Öl-Embargo: Ungarn gibt von der Leyen die Schuld und stellt weitere Forderungen

Gibt es beim EU-Gipfel einen Durchbruch im Streit über neue Russland-Sanktionen? Ungarns Ministerpräsident Orban verlangt weitere Garantien. Von der Leyen glaubt derweil nicht an eine schnelle Einigung.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán am 30. Mai 2022 in Brüssel.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán in Brüssel.Foto: KENZO TRIBOUILLARD/AFP via Getty Images
Epoch Times30. Mai 2022

Im Streit um ein europäisches Öl-Embargo gegen Russland hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban weitere Forderungen gestellt.

Es brauche Garantien für den Fall, dass etwa wegen eines Unfalls kein Pipeline-Öl mehr in das mitteleuropäische Land geliefert werden könne, sagte Orban am Montag am Rande eines EU-Sondergipfels in Brüssel. Dann müsse Ungarn das Recht haben, russisches Öl etwa über den Seeweg zu beziehen. Grundsätzlich nannte Orban den jüngsten Kompromissvorschlag der EU-Kommission einen „guten Ansatz“.

Dieser sieht eigentlich vor, zunächst die Einfuhr von per Schiff transportiertem Öl auslaufen zu lassen. Ungarn könnte sich demnach weiterhin über die riesige Druschba-Pipeline mit Öl aus Russland versorgen. Orban stellte am Montag zugleich klar, dass es bislang keinerlei Einigung gebe.

Für den seit Wochen anhaltenden Streit in der EU über das geplante Öl-Embargo gab Orban der EU-Kommission unter Präsidentin Ursula von der Leyen die Schuld. Diese habe „unverantwortlich“ gehandelt, indem sie Energie-Sanktionen vorgeschlagen habe, die zuvor nicht vernünftig mit den EU-Staaten verhandelt worden seien. Die ungarische Position sei jedoch sehr einfach: Zunächst brauche es Lösungen mit Blick auf die ungarische Versorgungssicherheit mit Energie, dann könne es Sanktionen geben. Bislang gebe es diese Lösungen aber nicht.

Tschechien fordert mehr Rücksichtnahme

Bei den Verhandlungen forderte der tschechische Ministerpräsident Petr Fiala mehr Rücksichtnahme auf die Sorgen einzelner Staaten. „Wir können es einfach nicht zulassen, dass bestimmte Erdölprodukte bei uns fehlen werden“, sagte der konservative Politiker am Montag in Prag vor seinem Abflug zum EU-Gipfel in Brüssel. Es gehe um „lebenswichtige Sicherheiten für die Bevölkerung“. Zentraler Streitpunkt ist derzeit die Gestaltung von Ausnahmeregelungen für Länder, die besonders stark von russischem Öl abhängig sind.

Fiala kritisierte erneut, dass die EU-Kommission die Ziele des mittlerweile sechsten Sanktionspakets veröffentlicht habe, bevor es darüber eine Einigung unter den Mitgliedstaaten gegeben habe. „Es erfreut mich nicht sonderlich, wie diesmal die Verhandlungen gelaufen sind“, sagte der 57-Jährige. „Wir stehen alle vor einem anspruchsvollen und teuren Umbau der Energiewirtschaft“, sagte Fiala. Tschechien deckt derzeit rund die Hälfte seines Erdölbedarfs aus russischen Quellen.

Von der Leyen: Schnelle Einigung unrealistisch

EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen glaubt nicht an eine schnelle Lösung des Streits. Es sei wichtig, dass ein Embargo niemanden in der EU unfair belaste, sagte sie am Montag vor Beginn des EU-Gipfels. „Und genau diese Frage haben wir noch nicht gelöst.“

Ihren Angaben zufolge gibt es verschiedene Lösungsideen, aber noch keine gemeinsame Position. Die Wahrscheinlichkeit, dass es einen Kompromiss beim Gipfel gebe, sei nicht sehr hoch, sagte sie.

EU-Ratspräsident Charles Michel zeigte sich hingegen optimistisch, beim Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs eine Einigung im Streit über das geplante europäische Öl-Embargo gegen Russland zu finden. In der EU herrscht Uneinigkeit über diesen Schritt. Vor allem Ungarn blockiert derzeit ein entschiedeneres Vorgehen gegen Importe russischen Öls in die EU.

Auch Bundeskanzler Olaf Scholz zeigte sich vor dem EU-Gipfel zuversichtlich, dass es zu einer Einigung im Streit über ein europäisches Öl-Embargo gegen Russland kommen kann. Es spreche alles dafür, „dass man sich zusammenfindet“, sagte der SPD-Politiker am Montag. „Niemand kann vorhersagen, ob es dann tatsächlich der Fall sein wird. Aber alles, was ich höre, klingt danach, als ob es einen Konsens geben könnte.“

Hohe Kosten für Umstellung

Die Kosten für die notwendige Umstellung von Raffinerieanlagen auf nicht-russisches Öl bezifferte die Regierung in Budapest zuletzt auf bis zu 550 Millionen Euro. Zudem müssen den Angaben zufolge 200 Millionen Euro investiert werden, um das Land künftig über eine an der Adriaküste beginnende Pipeline zu versorgen.

Als mögliches Druckmittel gegenüber Ungarn war am Montag die Einführung von hohen Sonderzöllen auf Öl-Einfuhren aus Russland im Gespräch. Sie könnten nach Ansicht mancher EU-Staaten per Mehrheitsentscheidung beschlossen werden und dazu führen, dass Öl-Importe aus Russland für Ungarn finanziell unattraktiv werden. Ob ein solcher Schritt wirklich umsetzbar wäre, ist allerdings umstritten. Experten der EU-Denkfabrik Bruegel kamen zuletzt zu dem Schluss, dass im konkreten Fall eine einstimmige Entscheidung notwendig wäre. Diese wiederum könnte Ungarn dann wieder blockieren.

Ungleiche Wettbewerbsbedingungen als Folge?

Inhaltliche Probleme mit dem Kompromissvorschlag hatten nach Angaben von Diplomaten bis zuletzt vor allem die Niederlande. Sie befürchteten, dass es in der EU zu ungleichen Wettbewerbsbedingungen kommen könnte, wenn einige Staaten weiter relativ günstiges Pipeline-Öl aus Russland beziehen. Relevant ist dies auch, weil der Hafen in Rotterdam bislang ein wichtiger Umschlagplatz für russisches Öl ist und dort durch das Embargo zunächst Geschäfte wegbrechen könnten.

Der ursprüngliche Vorschlag der EU-Kommission sah vor, wegen des Ukraine-Kriegs den Import von russischem Rohöl in sechs Monaten und den von Ölprodukten in acht Monaten komplett zu beenden. Lediglich Ungarn und die Slowakei sollten 20 Monate Zeit bekommen.

Auf der offiziellen Agenda des zweitägigen EU-Sondergipfels in Brüssel stehen unter anderem mögliche Maßnahmen gegen die aktuell bereits sehr hohen Energiepreise, die weitere Unterstützung für die Ukraine sowie die Zusammenarbeit der EU im Bereich der Sicherheit und Verteidigung. Zur aktuellen Lage in der Ukraine wird es den Planungen zufolge ein Briefing durch den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj geben. Dieser soll per Videokonferenz zugeschaltet werden. (dpa/red)



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