Syrien: Türkei soll mithilfe von Islamisten-Milizen vorrücken – Berichte über Morde an Zivilisten

Bei ihrer Offensive gegen Kurdenmilizen in Nordsyrien soll die Türkei auch auf Angehörige radikalislamischer Milizen zurückgreifen, die im Syrienkrieg zuvor schon Kriegsverbrechen begangen hätten. Auch eine Kurdenpolitikerin sollen sie getötet haben.
Von 14. Oktober 2019

Die Offensive der Türkei gegen die Kurdenmiliz YPG im Norden Syriens hat zu einer neuen Dynamik im Syrienkonflikt geführt, deren Ende noch nicht absehbar ist. Zeitgleich mit der Offensive Ankaras gehen auch die Bemühungen des syrischen Regimes und seiner Verbündeten weiter, die zuvor noch von islamistischen Rebellen gehaltene Provinz Idlib komplett zurück unter ihre Kontrolle zu bekommen.

Unterdessen soll auch Frankreich den Abzug noch in Syrien befindlicher Spezialeinheiten angekündigt haben. Dies teilt der deutsch-türkische Eurasien-Analyst Ali Özkök unter Berufung auf den französischen Journalisten Jean-Dominique Merchet via Twitter mit. Die Türkei, so Özkök, beende damit „Frankreichs postkoloniale Ambitionen in Syrien“.

Authentizität von Handyvideos nicht bestätigt

Die Regierung in Ankara stellt die Offensive als dringliche Notwendigkeit dar, um die eigene Grenze und das eigene Territorium vor terroristischen Elementen der PKK zu schützen, zu deren Dachstruktur KCK auch die „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG) gehören. Demgegenüber argwöhnen Kritiker, die Türkei wolle auf Kosten der kurdischen Bevölkerung in der Region Platz schaffen für syrische Flüchtlinge aus Idlib und solche, die in türkischen Provinzen untergebracht sind.

Unterdessen berichtet die „Welt“, dass die Türkei bei ihrem Vorgehen in Nordsyrien auch auf Hilfstruppen aus den Reihen syrischer Rebellen setze, die radikal-islamisch ausgerichtet sind. Diese sollen zudem, so das Blatt weiter, bereits mehrere Menschen, auch Zivilisten, extralegal hingerichtet haben.

Handyvideos, etwa von der umkämpften M4-Straße nahe der umkämpften Grenzstadt Ras al-Ain, sollen offenkundige Kriegsverbrechen dokumentieren. Allerdings ist in vielen Fällen die Authentizität der Aufnahmen nicht bestätigt. Bisweilen tauchen auch Fake-Aufnahmen auf wie im Fall einer kurdischen Frau, die ihr vermeintlich bei einem Angriff der türkischen Armee ums Leben gekommenes Kind in die Kamera hält.

Dieses beginnt aber inmitten der Aufnahme zu blinzeln – was den „Bild“-Chefredakteur Julian Röpcke sogar zu der Mutmaßung veranlasst, das Kind wäre vor der Aufnahme unter Drogen gesetzt worden. Im Gegenzug machen – ähnlich wie bereits in früheren Jahren auf regimetreue Milizen gemünzt – auch Aufnahmen angeblicher Gräueltaten der SDF-Milizen die Runde, die innerhalb der türkischen Bevölkerung den Hass auf Kurden anstacheln.

In Afrin sollen Übergriffe und Revierkämpfe Alltag sein

Als gesichert kann jedoch gelten, dass protürkische Rebellen an einem Checkpoint die 35-jährige Kurdenpolitikerin Hevrin Khalaf von der „Partei Zukunft Syriens“ (FSP) und deren Fahrer erschossen haben. Dass sie unter insgesamt neun Zivilisten gewesen sei, die im Wege einer Massenexekution von protürkischen Rebellen getötet wurden, haben laut „Guardian“ die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte und das kurdisch geführte Militärbündnis SDF selbst bestätigt.

Für das Massaker verantwortlich sein soll die Brigade „Sultan Murat“, die Teil der protürkischen „Nationalen Armee“ ist. In dieser hatte Ankara unter anderem Angehörige radikal-islamischer Rebellengruppen zusammengefasst, nachdem diese aus Städten wie Homs oder Aleppo vertrieben worden waren. Vielen von ihnen wird vorgeworfen, bereits in den vorangegangenen Jahren des Krieges in Syrien an Folterungen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit beteiligt gewesen zu sein.

Anders als im Frühjahr bei der Eroberung von Afrin soll, so die „Welt“, auch die Brigade Ahrar al-Scharkija entlang der M4-Straße im Einsatz sein. Diese besteht seit 2016 und wurde aus ehemaligen Angehörigen von Al-Nusra und ihrer Nachfolgemilizen gebildet, die der global aktiven Terrororganisation Al-Kaida zuzurechnen waren. 

