Orbán: Kein Veto, aber Blockade – Ungarns Widerstand gegen Ukraine-Hilfe

Könnte der EU-Gipfel Mitte Dezember platzen? Die Spannungen zwischen Brüssel und Budapest stellen den geplanten Ukraine-Beitritt infrage.
Titelbild
EU-Ratspräsident Charles Michel und der ungarische Ministerpräsident Viktor Orbán am 27. November in Budapest.Foto: MTI/Pressebüro des Premierministers/Zoltán Fischer
Von 6. Dezember 2023

Die Vorbereitungen für den EU-Gipfel der Staats- und Regierungschefs Mitte Dezember sind in vollem Gange. Im Voraus gab es persönliche Treffen zwischen dem ungarischen Ministerpräsidenten Viktor Orbán und dem EU-Ratspräsidenten Charles Michel über kritische Fragen, die über die Zukunft der EU mitentscheiden.

Orbán hat angedeutet, dass Ungarn möglicherweise die Zustimmung für weitere Hilfen für die Ukraine und dessen EU-Beitritt verweigern wird. Michel weiß, dass „der gesamte EU-Gipfel im Dezember sinnlos werden könnte, wenn er die Ukraine-Frage nicht mit dem ungarischen Regierungschef klärt“, heißt es in der ungarischen Presse.

Orbáns Briefe an Brüssel

Vor zwei Wochen hat der ungarische Ministerpräsident in einem Brief gefordert, dass bei dem kommenden EU-Gipfel eine Grundsatzdebatte über die Ukraine-Politik der EU geführt wird.

Er schrieb, dass die Entscheidung für zusätzliche militärische und finanzielle Unterstützung für das kriegsgebeutelte Land und den Beginn eines Beitrittsprozesses erst dann auf die Tagesordnung gesetzt werden kann, wenn die EU ihre Strategie gegenüber der Ukraine überprüft habe.

Daraufhin reiste Charles Michel am 27. November nach Budapest. Mehr als zwei Stunden lang sollen die Gespräche mit Orbán gedauert haben. Im Anschluss an das Treffen fand jedoch keine Pressekonferenz statt, sodass nicht bekannt ist, was genau zwischen den Parteien vereinbart wurde.

Am Montag, 4. Dezember, schickte der ungarische Ministerpräsident dann einen weiteren Brief an Michel, der inzwischen von „Politico“ für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde.

Laut Orbán würden die Staats- und Regierungschefs aufgefordert werden, dem Vorschlag des EU-Beitritts der Ukraine zuzustimmen, „ohne die Gelegenheit gehabt zu haben, ihn vorher zu diskutieren“.

„Es gibt Erwartungen, dass der Europäische Rat bei dieser Gelegenheit die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine beschließen kann und sollte. […] Angesichts des derzeitigen Stands der politischen und technischen Vorbereitungen sind diese Erwartungen unbegründet“, heißt es in dem Brief.

Orbán: „Dies ist kein Veto“

In der ungarischen Presse wird viel über Orbáns mögliches Veto und die damit verbundenen Bedenken berichtet. Orbán sagte, dass seine Einwände „wichtig für die nationale Unabhängigkeit“ seien.

Am 1. Dezember teilte er gegenüber dem staatlichen ungarischen Radiosender „Kossuth“ mit, dass „Ungarn Entscheidungen blockieren, aber kein Veto einlegen wird“. Der Gründungsvertrag der EU kenne dieses Wort im Übrigen nicht einmal.

Orbán sagte, dass man nicht in eine Lage geraten dürfe, in der man sich aufgrund des Eintretens für nationale Interessen „schuldig fühlt“. Nach Ansicht von Ungarns Regierung steht nämlich die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit der Ukraine zum heutigen Zeitpunkt nicht im Einklang mit den Interessen des Landes.

Im Gründungsvertrag der EU sei festgelegt, dass bei bestimmten Themen Entscheidungen nur getroffen werden können, wenn alle Mitgliedstaaten zustimmen. Daher gehe es hier überhaupt nicht darum, ein Veto einzulegen. Vielmehr sei die Sachlage so, dass es ohne Ungarn überhaupt „keine Entscheidung gibt“, so Orbán.

„Die EU ist nicht in Brüssel. […] Die Union ist in Budapest und Warschau und Paris und Berlin. Wenn wir, die Mitgliedstaaten, uns also in bestimmten Fragen einig sind, dann haben wir eine EU-Position. Wenn wir uns nicht einig sind, haben wir keine“, so sein Fazit.

Die Erpressungstheorie

Orbán wird auch vorgeworfen, Entscheidungen zu blockieren, um Zugang zu EU-Geldern von über 13 Milliarden Euro zu erhalten, die dem Land wegen der Kritik an der Rechtsstaatlichkeit vorenthalten werden.

Béla Ákos Révész, ein Analyst der konservativen ungarischen Denkfabrik „Makronóm“, äußerte vor Kurzem, das Problem der „Erpressungstheorie“ bestehe darin, dass „sowohl die ungarische Regierung als auch Brüssel sie entschieden bestreiten“.

Révész betonte, dass der Sprecher der Europäischen Kommission, Eric Mamer, dies auf einer Pressekonferenz Ende November klargestellt habe. Die EU plane, eine Milliarde Euro nach Ungarn zu überweisen, weil diese Ungarn zustehe und dies habe nichts mit Rechtsstaatlichkeit zu tun.

Wie geht es nun weiter?

Das ungarische Nachrichtenportal „Index“, welches der Opposition nahesteht, hat die Situation analysiert. Die radikalste Lösung wäre nach Aussage von Brüsseler Diplomaten, Ungarns Stimmrecht in der EU auszusetzen. Dies wird gemäß Artikel 7 des Vertrags von Lissabon geprüft, der die Aussetzung der Stimmrechte von EU-Mitgliedstaaten im Falle eines Verstoßes gegen die Rechtsstaatlichkeit vorsieht.

Jedoch sei Brüssel nun der Auffassung, dass die Anwendung von Artikel 7 gegen Viktor Orbán ein negatives Ergebnis für die EU haben könnte. „Es würde den Populismus schüren und den Austritt Ungarns aus der EU auslösen“, schreibt „Index“.

Nach der Auswertung der Situation führe Ungarns unnachgiebiger Kurs auch dazu, dass die EU in Erwägung ziehe, der Ukraine über bilaterale Abkommen finanzielle Hilfen zukommen zu lassen.

Es könnte auch auf eine Einigung mit Orbán hinauslaufen. Laut „Politico“ hat der französische Präsident Emmanuel Macron den ungarischen Ministerpräsidenten Ende dieser Woche nach Paris eingeladen, um ihn persönlich von einem Kompromiss zu überzeugen.



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