Waffen für die Ukraine gefährden eigene Einsatzbereitschaft der NATO

Die Lieferung von Waffen an die Ukraine geht mittlerweile auf Kosten eigener kritischer Bestände. Die NATO hofft nun, dass es Russland nicht besser geht.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei einer Pressekonferenz in Rom.
Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg bei einer Pressekonferenz in Rom.Foto: Roberto Monaldo/LaPresse/AP/dpa
Von 29. November 2022

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In der NATO steigen die Bedenken dahingehend, dass die umfangreiche Unterstützung der Ukraine mit Waffen eigene kritische Kapazitäten beeinträchtigen könnte. Dies geht aus einer Analyse des Magazins „Foreign Policy“ hervor.

Dies gilt umso mehr, als der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj auch den freiwilligen Rückzug russischer Truppen aus Cherson nicht als Anlass zu Verhandlungen betrachtet. Er hält nach wie vor an seinen Maximalzielen fest, die auch eine Rückeroberung russisch kontrollierter Teile des Donbass und der Krim umfassen.

Eigene Munitionsvorräte der NATO werden knapper

Dabei steht und fällt die Fähigkeit der Ukraine, die Kampfhandlungen fortzusetzen, mit dem rechtzeitigen Eintreffen westlicher Waffenlieferungen. Gleichzeitig ist die NATO jedoch entschlossen, ihre Ostflanke zu stärken und zwischen Ostsee und Schwarzem Meer ihre eigenen Positionen aufzustocken. Der „Münchner Merkur“ verweist beispielsweise auf den polnischen Militärflughafen Rzeszów, den man „zu einer regelrechten Festung“ ausgebaut habe.

Eine anonyme Quelle aus NATO-Kreisen äußerte gegenüber „Foreign Policy“, in der Allianz mehrten sich Stimmen, die zu einem Überdenken der derzeitigen Versorgung der Ukraine mahnen. Es dürften, so der Tenor, nicht die eigenen Bündnisverpflichtungen leiden. Dies könnte jedoch der Fall sein, wenn die eigenen Munitionsvorräte nicht mehr das erforderliche Ausmaß aufwiesen oder die eigene Einsatzbereitschaft gefährdet sei.

Ein anonymer NATO-Funktionsträger erklärte, man sei „jetzt hinreichend besorgt“. Die Mitgliedstaaten hätten die Rüstungsindustrie angewiesen, ihre Produktion hochzufahren, um die Vorräte wieder auffüllen zu können. Ziel soll es sein, zu verhindern, dass die eigenen Bestände unter das Niveau fallen, das als Mindestausstattung der NATO zur Aufrechterhaltung eigener Verteidigungsverpflichtungen gilt.

Keine permanente Vorratshaltung an Seltenen Erden mehr

Dabei hatte NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg erst jüngst betont, die weitere Unterstützung der Ukraine im Krieg gegen Russland sei notwendig. Immerhin habe der russische Präsident Wladimir Putin einen Fehler begangen. Dieser habe das „Engagement der NATO-Verbündeten zur Unterstützung der Ukraine unterschätzt“.

Jedoch diagnostizieren mit der Materie vertraute Kreise in den USA, dass selbst ohne den Krieg in der Ukraine die Bestände des Militärbündnisses zu gering seien. Dieser Meinung ist beispielsweise Jeb Nadaner, ein ehemaliger stellvertretender US-Verteidigungsminister der Ära Trump. Er betont gegenüber „Foreign Policy“:

Man muss dafür nicht die Waffen des 22. Jahrhunderts erfinden, aber die Industrie braucht ein stabiles Nachfragesignal.“

Anders als in der Zeit des Kalten Krieges unterhielten die USA heute keine permanenten Vorräte an Waffen, Seltenen Erden und anderen kriegswichtigen Materialien. Der Zusammenbruch der Sowjetunion und der Kampf gegen den Terrorismus hätten andere Prioritäten erfordert.

