New York Times: Deutschlands Handel mit Russland hat um 38 Prozent zugenommen

Russisches Konfekt ist nicht das Problem – Palladium, Kernreaktoren, Eisenbahnwaggons und Düngemittel schon. Die Welt kann auf russische Produkte nicht verzichten. Wie entwickelt sich der Welthandel mit Russland seit Beginn der Sanktionen?
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Ein Turm des Kreml in Moskau mit dem Moskauer Bankenviertel im HintergrundFoto: über dts Nachrichtenagentur
Von 16. November 2022

Eine Analyse des Welthandels mit Russland ergab: Mehrere EU-Staaten haben ihre Einfuhren aus Russland nicht verringert. Ganz im Gegenteil, sie wurden erhöht. Zugleich konnten die Staaten selbst deutlich weniger Produkte nach Russland verkaufen.

Trotz der eklatanten politischen Veränderungen im Zuge des Ukrainekriegs deuten die Daten darauf hin, dass der Handel weitergeht. Belgien hat seine monatlichen Einfuhren aus Russland um 138 Prozent erhöht, die Niederlande um 74 und Deutschland um 38 Prozent.

Nur drei Staaten reduzierten ihren Handel deutlich

Eine Analyse, die Ende Oktober von der „New York Times“ (NYT) veröffentlicht wurde, gibt Auskunft. Erstellt wurde diese vom wirtschaftlichen Thinktank „Observatory of Economic Complexity“ (Beobachtungsstelle für wirtschaftliche Komplexität).

Der Thinktank untersuchte die Exporte nach und Importe aus Russland der 13 wichtigsten Handelspartner Russlands: China, Deutschland, die Vereinigten Staaten, die Türkei, Südkorea, das Vereinigte Königreich, die Niederlande, Japan, Indien, Belgien, Spanien, Brasilien und Schweden (in der Reihenfolge des Handelsvolumens). Die monatlichen Handelsströme zwischen den untersuchten Ländern und Russland für den Zeitraum von 2017 bis 2021 wurden dazu mit dem Durchschnitt der Wirtschaftsdaten seit März 2022 verglichen.

Lediglich fünf von dreizehn Ländern reduzierten ihren Handel mit Russland. Das Vereinigte Königreich (-79 Prozent), Schweden (-76) und die USA (-35) verzeichneten zudem einen signifikanten Rückgang des Handels mit Russland.

Russische Rohstoffe bleiben alternativlos

Für die Analysten liegt der Grund darin, dass Russland einer der weltweit wichtigsten Produzenten von Öl, Gas und Rohstoffen ist. Vielerorts scheint es keine Alternative zu russischen Rohstoffen zu geben.

„Die internationalen Automobilhersteller sind nach wie vor von Russland abhängig, wenn es um Palladium und Rhodium geht, die für die Herstellung von Katalysatoren benötigt werden. Französische Kernkraftwerke sind auf russisches Uran angewiesen, und Belgien sieht sich weiterhin in einer Schlüsselrolle im russischen Diamantenhandel“, schreiben die Experten.

Allein auf Russland entfallen 60 Prozent der weltweiten Asbestexporte, 28 Prozent des Roheisens, 26 Prozent der Kernreaktoren. Darüber hinaus stammen aus Russland 24 Prozent der Leinsamen-Exporte, 20 Prozent bei Nickel und Weizen und 15 Prozent aller Eisenbahnwaggons. Das Land ist ein wichtiger Akteur auf dem Düngemittelmarkt, auf den 14 Prozent der Kalidünger, 12 Prozent der Stickstoffdünger und 13 Prozent der anderen Düngemittel entfallen. Ohne russisches Palladium und Rhodium würde auch die weltweite Automobilindustrie vor erheblichen Schwierigkeiten stehen.

Der Wert der russischen Ausfuhren ist gestiegen

„Für viele Länder ist ein Leben ohne russische Rohstoffe unglaublich schwierig. Vor dem Krieg bestanden mehr als zwei Drittel der russischen Exporte aus Erdöl, Erdgas und den wichtigsten Metallen und Mineralien, die für den Antrieb von Autos, die Beheizung von Häusern und die Versorgung von Fabriken in aller Welt benötigt werden“, berichtete die BBC.

Der Wert der russischen Ausfuhren ist nach dem Einmarsch in die Ukraine nicht etwa gesunken, sondern gestiegen – selbst in Staaten, die sich aktiv gegen Russland wenden und die Sanktionen der EU am stärksten unterstützt haben.

