USA: Jugendliche in den Fängen von Fentanyl

Das Drogenproblem in den USA hat im Jahr 2020 deutlich zugenommen, besonders bei Jugendlichen. Über 93.000 Menschen sind letztes Jahr an einer Überdosis gestorben – die große Mehrheit durch Fentanyl-Vergiftung.
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Dr. Laura Bermans Sohn Samuel ist im Alter von 16 Jahren an den Folgen von Drogen gestorben, die er über Snapchat gekauft hatte. Berman protestiert vor dem Snapchat-Hauptsitz in Santa Monica, Kalifornien, am 4. Juni 2021.Foto: PATRICK T. FALLON/AFP via Getty Images
Von 27. August 2021

Seit Jahren wird berichtet: Die USA haben ein großes Problem mit Opioiden. Und das nicht nur in gesellschaftlich eher problematischen Schichten, sondern überall. Das Jahr 2020, gezeichnet von Corona, hat dieses Problem zusätzlich verstärkt und Abgründe der amerikanischen Gesellschaft zu Tage befördert – besonders bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen.

Schmerztabletten sind mit Fentanyl vergiftet

Amanda Faith Eubanks erlaubte im Frühjahr 2020 ihrem 13-jährigen Sohn Luca mehr Zeit mit dem Handy zu verbringen, berichtet „Reuters“. Sie wollte, dass ihr Sohn den Anschluss nicht verliert. Luca begann kurz darauf, Marihuana von einem Fremden auf Snapchat zu kaufen. Als der 13-Jährige nach einer Wurzelbehandlung starke Schmerzen hatte, bot ihm der Dealer Percocet-Schmerztabletten an. Im August 2020 fand ihn sein Vater leblos in seinem Schlafzimmer. Statt einer Schmerztablette hatte Luca eine Fentanyl-Pille erhalten – nach Angaben der Polizei hat sie ihm das Leben gekostet. Der 19-jährige Dealer wurde erst im Juli 2021 von der Polizei wegen Mordes festgenommen.

Das ist leider kein Einzelfall. Im letzten Herbst entschied sich ein Jugendlicher aus Kalifornien, sein Studium um ein Semester zu verschieben, in der Hoffnung, dass der persönliche Unterricht wieder aufgenommen würde. Während der Wartezeit wohnte er bei der Familie seines Freundes in einem anderen Bundesstaat, berichtet „KQED“, eine lokale Zeitung aus San Francisco. Die Freunde wollten zusammen Snowboard fahren, doch an Thanksgiving fand die Gastfamilie ihn leblos in seinem Zimmer. Sie versuchten ihn aufzuwecken, aber er war schon tot.

Der Student starb am 25. November 2020 nach der Einnahme einer Percocet-Tablette. Ein Freund aus Kalifornien hatte sie ihm geschickt. Der toxikologische Bericht ergab, dass die Pille Fentanyl enthielt. Percocet ist eine Kombination aus Oxycodon und Paracetamol und wird als Mittel gegen mittelschwere bis schwere Schmerzen eingesetzt.

Oxycodon und Fentanyl werden zwar beide als Opioid-Medikamente eingestuft, doch gehört Letztere zu einer der stärksten aller Opioid-Drogen – nur zwei Milligramm sind innerhalb weniger Minuten tödlich.

Keith Humphreys, Psychiatrieprofessor an der Universität Stanford und Experte für Sucht- und Drogenpolitik, bezeichnet die Lage als „erschreckend“.

„Jeder dieser Menschen wurde von jemandem geliebt“, sagt er. „Es ist die schlimmste Überdosis-Krise in der Geschichte der Vereinigten Staaten, und wir machen keine Fortschritte.“ Während der Pandemie seien alle Ressourcen des Gesundheitswesens wegen des Notfalls umgelenkt worden, sagt Humphreys.

Dem Professor zufolge waren Medikamente zur Suchtbekämpfung im letzten Jahr schwieriger zu bekommen. Der Stress für Drogensüchtige nahm während des Lockdowns stetig und dramatisch zu. Die Konsumenten waren stärker isoliert als sonst – sie hatten keine anderen Menschen in ihrer Nähe, die bei einer Überdosis Erste Hilfe leisten konnten.

