitere Antragsteller, die ihre längst verbrieften Versorgungsrechte, für die wir keinen Global Compact brauchen, nun auch gerichtlich bei uns geltend machen. Und rein juristisch stimmt das auch. Der Anspruch auf soziale Grundleistungen folgt unter dem Grundgesetz bereits aus der Menschenwürdegarantie, er könnte daher nicht z.B. vom Migrationsstatus oder auch nur von der Legalität des Aufenthaltes in Deutschland abhängig gemacht werden.

Und während früher noch ein merklicher Unterschied zwischen Sozialleistungen nach dem Sozialgesetzbuch XII einerseits und dem Asylbewerberleistungsgesetz andererseits bestand – der Asylbewerber erhielt vorwiegend Sachleistungen und keine Beihilfen zu seiner Integration in die Gesellschaft, d.h. also z.B. für gelegentliche Kneipen- oder Kinobesuche, da ja eben noch gar nicht geklärt sei, ob er sich integrieren oder wieder nach Hause zurückkehren solle – hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18. Juli 2012 (1 BvL 10/10, 2/11, BVerfGE 132, 134 ff.) klargestellt, daß diese Unterscheidung vor dem Hintergrund der Menschenwürdegarantie haltlos ist und mithin die Sozialleistungen für Asylbewerber denen für Inländer weitgehend angeglichen werden mußten. Von einem Global Compact ahnte zum Zeitpunkt dieser Weichenstellung noch niemand etwas.

Also ist es insofern durchaus richtig, festzustellen, Deutschland sei insofern nicht „Adressat“ der entsprechenden völkerrechtlichen Selbstverpflichtung, sie sei ja längst erfüllt. Aber stimmt das, und kann man sich darauf verlassen? Mitnichten! Dies zeigt gerade das deutsche Schulsystem – als ob dieses, u.a. auch aufgrund der neuen Völkerwanderung nach Europa, nicht schon genug andere Schwierigkeiten hätte! – umkrempelnde, allgemeine Inklusion teils schwerbehinderter Kinder in die herkömmlichen Regelschulen.

Diese wird auf Art. 24 der Convention of Rights of Persons with Disabilities zurückgeführt. Dort wird das Recht behinderter Kinder auf Bildung „auf der Grundlage der Chancengleichheit“ betont sowie das Verbot, behinderte Kinder vom „allgemeinen Bildungssystem“ auszuschließen. Die Vorschrift hat Deutschland erkennbar niemals „adressiert“, denn in Deutschland bestand seit Jahrzehnten das beste Behindertenbildungssystem der Welt.

Wenn der Sozialstaat die größte zivilisatorische Errungenschaft des 20. Jahrhunderts war (Helmut Schmidt), dann war wohl das deutsche Sonderschulwesen deren Schlußstein. Wo gibt es dergleichen in der Welt? Wo gibt es mehrere eigene Lehrstühle für Sonderpädagogik an jeder Universität, ein eigenes Schulwesen, einen spezifisch ausgebildeten Lehrerstand, der auf behinderte Kinder je nach ihren eigenen Bedürfnissen eingehen kann?

Die UN-Behindertenrechtskonvention hatte selbstverständlich niemals das Ziel, das weltweit beste und höchstentwickelte System der Behindertenbeschulung und -entfaltung zu vernichten; sondern es richtete sich an die zahllosen Staaten der Welt, in denen Behinderte oft gar nicht zur Schule gehen, sondern u.U. tagsüber zu Hause angebunden werden.

Die deutschen Sonderschulen werden nun abgeschafft – als zwingende Folge der UN-Behindertenrechtskonvention

Die deutschen Sonderschulen waren und sind selbstverständlich auch Regelschulen, denn sie sind Teil des allgemeinen, nämlich des staatlichen Bildungssystems, ihre Lehrer sind nicht weniger spezifisch und in eigenen Studiengängen für ihre öffentlichen Aufgaben ausgebildet, als die Gymnasiallehrer mit ihren zwei wissenschaftlichen Fächern.

Wer Sonderschulen, da sie eben für eine bestimmte Art von Schülern da sind, als nicht-allgemeine Bildungseinrichtungen außerhalb des staatlichen Bildungssystems qualifizieren will, der müßte ja Gymnasien auch gleich mit abschaffen, erst recht Sportinternate, Technische und Berufliche Gymnasien, Technikerschulen und Schulen mit „Musikzweig“: denn sie alle sind jeweils für einen bestimmten Typ von Schülern mit besonderem Begabungsprofil und eigenen Bedürfnissen und Interessen da. Nur, wäre man hier halbwegs konsequent, wüßte man ja nicht, wo hinein man die behinderten Kinder dann „inkludieren“ sollte.

Denn die deutschen Sonderschulen werden ja nun abgeschafft, überall die „Inklusion“ teils schwerbehinderter Kinder in die sonstigen Regelschulen erzwungen. Und entgegen der klaren Rechtslage – und dem gesunden Menschenverstand – wird dies überall als zwingende Folge der UN-Behindertenrechtskonvention ausgegeben. Dies ist Unsinn, aber man kommt offenbar nicht dagegen an.

Ist es da verwunderlich, wenn auch das neueste Argument für den Global Compact – nämlich daß jedenfalls seine spezifisch sozialrechtlichen Zielverpflichtungen Deutschland eigentlich „zunächst“ gar nicht adressieren würden – die Leute nach ihren bisherigen Erfahrungen mit dem Völkerrecht nicht sonderlich beruhigt?

Der Beitrag erschien zuerst auf dem Blog von Vera Lengsfeld.

Über den Autor: Dr. Ulrich Vosgerau ist Privatdozent für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie Rechtsphilosophie an der Universität Köln. In seinem Buch „Die Herrschaft des Unrechts“ stellt Vosgerau, der sich nicht mundtot machen lässt, noch einmal präzise und allgemeinverständlich dar, wie in der EU und in Merkel-Deutschland systematisch Recht und Gesetz gebrochen wird.

Ulrich Vosgerau: Die Herrschaft des Unrechts

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