Tödliches Fehlerkalkül

Bei der Todesstrafe gibt es kein Zurück
Von 9. März 2005

Eine bemerkenswerte höchstgerichtliche Entscheidungsserie der letzten Jahre in den USA dürfte nun auch dort eine Trendwende weg von der international stark umstrittenen Todesstrafe auslösen. Derzeitiger Höhepunkt ist ein Entscheid des Supreme Court Anfang März, der die Exekution Minderjähriger als unvereinbar mit der US-Verfassung ansieht.

Weltweiter Trend zur Abschaffung

Weltweit haben 117 Staaten die Todesstrafe abgeschafft, 78 halten an ihr als legitimes Mittel vor allem der Abschreckung fest. Die internationale Entwicklung zielt in Richtung Abschaffung. Weit weniger Staaten führen die Todesstrafe wieder ein, als Länder, die auf sie verzichten. Nach offiziellen Angaben von amnesty international wurden 2003 weltweit 1.146 Menschen in 28 Staaten hingerichtet. 84% der Todesurteile entfallen auf nur drei Staaten, nämlich China, Iran und den USA. Die Dunkelziffer dürfte, gerade in den Ländern der dritten Welt bedeutend höher liegen. Im Jahr 2003 wurden in den USA 137 Menschen zum Tode verurteilt, das ist deutlich weniger als noch im Spitzenreiterjahr 1996, als es 320 waren, seit Wiedereinführung der Todesstrafe in den Staaten 1976.

Wirkung

Soweit die groben Fakten, hinsichtlich der Wirkung dieser Strafart gehen gibt es in unterschiedlichen Ländern verschiedene Ansichten. Mag man über die Präventivwirkung der Todesstrafe geteilter Meinung sein, so herrscht in Europa und vielen anderen Nationen in einem Punkt Konsens: die Unumkehrbarkeit dieser Strafform sei ein bedeutender und für heutige Menschenrechtsstandards unerträglicher Nachteil, der durch keine eventuellen Präventivwirkungen aufgewogen werden kann. So gab es in den Ländern ohne Todesstrafe keinerlei merkbare Einbrüche in der Kriminalstatistik nach deren Abschaffung. Viele Nationen sind sogar internationalen Abkommen gegen die Todesstrafe, wie beispielsweise dem sechsten Protokoll zur Europäischen Menschenrechtskonvention, beigetreten.

Hohe Fehlerrate –

tödlich vor allem in Entwicklungsländern

So wurden in den USA, einer Nation mit hochentwickeltem Rechtssystem seit 1973 113 Gefangene aus der Todeszelle entlassen, nachdem nachträglich – oft erst viele Jahre später – Beweise für ihre Unschuld gefunden worden waren. Gemessen an den bis 2004 etwa 900 hingerichteten Personen ist das ein relativ hoher Prozentsatz.

Ein exemplarischer Fall dazu ist der geistig behinderte Earl Washington: Er wurde 1983 von der Polizei überredet die Vergewaltigung und den Mord an einer Frau aus Culpeper, VA zu gestehen. Dies wurde im darauf folgenden Verfahren verwendet und Washington wurde 1984 zum Tode verurteilt. 16 Jahre später bewies ein DNA-Test seine Unschuld und er wurde daraufhin aus dem Todestrakt entlassen.

Als weiterer Kritikpunkt kommt in den USA die Tatsache hinzu, dass die Anzahl der schwarzen Verurteilten die der Weißen unverhältnismäßig übersteigt.

Ist die Fehlerrate in einem Land wie den USA schon erschreckend hoch, so ist das Problem in Nationen mit schwach entwickeltem Rechtsschutzsystem wohl noch evidenter: So sterben etwa im Iran oder China ein wesentlich höherer Prozentsatz an Unschuldigen oder – ein Problem das in den USA nicht auftritt – politisch Andersdenkender.

Trend in den USA

Während die europäischen Staaten schon lange gemeinsam gegen die Todesstrafe auftreten, ist die Entwicklung in den USA ein langsamerer aber wohl jetzt durch das neue Urteil eindeutiger Weg in Richtung wesentlicher Einschränkung der Todesstrafe: Begonnen hatte es 1988, als der Supreme Court die Hinrichtung Jugendlicher unter 15 Jahren verbot, vor drei Jahren schließlich wurde festgestellt, dass die Hinrichtung geistig Behinderter mit der amerikanischen Verfassung in Widerspruch steht.

„Es ist Tatsache, dass die USA alleine in einer Welt stehen, die sich von der Todesstrafe für Jugendliche abgewandt hat…“ (US Bundesrichter Kennedy in seiner Urteilsbegründung)

Der aktuell entschiedene Fall (Roper vs. Simmonis) beruft sich auf den 8. Zusatz zur US Verfassung, der grausame und ungewöhnliche Bestrafung verbietet. Mit knapper Mehrheit (fünf Stimmen dafür, vier dagegen) beschlossen die zuständigen Richter des amerikanischen Höchstgerichtes, dass die Todesstrafe gegen zur Tatzeit Minderjährige unter dieses Verbot fällt. Mit diesem Urteil retteten sie nicht nur das Leben des unmittelbar Betroffenen, jetzt 28jährigen Christopher Simmons, der 17jährig im Zuge eines Einbruches mit einem Komplizen eine Frau ermordet hatte und dafür zum Tode verurteilt wurde. Mit dem Spruch werden auch die Todesurteile der 71 anderen, zum Tatzeitpunkt Minderjährigen, in den USA in lebenslange Haftstrafen umgewandelt. Das Urteil beruft sich unter anderem auf die internationale Ächtung der Todesstrafe gegen Minderjährige und führt damit die USA wieder näher an die internationale Gemeinschaft und Europa heran.

„Die Unterschiede zwischen jugendlichen und erwachsenen Tätern sind zu groß, als dass wir das Risiko zulassen können, dass gegen einen Jugendlichen die Todesstrafe verhängt wird, der nicht voll schuldfähig ist…“ resümiert das Urteil die wesentlichen Entscheidungsgründe und trägt damit dem Argument Rechung, dass die Todesstrafe eine nicht revidierbare Entscheidung darstellt.

EU begrüßt Entscheid

Nach Bekanntwerden des Urteils drückte auch der Europarat den USA seine Freude über die Entscheidung aus. „Die Vereinigten Staaten schließen sich damit der zivilisierten Welt an“, erklärte Terry Davis, Generalsekretär des Staatenbundes.

Weiterer Weg ungewiss

Wie lange der Weg zur endgültigen Abschaffung der Todesstrafe in den USA noch ist scheint nicht abschätzbar. Auch ob diese überhaupt jemals formell abgeschafft wird. Der Trend, dieses Mittel mehr und mehr einzuschränken, scheint nun endgültig ins Rollen gekommen zu sein.



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