Innenministerium: Anzahl rechtsextremer Straftaten gestiegen – woher kommt die Zahl?

Die Zahl der Straftaten aus dem rechtsextremen Milieu soll von 2022 auf 2023 stark angestiegen sein. Aber jetzt kommen Zweifel auf. Werden antisemitische Straftaten aus den Reihen der Hamas-Befürworter falsch etikettiert? Eine Analyse.
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Linke und palästinensische Demonstranten halten Transparente, schwenken Fahnen und skandieren Slogans während einer Demonstration zur Unterstützung der Palästinenser und aus Protest gegen Deutschlands Waffenlieferungen an Israel am Samstag, 20. April 2024 in Berlin.Foto: STEFAN FRANK/Middle East Images/AFP via Getty Images
Von 22. April 2024

Im Anschluss an die Veröffentlichungen der Zahlen zur gestiegenen Ausländerkriminalität steht die politisch motivierte Kriminalität im Fokus des Medieninteresses, insbesondere eine behauptete gestiegene Zahl rechtsextremer Straftaten.

Wer allerdings annimmt, er bräuchte einfach nur die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) zur Hand nehmen und dort nachlesen, der muss sich durch einen Katalog von Verlinkungen kämpfen, von Interpretationshilfen bis zu einer Vorauswahl des Bundesinnenministeriums. Bestimmte Zahlen warten zudem noch auf ihre Veröffentlichung.

Was die politisch motivierte Kriminalität angeht, titelte eine Agenturmeldung am vergangenen Freitag: „Zahl rechtsextremer Straftaten gestiegen – Faeser gibt AfD Mitverantwortung.“

Im Bericht werden Zahlen genannt, aber die kommen nicht aus der PKS (Polizeiliche Kriminalitätsstatistik), wie man erwarten sollte, sondern aus einer Antwort des Bundesinnenministeriums (BMI) auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion, die wiederum zunächst der „taz“ zur Verfügung gestellt wurde, die als Erste berichtete.

Warum wird so verfahren? Weil die politisch motivierten Straftaten später veröffentlicht werden und gar nicht Teil der PKS sind. In Agenturmeldungen heißt es dazu: „Die finale Statistik der politisch motivierten Kriminalität für das Jahr 2023 wird von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) im Mai vorgestellt.“

Laut Antwort auf besagte Kleine Anfrage der Linksfraktion haben rechtsextrem motivierte Straftaten 2023 deutlich zugenommen. Im Bereich „Politisch motivierte Kriminalität -rechts-“ erfassten die Behörden 28.945 Delikte, im Vergleich zu 23.493 im Jahr zuvor.

40,8 Prozent der politisch motivierten Straftaten bleiben diffus

Hier lohnt es sich, diese Erfassung einmal genauer anzuschauen. Als es Mitte 2023 um die PKS für 2022 ging, las man auf der Seite des BMI eine Meldung unter folgender Überschrift: „Mehr Straftaten aus diffuser ideologischer Motivation.“ Dort hieß es, dass der Anstieg der politisch motivierten Kriminalität vor allem eine Folge der besonders stark gestiegenen Straftaten sei, „die nicht den klassischen Bereichen der politisch rechts oder politisch links motivierten Kriminalität zuzuordnen sind.“ Für 2022 machen diese Delikte immerhin 40,8 Prozent der politisch motivierten Straftaten aus.

Warum war das 2022 so? Das BMI schreibt dazu, ein wesentlicher Teil dieser Taten steht im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Corona-Einschränkungen. Mit anderen Worten: Wenn die Verfassungsschutzbehörden den Protest gegen die Corona-Maßnahmen und die Debatte um die Impfpflicht „rechtsextrem“ zuordnen, spiegelt sich das in der PKS wider. So schrieb beispielsweise der niedersächsische Verfassungsschutz von einer „Vermischung von Coronaleugnern, Reichsbürgern und Rechtsextremisten“.

Wie sieht das im April 2024 mit Blick auf die PKS für 2023 aus? Bundesinnenministerin Nancy Faeser teilte am Freitagnachmittag per X folgenden Tweet https://twitter.com/NancyFaeser/status/1781331579819684280:

„Die AfD und ihre Unterstützer schüren immer unverhohlener Rassismus und Menschenverachtung. So wächst ein Klima der Ressentiments und der Gewalt, das auch zu mehr rechtsextremistischen Straf- und Gewalttaten führt.“ 

Angehängt war ein Link von „t-online“.

Aber auf welchen Zahlen basieren diese Annahmen? Und wie sieht es für 2023 mit der noch im Jahr 2022 festgestellten Anzahl nicht zuzuordnender politisch motivierter Kriminalität aus? Beachtenswert ist hier, dass die Zahlen rechtsextremer Gewalttaten insbesondere im letzten Quartal 2023 angestiegen sein sollen. Die „taz“ schrieb dazu auf Basis besagter Kleiner Anfrage der Linken:

„Laut den Antworten des Innenministeriums schnellten vor allem im letzten Quartal 2023 die Zahlen nach oben. Demnach gab es dort 7.170 rechtsextreme Straftaten – im Quartal zuvor waren es 5.113, im letzten Quartal des Vorjahres waren es 3.381 Taten.“

Anstieg im letzten Quartal 2023

Welches oder welche Ereignisse könnten im letzten Quartal 2023 für diesen Anstieg verantwortlich sein? In der zeitlichen Zuordnung drängt sich der Verdacht auf, dass Antisemitismus automatisch nach dem 7. Oktober als rechts verbucht wird. Am 7. Oktober töte die Hamas 1.200 Israelis, die israelische Armee marschierte daraufhin in Gaza ein, dieser Krieg hält bis heute an. Die Proteste vor allem der Anhänger der Hamas beziehungsweise der Palästinenser und linker palästinensernaher Gruppen sind auch in Deutschland intensiv geworden.