Entsprechend sei die NATO auch nicht für Eskalationen gerüstet gewesen, wie sie nun der Ukraine-Konflikt erfahren habe. Dies betont Frederick Kagan, ein Senior Fellow des American Enterprise Institute. Die NATO plane nicht wirklich, Kriege „mit einem sehr intensiven Einsatz von Artilleriesystemen und vielen Panzer- und Kanonengeschossen“ zu führen.

Rüstungsindustrie wollte längerfristige Planungssicherheit

Nadaner zufolge mangele es dem Pentagon an seegestützten Raketen wie Harpoons und Tomahawks. Zudem gebe es immer weniger gemeinsame direkte Angriffsmunition und Panzerabwehrraketen wie Javelin oder dem High Mobility Artillery Rocket System. Von diesen habe die Ukraine erst 20 erhalten und etwa 18 weitere seien unterwegs. Gleichzeitig hätten die USA in einigen dieser Bereiche nicht einmal ausreichend Vorräte für den Eigenbedarf:

Die Vorstellung, dass die Vereinigten Staaten in einigen Fällen nur wenige Wochen Vorräte für das Magazin haben und diese dann leer sind, schadet wirklich der Abschreckung.“

Zwar habe man nach den Ereignissen auf der Krim 2014 Rüstungsunternehmen dazu aufgefordert, die Produktion hochzufahren, diese allerdings wollten zuerst Zusicherungen dauerhafter Verträge, um die zusätzlichen Fertigungsstätten auch längerfristig nutzen zu können. Außerdem hätten steigende Rohstoffpreise und ein Mangel an qualifizierten Arbeitskräften deren Kapazitäten zusätzlich beeinträchtigt.

In Europa sieht es ähnlich aus. Während es dort ohnehin weniger Unternehmen gibt, die Waffen wie die CAESAR-Haubitzenkanone produzieren können, zögern viele Staaten auch bei der Lieferung alter Waffensysteme. Die europäischen Staaten wollen zudem jeden Eindruck einer eigenen Mobilisierung vermeiden. Außerdem ist die Rüstungsindustrie dort erst recht kein Wunscharbeitgeber für Techniker oder Konstrukteure. Immerhin gehen sie davon aus, dass ihre Arbeitsplätze nicht sicher wären, würde sich die Lage in der Ukraine beruhigen oder der Wirtschaftsabschwung anhalten.

NATO-Länder werden Verteidigungsetats weiter erhöhen müssen

Unterdessen ist der Ukraine offenbar die sowjetische 152-Millimeter-Standardartellerie aus Sowjetbeständen ausgegangen, die etwa 60 Prozent ihres Arsenals ausmacht. Dies führt dazu, dass das Land mittlerweile vollständig auf 155-Millimeter-NATO-Standardausrüstung angewiesen ist. Diese muss jedoch in ausreichendem Maße nachproduziert werden.

Zwar ist die Ukraine weiterhin in der Lage, die Kampfhandlungen im Donbass und im Süden des Landes aufrechtzuerhalten, eine neuerliche Ausdehnung der Front durch russische Truppen im Norden könnte die Nachschublinien unter weitere Anspannung stellen.

Die NATO hofft nun darauf, dass es der russischen Armee in dem Artillerie-Abnutzungskrieg nicht besser ergeht. Kagan meint, dafür auch Anhaltspunkte ausmachen zu können. Dass Russland sich zum Ankauf von Waffen an Länder wie den Iran oder Nordkorea wenden müsse, zeige, dass das Land in Schwierigkeiten sei:

Wir haben auch verschiedene Anzeichen dafür gesehen, dass die Russen ihre Artillerie rationieren mussten.“

Militärexperten gehen nach der jüngsten russischen Angriffswelle davon aus, dass Moskaus Streitkräfte nur noch 120 Iskander-Kurzstreckenraketen in ihrem Arsenal hätten.

Da es jedoch bis auf Weiteres keine Anzeichen für ein Ende des Krieges gibt, stellt man sich in der NATO auf einen dauerhaften Wandel des Sicherheitsumfeldes ein. Dies würde eine deutliche Aufstockung der Verteidigungsetats in den Mitgliedsländern erforderlich machen.



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