Ampel gegen Krisenverordnung zu Asyl in EU – Palmer: „Politik gegen zwei Drittel der Bevölkerung“

Am Donnerstag hat der Rat der Innen- und Justizminister wahrscheinlich die letzte Chance, grünes Licht für die Krisenverordnung zum Asylpaket der EU zu geben. Deutschland stellt sich allerdings nach wie vor quer.
Außenministerin Annalena Baerbock spricht zur Eröffnung der Konferenz der Leiterinnen und Leiter deutscher Auslandsvertretungen im Auswärtigen Amt.
Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bleibt bei ihrer ablehnenden Position hinsichtlich der angestrebten Krisenverordnung zum EU-Asylsystem.Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa
Von 26. September 2023

An dieser Stelle wird ein Podcast von Podcaster angezeigt. Bitte akzeptieren Sie mit einem Klick auf den folgenden Button die Marketing-Cookies, um den Podcast anzuhören.

Vor dem Treffen des Rats für Justiz und Inneres (JI-Rat) am Donnerstag, 28. September, in Brüssel steigt der Druck der EU-Partner auf die Bundesregierung. Der JI-Rat ist das zentrale Entscheidungsgremium der EU in Fragen der europäischen Innen- und Justizpolitik. Das Treffen gilt als letzte Chance, die angestrebte Asylreform noch vor den EU-Wahlen im nächsten Jahr auf den Weg zu bringen. Größter Streitpunkt ist die sogenannte Krisenverordnung, gegen die sich vor allem Deutschland sperrt.

EU-Parlament hat in der Vorwoche Verhandlungen ausgesetzt

Die Bilder der vergangenen Wochen aus Lampedusa haben unter politischen Entscheidungsträgern für zunehmende Geschäftigkeit gesorgt. Scheitert das Asylpaket, befürchtet man flächendeckende Triumphe der extremen Rechten bei den EU-Wahlen. Um die Dringlichkeit einer Einigung zu unterstreichen, hat das EU-Parlament in der Vorwoche Verhandlungen über zwei wichtige Dossiers zur Asylreform ausgesetzt.

Es ist jedoch wenig wahrscheinlich, dass es der spanischen Ratspräsidentschaft möglich sein wird, eine qualifizierte Mehrheit gegen Deutschland zu organisieren. Zu weit liegen die Positionen auseinander.

Im Juni hatte die deutsche Bundesregierung einige Elemente der angestrebten Asylreform mitgetragen. Die Krisenverordnung ist jedoch vor allem an ihrem Widerstand gescheitert. Dadurch konnten die EU-Staaten nicht mit einer gemeinsamen Position in die Verhandlungen mit dem EU-Parlament gehen.

Ampel will Nivellierung nach unten bei Unterbringung verhindern

Die Argumentation der Bundesregierung geht dabei in zwei unterschiedliche Richtungen. Auf der einen Seite beschwört sie eine Einhaltung humanitärer Mindeststandards. Sollte die Krisenverordnung in Kraft treten, befürchtet man in Berlin, dass diese nicht mehr gewährleistet sein könnte.

Länder, die einem besonders starken Zustrom von Asylsuchenden ausgesetzt wären, könnten demnach Schutzstandards drastisch herabsetzen. Griechenland steht bereits seit Längerem im Verdacht, die Bedingungen für Flüchtlinge bei der Lagerunterbringung möglichst harsch zu gestalten. Davon solle eine abschreckende Wirkung ausgehen.

In Italien hat Premierministerin Giorgia Meloni nun das Militär angewiesen, Abschiebehaftanstalten in „abgelegenen und gut kontrollierbaren“ Gegenden aufzubauen. Dem Entwurf der Krisenverordnung zufolge sollen betroffene Staaten Menschen länger unter haftähnlichen Bedingungen festhalten.

Außerdem könnte der Kreis der Personen erweitert werden, der für Asylverfahren an den Außengrenzen in Betracht kommt. Deutschland wollte vor allem Frauen, Familien und Minderjährige davon ausnehmen – konnte sich damit jedoch nicht durchsetzen.

Baerbock: Krisenverordnung würde zu viele unregistrierte Flüchtlinge nach Deutschland bringen

Auf der anderen Seite argumentierte Bundesaußenministerin Annalena Baerbock, dass die Krisenverordnung noch mehr Migranten nach Deutschland bringen könne. Immerhin würde diese Ankunftsstaaten die Möglichkeit einräumen, Grenzkontrollen abzubauen – und damit angekommene Flüchtlinge weiterzuleiten. Auf X schrieb die Ministerin jüngst:

Statt geordneter Verfahren würde insbesondere das große Ermessen, dass (sic) die aktuelle Krisenverordnung für den Krisenfall einräumt, de facto wieder Anreize für eine Weiterleitung großer Zahlen unregistrierter Flüchtlinge nach Deutschland setzen.“

Einer neuen Krisenverordnung bedürfe es nicht, so Baerbock. Das im Juni verhandelte „Gemeinsame Europäische Asylsystem“ (GEAS) sei ein „gutes Migrationspaket“. Eine zusätzliche Krisenverordnung könnte dieses wieder „chaotisieren“. In einer Krise brauche es erst recht klare Regeln, dann dürfe „nicht jedes Land an der Außengrenze machen, was es will“.

