Chaos auf Lampedusa: Tausende Migranten erreichen Insel – Salvini spricht von „Akt des Krieges“

Der Stadtrat der Insel Lampedusa hat den Notstand ausgerufen. Im Laufe von nur einer Woche sollen etwa 8.000 Migranten auf Booten Italien erreicht haben. Ein Säugling aus Guinea starb kurz nach der Ankunft.
Titelbild
Flüchtlinge und Migranten an Bord eines Holzbootes, während sie am 24. Mai 2017 vor Lampedusa, Italien, auf die Rettungsmannschaften des Schiffes „Phoenix“ der Migrant Offshore Aid Station (MOAS) warten.Foto: Chris McGrath/Getty Images
Von 14. September 2023

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Einen „Akt des Krieges“, wie es Italiens Vizepremier Matteo Salvini formuliert, sehen die einen, eine humanitäre Tragödie die anderen. Nachdem innerhalb von nur einer Woche insgesamt etwa 8.000 Migranten auf mehr als 100 Booten auf Lampedusa gelandet waren, gilt dort der Notstand.

Lage in Lampedusa kaum noch beherrschbar

Das ZDF zitiert eine Mitarbeiterin des Roten Kreuzes mit der Aussage, wonach zuletzt 6.000 Menschen in nur 24 Stunden Lampedusa erreicht hätten. Diese seien in etwa 120 Booten vom tunesischen Sfax aus über das Mittelmeer gelangt. Die Situation bringt auch erfahrene Rettungskräfte an ihre Grenzen. Mitarbeiterin Francesca Basile erklärt dazu:

Die Lage ist komplex und wir vom Italienischen Roten Kreuz bemühen uns weiter nach Kräften, den Menschen hier zumindest die grundlegenden Dinge des Lebens zu ermöglichen.“

Dabei spielten sich erneut humanitäre Tragödien ab. Ein fünf Monate alter Säugling starb kurz nach der Ankunft des Bootes, auf dem seine minderjährige Mutter aus Guinea aufgebrochen war. Auf einem anderen Boot wurden mehrere traumatisierte Frauen aufgefunden. Die Zeitung „La Repubblica“ hält es für möglich, dass diese möglicherweise zuvor vergewaltigt worden sein könnten. Eine weitere geflüchtete Frau konnte hingegen noch im Hafen ein gesundes Kind zur Welt bringen.

Zusammenstöße zwischen Polizei und Migranten

Die Situation auf der Insel ist nach wie vor unübersichtlich. Der Ort selbst hat 6.500 Einwohner. Demgegenüber seien allein im Laufe der vergangenen Woche etwa 8.000 Migranten auf Booten angekommen.

Das Erstaufnahmelager auf der Insel ist lediglich für mehrere hundert Personen ausgerichtet. Zahlreiche Migranten warten auf Anlandestellen wie dem Favaloro-Pier auf die Verbringung in Aufnahmezentren – die regelmäßig ebenso überfüllt sind. Die meisten wollen in Italien Asyl beantragen oder in andere EU-Mitgliedstaaten weiterreisen.

Wie „Euractiv“ berichtet, ist es am Mittwoch, 13. September, bereits zu Zusammenstößen zwischen Migranten und Polizeikräften gekommen, die mit der Kontrolle des Piers betraut sind. Eine „Blitz-Razzia“ konnte weitere Ausschreitungen verhindern. Nach wie vor warten jedoch zahlreiche Schiffe vor Lampedusa darauf, anzudocken.

Drohende Eskalation an der Essensausgabe

Die Zeitung „La Stampa“ schreibt von einer „Apocalypse Lampedusa“ – und davon, dass selbst erfahrene Freiwillige mit einer solchen Lage noch nie konfrontiert gewesen seien. Derzeit halten sich offiziellen Angaben zufolge 6.762 Migranten allein am Hotspot Lampedusa auf. Zu dramatischen Szenen kam es auch bei der Essensausgabe durch das Rote Kreuz, als Hunderte Migranten außerhalb der Warteschlangen zu drängen begannen, um sich noch Rationen zu sichern.

