EU-Richtlinie stiftet Verwirrung – Schweden soll wegen Renaturierung abholzen

Einerseits sollen Wälder geschützt werden, andererseits sollen sie als Weide renaturiert werden. Was das konkret bedeutet, erklärt der Vizepräsident des Europäischen Bauernverbands, Palle Borgström. Die EU-Kommission plant ein Renaturierungsgesetz, das schon jetzt für Verwirrung sorgt.
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10.000 Quadratkilometer, also eine Million Hektar, soll Schweden wieder in Weide umwandeln.Foto: iStock
Von 9. Februar 2023

Gut gemeint ist nicht immer gut gemacht, heißt ein Sprichwort. Saubere Luft, klares Wasser, eine Tier- und Pflanzenvielfalt – durchaus erstrebenswerte Ziele, die ohne Frage zur Gesundheit und zum Wohlbefinden der Menschen beitragen. Die EU setzt sich dafür ein, Ökosysteme wieder in einen früheren Zustand zu versetzen, sprich zu renaturieren. Dafür gibt sie klare Richtlinien vor.

Allerdings gibt es Widersprüche zwischen den vorgelegten Vorschlägen. Was das konkret bedeutet, erklärte Palle Borgström, Vizepräsident des Europäischen Bauernverbands und Verbandspräsident der Schwedischen Landwirte, Ende Januar.

Gemeinsam mit seinem Bruder leitet er einen Milchviehbetrieb 40 Kilometer von Göteborg entfernt an der schwedischen Westküste. Dazu gehören etwa 170 Milchkühe, 350 Hektar landwirtschaftliche Nutzfläche und – wie es in seiner Region üblich ist – 200 Hektar Wald.

Aufgrund seines Mischbetriebes ist Borgström gleich von mehreren Green-Deal-Regelungen betroffen, die unterschiedliche Rahmenbedingungen setzen. Damit steht er einem Dilemma gegenüber, das er als „unrealistische Gleichung mit drei Unbekannten“ bezeichnet: dem Renaturierungsgesetz, der Entwaldungsverordung sowie den Richtlinien über Industrieemissionen, die sich in seinen Augen allesamt als „nachteilig, leichtfertig und ungeschickt“ erweisen.

Schweden soll eine Million Hektar Wald roden

Um die EU-Vorgaben zu erfüllen, müssen landesweit Weideflächen, insbesondere jene, die als Forstflächen genutzt wurden, wiederhergestellt werden.

„Schweden hat seit den frühen 1900er-Jahren in großem Umfang ehemalige Viehzucht- und Weideflächen aufgeforstet. Während in einigen Ländern die Wiederaufforstung als der richtige Weg angesehen wird, ist in Schweden die Erhaltung der bestehenden naturnahen Grünlandflächen in der Produktion die wichtigste Maßnahme für die biologische Vielfalt“, erklärt der Unternehmer.

Laut Schätzungen müssten im Rahmen des EU-Renaturierungsgesetzes bis zu einer Million Hektar (10.000 Quadratkilometer) Waldfläche in Grünland umgewandelt werden, so Borgström. Das entspricht der vierfachen Größe des Saarlandes oder der Hälfte der Landesfläche von Hessen.

Da sich der größte Teil dieser Fläche in Privatbesitz und unter privater Bewirtschaftung befindet, werde von den schwedischen Bauern erwartet, dass sie die bestehenden landwirtschaftlichen Betriebe und Wälder umgestalten, um die Wiederherstellungsmaßnahmen zu erfüllen.

Damit Wiesen und Dauerweiden erhalten bleiben, muss das Zuwachsen sowie die Neubewaldung der Flächen vermieden werden. Das bedeutet, dass wieder mehr Weidevieh angeschafft werden muss, obwohl die Anzahl bereits zurückgeht.

Aber das ist noch nicht alles. Die in der EU-Abholzungsverordnung festgelegten Grenzen verhindern den Verkauf von Holz, das durch die Abholzung dieser Wälder zum Zwecke der Wiederherstellung der Dauerweiden gewonnen wird. „Konkret würde dies für meinen Betrieb bedeuten, dass ich wochenlang schwer arbeiten müsste, um mein Land ohne Gewinn zu roden. Außerdem würde ich dieses Land als ertragreiche landwirtschaftliche Fläche verlieren“, erklärt Borgström.

Letztendlich würde die Abholzung der Wälder je nach Holzart – zumindest kurzfristig – Kohlendioxid freisetzen, anstatt es zu binden, was aber nicht im Interesse der EU sein dürfte.

150 Großvieheinheiten als Schwellenwert

Und dann gibt es noch den Vorschlag der Europäischen Kommission zu den Industrieemissionen, schildert Borgström weiter. Dieser sieht eine Beschränkung für Landwirte mit mehr als 150 „Großvieheinheiten“ vor, was etwa 150 Milchkühen entspricht. Der Betrieb des Schweden liegt jedoch ohnehin schon mit 170 Milchkühen über dieser Grenze. Wenn er nun für die Bewirtschaftung des wiederhergestellten Weidelandes noch mehr Rinder anschafft, fällt er automatisch in den Anwendungsbereich der Richtlinie. Dies sei mit finanziellen und bürokratischen Einschränkungen verbunden, was er als „klares Hindernis für weitere Investitionen in unseren Betrieb“ sieht.