Die Grafik zeigt die Veränderung des monatlichen Durchschnittswerts der von Russland exportierten Waren nach der Invasion. Die Prozentwerte zeigen den Anstieg oder Rückgang des monatlichen Durchschnittswerts der Exporte pro Monat nach der Invasion im Vergleich mit dem monatlichen Durchschnitt für 2017 bis 2021. Die Quelle der Daten ist ein Auszug aus der Analyse, die von der New York Times veröffentlicht wurde.

„Es ist sehr schwierig, ohne russische Ressourcen zu leben“, sagte Sergej Alexander Alexaschenko, früherer stellvertretender Finanzminister Russlands und stellvertretender Gouverneur der russischen Zentralbank. „Es gibt keinen Ersatz“, wurde Alexaschenko von der BBC zitiert.

Russland hat als Reaktion auf die Sanktionen seinerseits die Ausfuhr von mehr als 200 Gütern untersagt, darunter Telekommunikations-, Medizin-, Automobil-, Landwirtschafts- und Elektrogeräte sowie Holzprodukte.

Viele deutsche Waren basieren auf russischen Gütern

Nach Angaben der NYT ging das deutsche Handelsvolumen mit Russland um 3 Prozent zurück. Das ist auf einen Rückgang der Warenlieferungen nach Russland um 51 Prozent zurückzuführen. Gleichzeitig stieg der Wert der Einfuhren aus Russland um 38 Prozent.

Das „Institut der deutschen Wirtschaft“ stellt fest: „Deutschland importiert vor allem solche Rohstoffe und Produkte aus Russland, die am Anfang der Wertschöpfungskette vieler Produkte stehen.“

Für Deutschlands wichtigste Industrie, die Automobilindustrie, sind die Importe besonders wichtig: „Ein durchschnittliches deutsches Auto im Wert von 50.000 Euro enthält etwa 500 Euro russische Wertschöpfung, davon 150 Euro russische Energieprodukte und 350 Euro andere Produkte“, bilanzieren die Analysten.

Neben der Produktion von Metallen und der Erzeugung von Strom und Wärme ist vor allem die chemische Industrie stark von russischen Rohstoffen abhängig.

Putin: „Nichts ist zusammengebrochen“

Wie sieht die russische Seite die Sanktionen? Am Abschlusstag der 19. Sitzung des Internationalen Debattierclubs Valdai, zu der Reporter und Experten aus aller Welt eingeladen waren, beantwortete Staatschef Wladimir Putin Fragen der Teilnehmer. Die viertägige Veranstaltung fand vom 24. bis 27. Oktober in Moskau statt. Vier Stunden lang ging es um verschiedene Themen, die sich mehr oder weniger alle um den Krieg mit der Ukraine drehten.

Eine Frage war, ob es den Sanktionen wirklich gelungen sei, die russische Wirtschaft zu lähmen, wie es die Westmächte beabsichtigt hatten. Putin antwortete: „Die Auswirkungen der Sanktionen bereiteten auch der russischen Führung zunächst Kopfzerbrechen.“

„Es ist noch gar nicht so lange her, da waren wir selbst besorgt, dass wir zu einer Art Halbkolonie werden könnten, in der wir ohne unsere westlichen Partner nichts tun könnten. Wir können keine Finanztransaktionen durchführen, wir haben keinen Zugang zu Technologie und Märkten oder zu Quellen, um die neuesten Technologien zu erhalten. Nichts. Man braucht nur mit den Fingern zu schnippen, und alles, was wir haben, fällt auseinander“, sagte Putin über die früheren Sorgen.

Entgegen den Erwartungen seien sie jedoch nicht zusammengebrochen. „Nichts ist zusammengebrochen. Die Grundlagen der russischen Wirtschaft und der Russischen Föderation haben sich als viel stärker erwiesen als irgendjemand, vielleicht sogar wir, gedacht hatten“, sagte Putin.

Sie hatten sich zum Ziel gesetzt, die russische Wirtschaft zum Einsturz zu bringen, haben dieses Ziel aber nicht erreicht.“

Obwohl das Land mittelfristig mit Schwierigkeiten konfrontiert ist, „hat sich die russische Wirtschaft im Großen und Ganzen an die neuen Umstände angepasst“, so Putin. Die wirtschaftliche Ausrichtung Russlands auf Selbstversorgung würde gestärkt, lokale Unternehmen stark gefördert. Russische Unternehmen erhielten eine Reihe von rechtlichen und anderen Hilfen. Neue Handelswege eröffneten sich.