Die Polizei musste Freiwillige und Mitarbeiter des Roten Kreuzes in Sicherheit bringen, um eine Eskalation der Situation zu verhindern. Erst die Erklärung, dass ausreichend Nahrungsmittel vorhanden seien, konnte die Situation wieder beruhigen.

Bereits im April hatte Italiens Regierung einen sechsmonatigen Notstand ausgerufen. Damit wollte man insbesondere an die EU ein Signal richten, Unterstützung zu leisten. Dem Innenministerium in Rom zufolge sind allein in diesem Jahr bereits mehr als 120.000 Schutzsuchende über den Seeweg nach Italien gelangt. Von diesen seien etwa ein Drittel unbegleitete Minderjährige.

Salvini: Massenankunft in Lampedusa ist „offensichtlich organisiert“

Vizepremier Matteo Salvini spricht unterdessen mit Blick auf die Landung einer so großen Zahl an Flüchtlingsschiffen in so kurzer Zeit von einem „Akt des Krieges“. Vor Journalisten erklärte er am Mittwochabend, es handele sich um „keine spontane Episode“. Die Ankunft sei „offensichtlich organisiert, finanziert und vorbereitet“.

Gleichzeitig hat Deutschland den „freiwilligen Solidaritätsmechanismus“ ausgesetzt, mit dem man die Hauptankunftsländer entlasten wollte. Auch Frankreich hat seine Grenzschutzmechanismen verstärkt. Wie „Il Foglio“ schreibt, wirft man Italien in beiden Ländern vor, Asylsuchenden bereitwillig eine Weiterreise zu ermöglichen.

Auch beschuldigt man Italien, die Rückübernahme von Migranten nach den sogenannten Dublin-Regeln zu verzögern. Diese sehen vor, dass Schutzsuchende ihr Asylverfahren grundsätzlich im ersten EU-Land stellen müssen, in dem sie registriert waren. Allerdings seien dem deutschen Innenministerium zufolge bis Ende August erst zehn solcher Dublin-Überstellungen nach Italien erfolgt. Italiens Außenminister Antonio Tajani betonte jüngst erneut, irreguläre Einwanderung sei ein „europäisches Problem“.

Vereinbarung der EU mit Tunesien vom Juli schon jetzt gescheitert?

Seit Oktober 2022 soll Deutschland bis heute die Umsiedlung von 1.042 Migranten ermöglicht haben. Andere Quellen sprechen von etwa 1.700 Geflüchteten, denen die Bundesregierung freiwillig Aufnahme zum Zweck der Durchführung eines Asylverfahrens gewährt habe. Ursprünglich hatte Deutschland zugesagt, 3.500 Asylbewerber aus besonders belasteten Staaten an Europas Außengrenzen im Süden zu übernehmen.

Die Ereignisse der vergangenen Woche werfen zudem die Frage auf, wie viel das Abkommen wert ist, das die EU am 16. Juli mit Tunesien geschlossen hatte. An jenem Tag hatte man eine Absichtserklärung zur Verhinderung sogenannter irregulärer Migration über das Mittelmeer unterzeichnet.

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kündigte an, noch weitere Abkommen dieser Art mit Herkunfts- und Transitländern anzustreben. Italiens Premierministerin Giorgia Meloni will sogar eine Geberkonferenz organisieren, um Maßnahmen zur Verhinderung unkontrollierter Einwanderung zu finanzieren.

Um der Entwicklung gegenzusteuern, müsse man mehr in die Stabilisierung der Wirtschaft von Herkunfts- und Transitländern investieren, sagte damals von der Leyen. Zudem müsse man gemeinsam mit diesen „die organisierte Kriminalität der Schleuser und Schlepper bekämpfen“. Tunesien sollte in diesem Zusammenhang 900 Millionen Euro erhalten. Von diesen seien 105 Millionen zur Bekämpfung der Schlepperei gedacht – der Rest für Wirtschaftsförderung, Digitalisierung und erneuerbare Energien.



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