Vielleicht wäre es sinnvoll, die Anzahl zu senken, um den EU-Richtlinien zu entsprechen und damit den Beschränkungen vorzubeugen, philosophiert Borgström. „Auf jeden Fall wird dies die Hofnachfolge und den Generationswechsel in meinem Betrieb und in anderen Betrieben dieser Art in den kommenden Monaten und Jahren weder attraktiv noch rentabel machen.“

„In der Land- und Forstwirtschaft arbeiten wir mit der Natur“, schließt der Bauer seine Ausführungen. Man plane in 5-, 10- und 20-Jahres-Zeiträumen und brauche Stabilität und Unterstützung, „wenn wir Entscheidungen treffen, die die Nahrungsmittel- und Ressourcensicherheit unseres Landes und der EU insgesamt angehen“.

Laut EU-Kommission bleibe es zwar den Mitgliedstaaten überlassen, wie die Ziele zur Renaturierung erreicht werden. „Aber sie macht nicht deutlich, wie sie die Kluft zwischen den von ihr vorgelegten Gesetzentwürfen überdecken will“, kritisiert Borgström.  Auf kurze Sicht werden nach seiner Einschätzung die Bauern die einzigen sein, die die Hauptlast der Veränderungen zu tragen haben. Die langfristige Perspektive sei damit für viele von ihnen „ein unerreichbarer Horizont“.

EU unter schwedischer Flagge

Am 1. Januar 2023 hat Schweden zum dritten Mal die EU-Ratspräsidentschaft für ein halbes Jahr übernommen. Während einer Plenarsitzung am 17. Januar 2023 betonte der schwedische Premierminister Ulf Kristersson, den Schwerpunkt daraufzulegen, „die EU grüner, sicherer und freier zu machen“.

Damit steht die Umsetzung der Vorschläge im Rahmen des Nature Resotration Law im Fokus, ein neues Gesetz zur Renaturierung geschädigter Ökosysteme in ganz Europa. Bis zum Jahr 2050 sollen 80 Prozent der europäischen Lebensräume, die sich im „schlechten Zustand“ befinden, wiederhergestellt und alle Ökosysteme renaturiert werden – von landwirtschaftlichen Flächen und Meeresgebieten bis hin zu Wäldern und städtischen Gebieten.

Die EU-Kommission schlägt hierzu unter anderem eine Verringerung eingesetzter chemischer Pestizide vor, die bis 2030 halbiert werden sollen. Das beabsichtigte Gesetz wird als „wichtiger Schritt“ bezeichnet, „um den Kollaps von Ökosystemen zu verhindern und den schlimmsten Auswirkungen des Klimawandels und des Biodiversitätsverlusts vorzubeugen“.

EU stellt 100 Milliarden Euro bereit

Für die Renaturierung sollen umfangreiche EU-Mittel bereitgestellt werden. Wie die EU-Kommission am 22. Juni 2022 mitteilte, wurde ein Budget von rund 100 Milliarden Euro für die Förderungen von biologischer Vielfalt und Wiederherstellung eingeplant.

Laut EU soll die Wiederherstellung von Feuchtgebieten, Flüssen, Wäldern, Wiesen und den im Meer vorhandenen Ökosystemen unter anderem dabei helfen,

  • die biologische Vielfalt zu erhöhen
  • die kostenlos von der Natur bereitgestellten Ressourcen wie Wasser- und Luftreinigung, Bestäubung von Nutzpflanzen und Schutz vor Überschwemmungen zu sichern
  • die globale Erwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen
  • die Widerstandsfähigkeit und strategische Autonomie Europas zu stärken, Naturkatastrophen zu verhindern und Ernährungskrisen zu verringern.

81 Prozent der Lebensräume innerhalb der EU befänden sich in einem „schlechten Zustand“. Die Anzahl von Bienen und Schmetterlingen sei rückläufig. Jeder Euro, der in die Wiederherstellung der Natur investiert werde, bringe einen Nutzen im Wert von 8 bis 38 Euro.

Ökosysteme mit dem größten Potenzial für den Abbau und die Speicherung von Kohlendioxid und die Prävention oder Verringerung der Auswirkungen von Naturkatastrophen bekommen laut EU die oberste Priorität.

Während Umweltverbände in dem geplanten Vorhaben sowohl Chancen als auch große Lücken sehen, gibt es auch Kritik seitens der EU-Parlamentarier, wonach der Gesetzentwurf an mehreren Stellen überarbeitet werden muss. Laut Medienberichten hat sich Schweden nicht positioniert, als das neue Gesetz im Dezember im EU-Umweltrat debattiert wurde. Man müsse wegen der bevorstehenden Ratspräsidentschaft neutral bleiben, hieß es.

 



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