Das Weiße Haus schreibt dem Problem „dringende Priorität“ zu. Präsident Joe Biden hat im Haushaltsprogramm 41 Milliarden US-Dollar für  nationale Drogenprogramme vorgesehen – etwa 670 Millionen US-Dollar mehr als im Haushaltsjahr 2021 geplant gewesen waren.

Teenager verlieren Halt

Die Gründe für die Krise sind vielschichtig, doch einer zeichnet sich stärker ab: Teenager haben ihre Strukturen verloren, sagen Experten. Schulpflichtige konnten 2020 nur am virtuellen Unterricht teilnehmen. Sämtliche sportliche und andere Freizeitaktivitäten wurden ersatzlos gestrichen. Ihre sozialen Kontakte waren drastisch reduziert. Viele Jugendliche waren allein daheim und haben sich zunehmend dem Internet zugewandt.

Tracey Weeden betreibt eine Firma für Drogen- und Psychotherapie. Sie sagt, dass im Jahr 2020 im Vergleich zu 2019 85 Prozent mehr Kinder Therapien in Anspruch genommen haben.

„Die Jugend ist am stärksten betroffen“, sagt sie. Viele Kinder, die sich bei ihr in Behandlung begeben, haben einen Elternteil, der selbst Drogen oder Alkohol konsumiert.

Laut einem Kinderpsychiater in San Diego erzählen immer mehr Jugendliche, sie hätten die Drogen im Internet gekauft – dies sei im Lockdown besonders gängig gewesen. Er stellt auch eine Zunahme jüngerer Kinder fest, die versehentlich Drogen zu sich nahmen, weil sie mehr Zeit zu Hause verbrachten.

43 Prozent mehr Notrufe

Während des Lockdowns stieg die Zahl der Notrufe, die Jugendliche und Drogen betrafen, um 43 Prozent, zeigen die Daten der nationalen Datenbank der USA (NEMSIS).

In den vorangegangenen drei Jahren waren die Zahlen stabil: etwa 25 drogenbedingte Notrufe pro 100.000 Anrufe. Während der Hochzeit der Pandemie waren es 37 pro 100.000 Anrufe.

Die Corona-Regelung aus Kalifornien namens „shelter-in-place“ (zu Deutsch: „Obdach an Ort und Stelle“) und andere Einschränkungen verschlechtern die Situation der Jugendlichen, sagt Brandon Marshall, Epidemiologe an der Brown-Universität. „Shelter-in-place“ bedeutet, dass die Bürger so wenig wie möglich das Haus/die Wohnung verlassen sollen. Wichtige Erledigungen für den Bedarf des täglichen Lebens seien weiterhin erlaubt, doch keine sozialen Kontakte mit anderen. Marshall bezeichnet diese Maßnahmen als ein gefährliches Umfeld, vor allem für den Drogenkonsum, weil sie zu extremeren Notfällen führten.

„Wir wissen, dass die Art und Weise, wie Menschen in ihrer Jugend Drogen konsumieren, ihren späteren Drogenkonsum bis ins Erwachsenenalter prägt und beeinflusst“, so Marshall. „Was mich beunruhigt, ist, dass, wenn sich die Menschen daran gewöhnen, isoliert und nicht in einem sozialen Umfeld zu konsumieren, sich dies als Norm etabliert, die die Menschen bis ins Erwachsenenalter hinein gefährden könnte.“

Fehlender Zugang zu Therapien trug ebenfalls zum Anstieg der Todesfälle bei.

US-Regierung ist kurzsichtig

Rettungssanitäter Jeff Covitz sagte gegenüber „Reuters“, dass viele Anrufer bei der Nothotline „Straßen-Fentanyl“ konsumiert hatten, das oftmals in illegalen Labors hergestellt wird und für dessen Neutralisierung mehr als dreimal so viel Naloxon (Opioid-Antagonist) benötigt wird wie für Heroin. „Damit könnte man einen Elefanten aufwecken“, sagte er. In einer Schicht hatte er acht Anrufe wegen einer Überdosis entgegengenommen. Einige betrafen Minderjährige.

Keith Humphreys, Psychiatrieprofessor an der Universität Stanford, wirft dem US-Kongress Kurzsichtigkeit vor. Die Drogenabhängigkeit wird zu oft als kurzfristiges Problem behandelt und nicht als chronisches Problem wie Krebs und andere Krankheiten, sagte er im Juli gegenüber der „Washington Post“. 

