Der Berliner Kopftuchstreit und das (nicht ganz neutrale) Neutralitätsgesetz

Der Berliner Kopftuchstreit ist beendet. Das Bundesverfassungsgericht fällte ein Urteil. Doch ist das Berliner Neutralitätsgesetz überhaupt neutral, wenn es einen antireligiösen Ansatz vertritt? Wie es damit weitergeht, wird sich zeigen – nach der Wahlwiederholung. Eine Analyse.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.
Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe.Foto: Uli Deck/dpa
Von 6. Februar 2023

Wer Frauen ohne Kopftuch bewirtet, riskiert damit die Schließung seines Restaurants. Die Polizei wurde angewiesen, Verstöße gegen die Kopftuchpflicht „strikt zu bestrafen“. So zumindest wurde es im Januar von der islamischen Führung des Irans befohlen, berichten die Nachrichtenagenturen. Das ist dort, wo die Frauen unter Lebensgefahr dafür kämpfen müssen, ohne Kopftuch auf der Straße zu laufen.

In Berlin gibt es einen anderen Fall. Dort geht es um ein Kopftuchverbot und die Freiheit, ein Kopftuch zu tragen – oder auch nicht. Hintergrund dazu ist das Berliner Neutralitätsgesetz, in welchem nicht nur Kopftücher, sondern auch alle anderen religiösen Symbole für die Lehrerschaft an öffentlichen Schulen nicht erlaubt sind.

Eine Lehramtsbewerberin war der Ansicht, dass sie wegen ihres Kopftuches nicht in den Schuldienst eingestellt worden sei. Das Bundesverfassungsgericht zog kürzlich einen Schlussstrich unter den jahrelangen Rechtsstreit zwischen der Frau und dem Land Berlin. Die zuvor ergangenen Entscheidungen des Landes- und des Bundesarbeitsgerichts zugunsten der Frau bleiben bestehen.

Kreck will Neutralitätsgesetz ändern

Die Berliner Justizsenatorin Lena Kreck (Linke) verwies bereits gegenüber der Nachrichtenagentur DPA auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts und kündigte an, dass das Berliner Neutralitätsgesetz „umgehend angefasst werden“ müsse.

„Ein pauschales Kopftuchverbot für Pädagoginnen wird es in Berlin in Zukunft nicht mehr geben“, erklärte die Juristin und ehemalige Professorin für Soziale Arbeit an der Evangelischen Hochschule in Berlin. Laut Kreck würden über das Kopftuchverbot „in der Einwanderungsgesellschaft Menschen ausgegrenzt und rassistisch konnotierte Zuschreibungen verstärkt“. Gegenüber der „Berliner Morgenpost“ sagte Kreck, dass die Diskriminierung bestimmter Religionen unter dem Label der Neutralität nicht zu rechtfertigen sei.

Wer sich indes künftig um eine mögliche Neugestaltung des Neutralitätsgesetzes kümmern wird, ist noch ungewiss. Aufgrund des Berliner Wahldebakels vom September 2021 steht am 12. Februar eine Wahlwiederholung der Abgeordnetenhauswahl ins Haus.

Gerichte kritisierten Diskriminierung

Der Berliner Fall ging vor das Landesarbeitsgericht, wo die Muslimin im November 2018 Recht bekam. Berlin ging in Revision und der Fall landete vor dem Bundesarbeitsgericht (BAG). Auch dort bekam die Frau Recht. Sie sei wegen ihrer Religion diskriminiert worden – und sie solle nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eine Entschädigung von 5.159 Euro erhalten, hieß es.

Das Gericht meinte auch, dass das pauschale Kopftuchverbot im Berliner Neutralitätsgesetz verfassungskonform das Tragen des Kopftuchs innerhalb des Dienstes nur beim Vorliegen einer konkreten Gefahr für den Schulfrieden oder die staatliche Neutralität verbiete, berichtete die „Legal Tribune“.

Berlin ging aufs Ganze, wollte es wissen – und wurde abgewatscht. Die vom Land eingereichte Verfassungsbeschwerde beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gegen das BAG-Urteil scheiterte. Der Beschluss (Az. 1 BVR 1661/21) erfolgte bereits am 17. Januar, wurde jedoch erst kürzlich bekannt gegeben. Ein Sprecher des Bundesverfassungsgerichts dieser Tage erklärte, dass die Beschwerde nicht zur Entscheidung angenommen worden sei – ohne Begründung.