Der Vorwurf, dass die Türkei in Syrien seit Beginn des Krieges europäischen Dschihad-Touristen freies Geleit gegeben habe und bei ihrem Bestreben, den syrischen Machthaber Baschar al-Assad zu stürzen, in der Suche nach Verbündeten nicht wählerisch war, begleitet Ankara seit 2011. Anfangs wurde er vor allem von regimenahen und russischen Nachrichtenportalen erhoben, mittlerweile finden sich entsprechende Darstellungen häufig auch in westlichen Quellen.

Erdoğan soll auch bereits 2015 bei der Niederschlagung von PKK-Aufständen in Cizre und anderen südosttürkischen Städten auf radikal-islamische Söldner aus dem Syrienkrieg zurückgegriffen haben. Im gleichen Jahr hatten auch der Abschuss eines russischen Kampfjets nahe der türkisch-syrischen Grenze und die Ermordung eines Piloten durch islamistische Rebellen eine monatelange Eiszeit zwischen Moskau und Ankara ausgelöst.

Angehörige von IS-Kämpfern ausgebrochen

Aus Afrin dringen jedoch seit der Eroberung durch protürkische nicht nur Klagen über die Brutalität und den ideologischen Fanatismus islamistischer Kämpfer an die Öffentlichkeit, sondern auch solche über Korruption, Plünderungen, Entführungen und Misshandlungen an Zivilisten. Die Rebellenmilizen agieren zudem nicht in sich geschlossen. Immer wieder liefern sie einander auch wechselseitig Revierkämpfe, die auch die Zivilbevölkerung in Mitleidenschaft ziehen.

Am Wochenende sollen den Angaben der kurdischen Verwaltung in Nordsyrien und der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte auch rund 780 Angehörige von Extremisten des „Islamischen Staates“ (IS) aus einem Lager bei Ain Issa ausgebrochen sein. In dem Lager seien 12 000 Personen untergebracht, darunter etwa 1000 Frauen mit Bezug zum IS und deren Kinder.

Insgesamt sollen etwa 90 000 Anhänger oder Angehörige des IS und damit verbündeter radikal-islamischer Verbände in der Region interniert sein. Nun wird befürchtet, dass das Chaos dazu führt, dass sich auch Kämpfer der Terrormiliz befreien können. Von kurdischer Seite wird der Türkei vorgeworfen, dies billigend in Kauf zu nehmen, in der Gegenrichtung beschuldigt man die Kurden, bei Bedarf den Terroristen die Flucht zu ermöglichen, um die türkische Offensive zu diskreditieren.

Bereits angesichts der ersten bekanntgewordenen Gräueltaten islamistischer Rebellen in den Anfangsjahren des Krieges hatte Ankara das Assad-Regime beschuldigt, gezielt Terroristen freigelassen zu haben, um die „Syrische Revolution“ zu diskreditieren. Kritiker der Rebellen meinten hingegen, dass dieser Schritt nicht erforderlich gewesen wäre, weil diese auch ohne solcherart Verstärkung vor allem von islamischen Extremisten getragen worden wäre.

Vereinbarung zwischen Assad und den SDF

Der libanesische TV-Sender Al-Mayadeen berichtete von einer Vereinbarung der Regierung in Damaskus mit den SDF. Als Teil der Vereinbarung würden syrische Regierungstruppen ab Montagmorgen zur türkischen Grenze verlegt. Kontrollpunkte der SDF würden geöffnet, um der Armee Zugang zur Region zu verschaffen, berichtete Al-Mayadeen unter Berufung auf kurdische Quellen.

Heute wollen die Außenminister der EU in Luxemburg über mögliche Konsequenzen aus dem türkischen Militäreinsatz in Nordsyrien beraten. Mit Sanktionen, wie sie mancherorts gefordert werden, ist nicht zu rechnen. Türkische Medien weisen in diesem Zusammenhang darauf hin, dass EU-Staaten über Jahre hinweg nicht verhindert hätten, dass sich junge Menschen aus Westeuropa von sich aus auf den Weg gemacht hätten, um in Syrien für den „Dschihad“ zu kämpfen. Man habe dies gezielt nicht verhindert in der Hoffnung, durch deren Ableben auf dem Schlachtfeld ihr eigenes Problem mit radikalen Islamisten „loswerden“ zu können.

Bereits in der Vorwoche soll Ungarn, wie der „Spiegel“ berichtet, durch sein Veto verhindert haben, dass die EU eine Warnung vor einem Einmarsch der Türkei in Nordsyrien ausspricht. Die Türkei hatte zu diesem Zeitpunkt allerdings ohnehin bereits vollendete Tatsachen geschaffen.

(Mit Material der dpa)



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