„Wir denken immer noch, dass es eine kurzfristige Sache ist und wir nur einen Schub brauchen, um es zu überwinden. So ist es aber nicht“, sagt er.

„Ich bin einfach untröstlich“, sagt der Direktor der US-Gesundheitsbehörde, Francis Collins. „Wir haben eine weitere große Gesundheitskrise. Sie ist nicht ansteckend, breitet sich aber in unserem Land aus und kostet zu viele Menschenleben.“

Doch zur Bekämpfung des Problems gehört auch, dass der Zugang zu den Opioiden erschwert wird, sagt Nora Volkow, Leiterin des nationalen Instituts für Drogenmissbrauch. Sie fordert, dass der Zugang zu Suchtmitteln wie Methadon (ein Ersatzmittel für Heroin), Buprenorphin (ein Schmerzmittel) und die monatliche Naltrexon-Injektionen, die zur Entwöhnungsbehandlung Opioidabhängiger benutzt wird, stärker reguliert wird.

Während der Pandemie war ein vierwöchiger Vorrat an Methadon erlaubt, der normalerweise in täglichen Dosen in Kliniken bezogen werden muss. Im April lockerte die Biden-Regierung zudem die Beschränkungen für die Verschreibung von Buprenorphin durch Ärzte.

„Wer Fentanyl kauft, zahlt in US-Dollar“

Insgesamt starben im Jahr 2020 mehr als 93.000 Amerikaner an einer Überdosis Drogen, die Mehrheit durch eine Fentanyl-Vergiftung. Im Jahr 2019 waren es nach einer vorläufigen Statistik der Gesundheitsbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) 72.151. Im Vergleich dazu wurden 1999 insgesamt über 900.000 Todesfälle in den USA gemeldet.

Der Konsum von Fentanyl kann schnell in einer Tragödie enden: es ist nämlich 50-mal stärker als Heroin und 100-mal stärker als Morphium, so die US-Gesundheitsbehörde.

Fentanyl stammt hauptsächlich aus China und gelangt oft über Mexiko (und mexikanische Drogenbanden) in die Vereinigten Staaten.

Im Dezember 2018 versprach Chinas Staatschef Xi Jinping dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump auf dem G-20-Gipfel in Argentinien, den Verkauf von in China hergestelltem Fentanyl in die USA zu unterbinden.

Acht Monate später twitterte Trump, dass Xi sein Versprechen nicht gehalten hatte: „Mein Freund Präsident Xi [Jinping] sagte, dass er den Verkauf von Fentanyl an die Vereinigten Staaten stoppen würde – das ist nie geschehen, und viele Amerikaner sterben weiterhin!“

Das Fentanyl-Problem betrifft alle Teile der amerikanischen Gesellschaft. Die Folgen sind verheerend – darunter auch für das amerikanische Militär. Etwa die Hälfte der Todesfälle, die auf Fentanyl zurückgeführt werden, sind junge Menschen im wehrfähigen Alter.

Wie ein ehemaliger US-Regierungsbeamter feststellte, entspricht das der Streichung von fünf oder sechs Divisionen der Armee oder der Marinesoldaten pro Jahr, schreibt Grant Newsham, ein ehemaliger Marine-Offizier und Diplomat, in einem Kommentar. 

Aus seiner Sicht spielt die Sucht der Amerikaner in die Hände der Kommunistischen Partei Chinas, denn sie schwächen mit Fentanyl den Feind, den man bis Mitte des Jahrhunderts beherrschen will und sie verdient eine Menge Geld mit dem Drogenhandel. „Wer Fentanyl kauft, zahlt in US-Dollar.“

Auch diejenigen, die die Sucht überleben, können nicht mehr als vollwertige, produktive Mitglieder der Gesellschaft funktionieren. Ihre Familien müssen für die Pflege aufkommen und manche werden dadurch zerstört.

Newsham zufolge würden viele davon ausgehen, die Opfer seien nur „Drogensüchtige“ und wären ohnehin nicht zum Militär gegangen. „Das ist boshaft und falsch. Junge Menschen benehmen sich seit Jahrhunderten daneben, und das gilt auch für viele, die dem US-Militär beitreten“, so Newsham. Ein Kasten Bier oder ein Joint sei jedoch nicht vergleichbar mit einer schwer zu identifizierenden Droge, die oft falsch etikettiert ist und in winzigen Mengen auf unvorhersehbare Weise tötet oder dauerhaft behindert.

 



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