Putin betonte bei dieser Gelegenheit auch, nichts mit den Pipeline-Explosionen zu tun zu haben und distanzierte sich von der Energiekrise. Der Hauptgrund dafür sei, dass „systemische Maßnahmen, die die Entwicklung konventioneller Energiequellen einschränken, diese schwere Krise ausgelöst haben. Es gibt keine Finanzierung; die Banken gewähren weder in Europa noch in den Vereinigten Staaten Kredite. Die erhebliche Unterfinanzierung des Energiesektors hat zu einem Engpass geführt. Genau das ist passiert.“

Aus welchen Staaten importiert Russland seine Waren?

Im Jahr 2020 importierte Moskau Waren im Wert von 220 Milliarden Dollar. Dazu gehörten vor allem Autos und Autoteile, aber auch große Mengen an Medikamenten und Computern aus China, Deutschland, Südkorea und anderen Ländern.

Seit März 2022 sind die Importe Russlands aus Ländern, die Sanktionen verhängt haben, deutlich zurückgegangen. Gleichzeitig nahmen die wirtschaftlichen Transaktionen mit östlichen Regionen, insbesondere mit China und der Türkei, zu.

Die Grafik zeigt die Veränderung des monatlichen Durchschnittswerts der Importe Russlands nach der Invasion. Die Prozentwerte zeigen den Anstieg oder Rückgang des monatlichen Durchschnittswerts der Exporte pro Monat nach der Invasion im Vergleich mit dem monatlichen Durchschnitt für 2017 bis 2021. Quelle der Daten ist ein Auszug aus der Analyse, die von der New York Times veröffentlicht wurde.

Umstrukturierung der Weltwirtschaft

Die Analysten der NYT berichteten auch über ein Phänomen, das zu einer globalen Umstrukturierung des Energiemarktes führen könnte. Sowohl Russland als auch die Länder, die Sanktionen verhängt haben, sehen sich nach neuen Partnern um.

Der Handel Russlands mit Indien und China, auch mit der Türkei, boomt. Zwar müssten neue Versorgungsrouten gebaut oder Energierohstoffe möglicherweise per Schiff transportiert werden, was sehr viel zeitaufwändiger oder kostspieliger sein kann, als auf die bereits gebauten Pipelinenetze zurückzugreifen.

Doch „gleichzeitig können Länder, die früher große Handelspartner Chinas und Indiens waren, wie Saudi-Arabien oder der Irak, mehr Öl nach Europa verkaufen. Dies würde zu einer weltweiten Umstrukturierung des Energiemarktes führen“, so Sergej Alexander Alexaschenko, ehemaliger stellvertretender Finanzminister und stellvertretender Vorsitzender der russischen Zentralbank gegenüber der NYT.

Die Analyse deutet darauf hin, dass dieser Prozess nicht länger eine Vision ist, sondern bereits weitgehend begonnen hat.

Das 9. Sanktionspaket der EU ist in Arbeit

Theoretisch sollen die Sanktionen bewirken, dass Russland in eine prekäre Lage gerät. Man hofft, dass der Kreml sein Verhalten ändert, damit der Konflikt ohne weiteren Krieg gelöst werden kann. Die Europäische Union verhängt stetig neue Sanktionen gegen Russland. Die bisherigen EU-Sanktionspakete konzentrieren sich auf russisches Öl, Gas und Kohle. Mit dem 9. Sanktionspaket sollen die Beschränkungen im Energiesektor ausgeweitet und die Zusammenarbeit mit Russland im Nuklear- und Brennstoffbereich verboten werden.

Durch die USA wurden Sanktionen gegen Hunderte Mitglieder des russischen Parlaments verhängt. Personen und Organisationen außerhalb Russlands, die Russlands Militär oder die Annexion ukrainischen Territoriums unterstützen, wurden ins Visier genommen. Vermögenswerte von Präsident Putin und Außenminister Lawrow wurden in den USA, im Vereinigten Königreich und in der EU eingefroren. Auch Wirtschaftsführer, die dem Kreml nahe stehen, sowie mehr als 1.000 Einzelpersonen und Unternehmen unterliegen Einschränkungen. Die USA verboten zudem alle russischen Öl- und Gasimporte, berichtete die BBC Ende September.

Weitere Verbote zur Einfuhr von Diamanten und Stahl sowie von Flüssiggasprodukten sind im Gespräch. Ein künftiges Embargo soll auch für Software- und Hightech-Exporte gelten, russische Schiffe dürften keine europäischen Häfen anlaufen und russische Fernsehsender nicht in der EU senden, berichtete das Wirtschaftsanalyseportal VG.



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