Der Lehrer als neutrale „Amtsperson“

Im Neutralitätsgesetz heißt es unter anderem, dass alle Beschäftigten Glaubens- und Gewissensfreiheit genießen und ebenso die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses. Niemand dürfe wegen seines Glaubens oder seiner Weltanschauung diskriminiert werden, heißt es. Aber: „Gleichzeitig ist das Land Berlin zu weltanschaulich-religiöser Neutralität verpflichtet.“ Daher müssten sich die Beschäftigten des Landes Berlin in jenen Bereichen, in denen die Bürger „in besonderer Weise dem staatlichen Einfluss unterworfen“ seien, in ihren religiösen/weltanschaulichen Bekenntnissen zurückhalten.

In Artikel 2 des Gesetzes heißt es weiter: „Lehrkräfte und andere Beschäftigte mit pädagogischem Auftrag in den öffentlichen Schulen nach dem Schulgesetz dürfen innerhalb des Dienstes keine sichtbaren religiösen oder weltanschaulichen Symbole, die für die Betrachterin oder den Betrachter eine Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religions- oder Weltanschauungsgemeinschaft demonstrieren, und keine auffallenden religiös oder weltanschaulich geprägten Kleidungsstücke tragen. Dies gilt nicht für die Erteilung von Religions- und Weltanschauungsunterricht.“

Das Maß macht’s

Das katholische „Domradio“ sprach mit Pater Tobias Zimmermann, Rektor des Canisius-Kollegs in Berlin-Mitte, einem staatlich anerkannten Gymnasium. Zimmermann sagte, dass es im Neutralitätsgesetz ein falsches Verständnis von Neutralität gebe. Bei uns gehe es nicht, wie in Frankreich, um das Ausblenden der Religion aus dem Alltag. In Deutschland gebe es ein kooperatives Modell zwischen Weltanschauungen und Staat. Das finde er richtig. Denn: „Wenn alle religiösen Zeichen in eine private Sphäre verbannt werden, ergreift der Staat Partei für eine weltanschauliche Position, die antireligiös ist.“

Es gebe auch ein bildungspolitisches Problem, da der Bildungsbegriff in Deutschland „sehr schmal und sehr funktionalistisch“ sei. Er glaube, dass man den Schülern eine Bildung schuldig sei, die sie in die Lage versetze, über Religion zu sprechen und von verschiedenen Positionen aus miteinander ins Gespräch zu kommen.

„Dazu brauchen sie Lehrer, die keine neutralen Wurstwarenverkäufer von Bildung sind, sondern die tatsächlich auch für etwas stehen.“ Die Schüler sollten lernen, sich über Religion auszudrücken, diese kennenlernen und dann kritisch miteinander ins Gespräch kommen, so der Pater.

Zimmermann verwies dabei aber auch auf das bestehende „Überwältigungsverbot“ und darauf, dass Lehrer nicht indoktrinieren dürften. „Domradio“ erklärt dazu, dass damit gemeint sei, dass man Schüler nicht im Sinne erwünschter Meinungen überrumpeln dürfe, um sie damit an der „Gewinnung eines selbstständigen Urteils“ zu hindern.

Gefahr religiöser Unterwanderung?

Kopftuch oder nicht Kopftuch – vielen Menschen geht es dabei weniger um die Einschränkung der Freiheit von Menschen, sondern um die Sorge vor einer religiösen Unterwanderung durch extremistische Gruppierungen unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit.

Verfassungsschützer warnen daher nicht nur vor dschihadistischem Islamismus wie etwa dem Islamischen Staat, sondern auch vor dem legalistischen Islamismus. Im Gegensatz zu den Dschihadisten agierten legalistische Islamisten gewaltfrei, um dauerhaft Gesellschaften zu unterwandern und islamische Staaten zu errichten, berichtete der SWR 2021 im Zusammenhang mit der auch in Deutschland aktiven Furkan-Organisation.

In dem Beitrag wird darauf verwiesen, dass nach Angaben des Bundesamtes für Verfassungsschutz legalistische Islamisten darauf achten würden, weder durch Handlungen noch durch öffentliche Äußerungen einen justiziablen Fehler zu begehen: „In internen Zirkeln, Schulungsmaßnahmen und Fortbildungsveranstaltungen wird jedoch eine islamische Rechts-, Gesellschafts- und schließlich auch Staatsordnung propagiert, die mit wesentlichen Aspekten des Grundgesetzes nicht zu vereinbaren ist.“



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