Wurde der so entflammte Antisemitismus nach dem 7. Oktober automatisch als rechts verbucht?

Wieder die „taz“ weiß Genaueres:

„Der Anstieg könnte mit den Reaktionen hierzulande auf das Hamas-Massaker in Israel im Oktober 2023 und dem folgenden israelischen Militäreinsatz in Gaza zu tun haben. Demnach wurden laut Innenministerium im vierten Quartal vorläufig auch allein 2.782 antisemitische Straftaten gezählt. Das ist bereits mehr als die Zahl aus dem gesamten Vorjahr, als das BKA 2.641 antisemitische Delikte erfasste.“

Im Klartext bedeutet das, dass Antisemitismus in der Rubrik politisch motivierte Kriminalität automatisch dem Rechtsextremismus zugeschlagen wird. Danach fände sich der Antisemitismus zugewanderter Hamas-Anhänger und deutscher Linksradikaler in der Rubrik rechtsextremistisch motivierter Straftaten wieder.

Das wiederum bestätigt ein Artikel in der „Jungen Freiheit“ über ein Palästina-Camp in Sichtweite des Reichstags mit der Schlagzeile: „Hitler, Waffen und Gewalt – so radikal ist das Palästina-Camp in Berlin.“ Dort heißt es dann:

„Im sogenannten Palästina-Protestcamp in Berlin geht es hoch her. Linke und Migranten rufen ungeniert zum Völkermord an Juden auf, verbreiten Hitler-Reden und feiern islamistische Attentäter. Die Polizei läßt sie gewähren.“

Wie haltbar ist die Aussage von Frau Pau?

Ungeachtet dessen spricht Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Linke) – sie hatte die Kleine Anfrage formuliert  – von einem „verheerenden Ausmaß rechter Straftaten“. Frau Pau meint, in Zeiten, in denen diskriminierende Positionen immer weiter normalisiert würden und rechte Rhetorik allgegenwärtig sei, fühlten sich die Täter in ihrem Handeln legitimiert.

Aber in Anbetracht des Zuwachses politisch motivierter Straftaten, die dem Rechtsextremismus zugeordnet wurden, vor allem im letzten Quartal 2023 – wie haltbar ist da die Aussage von Frau Pau?

Die „Tagesschau“ gibt zu bedenken:

„Fast 29.000 rechtsextrem motivierte Straftaten sind laut Medienberichten im Jahr 2023 erfasst worden – noch viel mehr als bereits im Vorjahr. Auch antisemitische Delikte haben stark zugenommen, vor allem seit dem Hamas-Angriff auf Israel.“

Aber noch etwas ist hier von elementarem Interesse: die Aufklärungsquote. Denn wenn eine Straftat zunächst Rechtsextremen zugeordnet wird, kann diese Zuordnung erst dann als gesichert gelten, wenn diese Straftat vollständig aufgeklärt ist. So befand der Informationsdienst Wissenschaft (idw) schon im November 2023, dass der Hintergrund politisch motivierter Kriminalität häufig unbekannt bleibe. Und weiter:

„Die vergleichsweise niedrige Aufklärungsquote politisch motivierter Kriminalität insgesamt, die im Jahr 2022 bei knapp 42 Prozent lag, lässt an der Darstellung des Bundesinnenministeriums zweifeln.“

Fallzahlen systematisch fehlerhaft erfasst

Die Jahresberichte des Bundesverbandes der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus e. V. (RIAS) stellten bereits für das Jahr 2022 fest, dass ganze 53 Prozent der Straftaten im Jahr 2022 einen unbekannten Hintergrund hatten und zudem 21 Prozent dem verschwörungsideologischen Milieu zuzuordnen waren. Einen rechtsextremen beziehungsweise rechtspopulistischen Hintergrund fand RIAS gerade bei 13 Prozent der antisemitischen Straftaten.

Noch etwas Interessantes: RIAS weist darauf hin, dass verschwörungsideologische Motive insbesondere in der Corona-Pandemie der Haupttreiber judenfeindlicher Straftaten gewesen sei.

Und das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung stellte ebenfalls Ende 2023 fest, dass es seit geraumer Zeit bekannt sei, „dass die Fallzahlen antisemitischer Straftaten, die dem rechten Spektrum zugeordnet werden, systematisch fehlerhaft erfasst werden.“

Der „Tagesspiegel“ wies bereits 2021 auf den Missstand hin, ungelöste Fälle zur Kategorie „PMK-rechts“ (Politisch motivierte Kriminalität -rechts-) zu zählen, auch wenn die Kategorie „nicht zuzuordnen“ angemessener wäre.

In Zahlen bedeutet das, dass für 2022 über 80 Prozent der antisemitischen Straftaten dem rechtsextremen Spektrum zugeordnet wurden. Nimmt man jetzt noch die vergleichsweise geringe Aufklärungsquote hinzu, dann ist das Potenzial für eine verzerrende Darstellung besonders groß und die Anzahl tatsächlicher rechtsextremer Straftaten mutmaßlich auch für 2023 erheblich niedriger als offiziell dargestellt.



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