Allerdings wäre auch dem Entwurf zur Krisenverordnung zufolge keine automatische Veränderung der Standardregeln vorgesehen. Eine Aufweichung dürfe es erst nach Zustimmung des Rates der Mitgliedstaaten und unter strenger Aufsicht der EU-Kommission geben. Es blieben demnach auch in einer Krisensituation noch etliche Kontrollmöglichkeiten, Missbrauch zu verhindern.

Zustimmung zu Krisenverordnung könnte Klima in Ampelkoalition verschärfen

Beobachter sehen nun jedoch das gesamte Asylpaket in Gefahr. Zum einen hätten die Hauptankunftsstaaten in Südeuropa bereits im Juni nur mitgetragen, weil sie sich Entgegenkommen in Sachen Krisenflexibilität erwartet hatten. Gleichzeitig fordern die Visegrád-Staaten noch strengere Regeln und noch mehr Möglichkeiten zur Restriktion gegenüber Asylsuchenden.

Dass Ländern wie Polen und Ungarn die GEAS-Regelungen noch zu wenig weit gehen, macht es für die Ratspräsidentschaft schwieriger, eine qualifizierte Mehrheit gegen Deutschland zu organisieren. Eine nationale Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen lehnt Bundesinnenministerin Nancy Faeser nach wie vor ab.

Dass Deutschland der Krisenverordnung entgegen allen Bedenken zustimmen könnte, gilt vor allem mit Blick auf die Grünen als unwahrscheinlich. Dort hatte bereits die Zustimmung zum GEAS für innerparteiliche Konflikte gesorgt. Eine weitere Verschärfung der Position der Ampel könnte die Koalition vor eine Zerreißprobe stellen.

Union bietet Ampellösung nach Vorbild von 1993 an

Die Union hat die Bundesregierung unterdessen zu einem gemeinsamen Vorgehen bei der Bewältigung der Asylkrise aufgefordert. Im ARD-„Morgenmagazin“ äußerte CDU/CSU-Parlamentsgeschäftsführer Thorsten Frei am Dienstag:

Wir reichen die Hand. Wir helfen mit, überall dort, wo es zu Lösungsmöglichkeiten kommt.“

Die Bundesregierung müsse aber „auch zeigen, dass sie es wirklich will“. Frei mahnte „eine ganze Reihe politischer Einzelmaßnahmen“ an, die sicherstellen könnten, dass eine „bestimmte Grenze“ an Flüchtlingen „nicht überschritten“ werde. Außerdem solle es effektive Maßnahmen zur Abschiebung ausreisepflichtiger Migranten geben.

CDU-Chef Friedrich Merz hatte am Wochenende die Flüchtlingskrise als „Sprengstoff für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft“ bezeichnet. Er bot der Koalition eine gemeinsame Lösung nach dem Vorbild des Asylkompromisses von 1993 an. Damals hatten sich die Koalition unter Helmut Kohl und die SPD unter dem Eindruck rassistischer Übergriffe auf Asylbewerberheime und Wahlerfolge der Republikaner auf eine Verschärfung des Asylrechts verständigt.

Palmer fordert Rückführung aus dem Mittelmeer und Sachleistungen für Asylbewerber

Der Oberbürgermeister von Tübingen, Boris Palmer, hat unterdessen auf Facebook vor einer Asylpolitik gewarnt, die „dauerhaft gegen zwei Drittel der eigenen Bevölkerung“ gerichtet wäre. Er sieht eine Situation wie 2015, überforderte Kommunen, hohe Kosten durch sogenannte Systemsprenger und eine zunehmende Gefahr für die Sicherheit.

Um die Krise in den Griff zu bekommen, plädiert Palmer dafür, dass die EU die „Seenotrettung“ im Mittelmeer organisiere. Flüchtlinge seien vor dem Ertrinken zu retten, aber anschließend auf den afrikanischen Kontinent zurückzuschaffen. Dort könne Europa eine offene Unterbringung aufbauen, „in der man ernährt wird und jederzeit die Heimreise ins Herkunftsland antreten darf“.
Deutschland selbst solle bei der Betreuung von Geflüchteten das Sachleistungsprinzip einführen. Das würde „sofort auf alle wirken, die ohne Aussicht auf Anerkennung den Aufenthalt in Deutschland erreichen wollen“.

(Mit Material von dpa und AFP)



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion