Immer mehr Syrer verlassen die Türkei Richtung Deutschland

Lange Zeit war die Türkei das Musterland bei Aufnahme und Betreuung von Millionen Flüchtlingen aus Syrien. Mittlerweile hat sich die Stimmung gegen diese gewendet. Es drohen Abschiebungen – was viele Schutzsuchende dazu veranlasst, über eine Weiterreise in die EU nachzudenken.
Titelbild
Flüchtlinge in einem Flüchtlingslager in Gaziantep (Türkei). ArchivbildFoto: Uygar Onder Simsek/Moku/dpa
Von 14. Februar 2024

Immer noch leben mehr als drei Millionen Flüchtlinge aus dem Bürgerkrieg in Syrien in der Türkei. In Spitzenzeiten waren es sogar an die vier Millionen. Lange Zeit galt das Land als Musterbeispiel für eine mutige und vorausschauende Integrationspolitik.

Die Unterbringung in offenen Flüchtlingsstädten, der Zugang zum Arbeitsmarkt, eine Infrastruktur für Bildung und Mikromärkte in den Lagern – damit hatte Ankara auch international Akzente gesetzt. Dazu engagierte sich die türkische Küstenwache aktiv in der Rettung von Flüchtlingsbooten, die über das Mittelmeer auf griechische Inseln zu gelangen versuchten. In einigen Fällen soll es dabei auch zu sogenannten Pushbacks gekommen sein.

Lange Zeit stand die Bevölkerung in der Türkei hinter Ankaras Politik bezüglich der Syrien-Flüchtlinge

Eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung hatte die Flüchtlingspolitik der Regierung Erdoğan mitgetragen. Diese reicht in die Zeit des sogenannten Arabischen Frühlings zurück. Mehrere langjährige Staatschefs wurden entmachtet. Zu Beginn des Bürgerkrieges im Nachbarland 2011 rechnete man entsprechend auch mit einem baldigen Sturz von Machthaber Baschar al-Assad.

Dazu kam es nicht. Stattdessen wurde Syrien zum Zielgebiet extremistischer und terroristischer Gruppierungen aus aller Welt. Zahlreiche externe Mächte nutzten den Bürgerkrieg, um ihren Einfluss auszubauen – teilweise unter Instrumentalisierung der Militanten.

Die Türkei hat außenpolitisch durch ihre Flüchtlingspolitik nicht nur an internationalem Ansehen, sondern auch an Einfluss gewonnen. Die von den Fluchtbewegungen Mitte der 2010er komplett überforderte EU bleibt bis heute auf das 2016 abgeschlossene Migrationsabkommen angewiesen.

Wirtschaftliche Schwierigkeiten und Terror wirkten sich auf Stimmung aus

In den vergangenen Jahren jedoch haben Inflation und eine anhaltende Wirtschaftskrise auch die Türkei heimgesucht. Dies hat auch dort die Akzeptanz der Flüchtlingspolitik infrage gestellt. Der Zugang syrischer Asylsuchender zum türkischen Arbeitsmarkt hat für zahlreiche türkische Beschäftigte eine billige Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt geschaffen.

Auch der Wohnungsmarkt gerät unter Druck, seit immer mehr syrische Schutzsuchende es sich leisten konnten, ihre Containersiedlungen zu verlassen. Dazu kamen Sicherheitsprobleme. Zwar ist nur ein kleiner Prozentsatz der Beteiligten an Terroranschlägen in der Türkei seit 2012, die nicht der PKK zuzurechnen sind, von syrischen Staatsangehörigen begangen worden.

Dennoch hat die Entwicklung unter immer mehr türkischen Bürgern die Frage aufgeworfen, ob das Engagement, das Ankara in Sachen Syrien und syrische Flüchtlinge zeigt, die widrigen Folgen wert sei. Selbst im Regierungslager, wo lange das Narrativ von der religiösen Pflicht zur Hilfe für die von Assad unterdrückten muslimischen Brüder dominierte, stieg der Argwohn.

Wahlkampf in der Türkei von Stimmungsmache gegen Syrien-Flüchtlinge geprägt

Im Wahlkampf zu den Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Vorjahr überboten sich Opposition und mindestens der nationalistische Teil des Regierungslagers in Härte gegenüber syrischen Flüchtlingen.

Die sozialdemokratische CHP drohte eine vollständige Zwangsabschiebung aller syrischen Flüchtlinge aus der Türkei an. Präsident Recep Tayyip Erdoğan kündigte ebenfalls eine Rückkehr von einer Million Syrern an. Er allerdings wolle zuerst in den von protürkischen Kräften kontrollierten Gebieten im Norden Syriens Häuser für diese errichten. Bis dato fehlt es in diesen Territorien rund um Idlib aber zum Teil noch an Infrastruktur für die dort bereits lebenden Menschen.

In den von der Regierung oder der PKK-nahen PYD/YPG kontrollierten Gebieten Syriens müssen Türkei-Rückkehrer jedoch Repressalien befürchten. Aus diesem Grund spielen zahlreiche in der Türkei befindliche syrische Schutzsuchende mit dem Gedanken, den Weg in die EU zu suchen.

Vielen ist das auch schon gelungen: Im Jahr 2023 haben bis Ende Dezember 102.930 Personen aus Syrien in Deutschland Asyl beantragt. Dies entspricht rund 31 Prozent aller Erstanträge auf Asyl von Menschen mit syrischer Staatsangehörigkeit. Bereits Ende 2022 lebten etwa 900.000 Syrer in Deutschland.

In unzähligen Cafés warten Schleuser auf Aufträge

Gegenüber dem ZDF äußert der türkische Migrationsforscher Murat Erdoğan, die einzige Möglichkeit für die Europäer, eine neue große Fluchtbewegung aus Syrien zu verhindern, sei, mit Assad und Syrien ins Gespräch zu kommen.

Die EU-Staaten hatten jedoch nach dem ersten brutalen Vorgehen Assads gegen die teils dschihadistische Opposition in Syrien die diplomatischen Kontakte abgebrochen. Migrationsforscher Erdoğan hält diese Position jedoch für „gefährlich nicht nur die Türkei, sondern auch für Europa“. Es gebe jetzt schon Stadtteile in Istanbul, wo man „in jedem Café zwei bis drei Schleuser“ finde. Deren Verdienstaussichten bewegten sich im fünfstelligen Bereich – während die in die EU strebenden Syrer nichts zu verlieren hätten.



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