Wagner-Gruppe unter Druck: „Prigoschins Stern hat sich verdunkelt“

Der Ukraine-Krieg verhalf der Wagner-Gruppe zu großem medialem Bekanntheitsgrad und ihrem Chef Jewgeni Prigoschin zu einer gewissen militärischen Macht. Allerdings legte sich der Söldnerchef verbal zu oft mit der russischen Militärführung an – und bekam schließlich einen Dämpfer. Auch international schaut man jetzt genauer auf die Paramilitärs und ihre Einsätze, vor allem in Afrika.
Wagner-Gründer Jewgeni Prigoschin brüstet sich seit einiger Zeit immer offener mit den angeblichen Errungenschaften der Söldnertruppe.
Wagner-Gründer Jewgeni Prigoschin brüstet sich seit einiger Zeit immer offener mit den angeblichen Errungenschaften der Söldnertruppe.Foto: Sergei Ilnitsky/Pool EPA via AP/dpa
Von 22. Februar 2023

„Prigoschins Stern hat sich verdunkelt. Er hatte es mit seiner Kritik am Militär und anderen Eliten übertrieben“, schrieb vor einigen Tagen der russischstämmige US-Unternehmer und Vorsitzende der US-amerikanischen Denkfabrik Silverado Policy Accelerator, Dmitri Alperovitch, auf Twitter. Der Wagner-Boss habe zu viel Vertrauen in seine Macht gehabt, „die immer von Putin/dem Staat stammte“, meinte Alperovitch. „Jetzt werden seine Flügel gestutzt.“

Die 2014 gegründete russische paramilitärische Wagner-Gruppe wird von dem russischen Unternehmer und Catering-Millionär Jewgeni Prigoschin geleitet, auch „Putins Koch“ genannt. Die Privatarmee unterstützt im Ukraine-Krieg die russischen Streitkräfte. Schlagzeilen hatte die Gruppe unter anderem wegen ihrer Brutalität gemacht und weil sie in russischen Gefängnissen Söldner rekrutierte. Diese schickte Prigoschin mit Amnestieversprechen an die vorderste Front in der Ukraine.

Prigoschin hatte es über die Jahre auch geschafft, mit einer von ihm gegründeten Medienholding über Nachrichtenseiten und Social-Media-Kanäle Einfluss auszuüben und Meinungen zu beeinflussen. Doch mittlerweile verliert Prigoschin offenbar an Einfluss und die Unterstützung aus Moskau schwindet.

Hatte der Wagner-Chef gar eigene Pläne und flog auf?

Moskau nimmt Prigoschin die Kriminellen weg

Nach Prigoschins Angaben vor einigen Tagen soll die Rekrutierung von Gefangenen für die Gruppe mittlerweile „vollständig eingestellt“ worden sein, was er einen „Aderlass“ für seine Einheiten bezeichnete. „Irgendwann wird die Zahl der Einheiten sinken und als Konsequenz auch das Volumen der Aufgaben, die wir ausführen wollen“, habe der Söldnerboss nach Medienangaben auf Telegram gepostet.

Die „Neue Zürcher Zeitung“ schreibt zudem, dass die russische Armee inzwischen selbst Strafgefangene einziehe, mit dem Vorteil, dies im Rahmen der Teilmobilmachung einfach so und ohne Überredungen durchführen zu können.

Allerdings hat die Armee mit den Nachwirkungen von Prigoschins Treiben zu kämpfen. Nach Angaben der „Financial Times“ seien Wagners hohe Opferzahlen und die Berichte über gewalttätige Repressalien gegen seine eigenen Männer seit Kurzem auch in die russischen Gefängnisse gesickert. Daher fand die zweite Rekrutierungskampagne Anfang des Jahres nur wenig Interesse, wie Aktivisten für Gefangenenrechte erklärt hätten.

Es gibt aber immer noch welche, für die das Schlachtfeld verlockender ist als das Gefängnis. Das US-Nachrichtenmagazin „Newsweek“ berichtete von einem russischen Serienkiller, der für seine Verbrechen zweifach lebenslang bekam. Der Ex-Polizist mit den Spitznamen „Werwolf“ und „Angarsker Wahnsinniger“ soll zwischen 1992 und 2010 mehr als 80 Frauen ermordet haben.

Die russischen Behörden erlaubten dem Staatsfernsehen, den 58-Jährigen zu interviewen. Der seit zehn Jahren einsitzende Kriminelle meinte, er „würde nicht zögern“, sich den russischen Streitkräften in der Ukraine anzuschließen. „In Anbetracht meiner militärischen Spezialisierung denke ich, dass es jetzt sehr gefragt ist.“ Um was für militärische Erfahrungen es sich dabei handeln sollte, erklärte der Serienmörder nicht. Berichten zufolge habe er nur als Polizist und Wachmann gearbeitet.

Laut dem „Newsweek“-Bericht habe die russische Menschenrechtsaktivistin Olga Romanova im Oktober 2022 gesagt, dass mehr als 20.000 russische Gefangene von Prigoschins Gruppe für den Ukraine-Krieg rekrutiert worden seien – aus Strafkolonien im europäischen Teil Russlands sowie im Uralgebiet. Diese Zahl hat sich mittlerweile verdoppelt. Romanova hatte zuvor bereits berichtet, dass auch Untersuchungshäftlinge ohne Gerichtsverfahren rekrutiert worden seien.

Was Prigoschin nun verwehrt wird – die Rekrutierung im Gefängnis , setze laut „Financial Times“ und nach Angaben von zwei prominenten russischen Menschenrechtsgruppen nun Russlands reguläre Armee fort.

Olga Romanova, Leiterin der Aktivistengruppe „Russland hinter Gittern“, habe in einem Interview mit dem Medienunternehmen „We Can Explain“ festgestellt: „Das Verteidigungsministerium legt Wert darauf, zu sagen, dass sie nicht [Wagner] sind und keine Hinrichtungen im Schnellverfahren durchführen.“ Das sei wichtig für die Gefangenen, „sie hatten alle wirklich Angst vor diesen Morden“.

Hat der Söldnerboss zu hoch gepokert?

In einem Video hatte Prigoschin geäußert, dass sie ohne diese „monströse Militärbürokratie“ Bachmut schon vor Neujahr eingenommen hätten, wenn man ihnen nicht jeden Tag Steine in den Weg gelegt hätte. Prigoschins ständige Kritik an der obersten Militärführung Russlands ging irgendwann zu weit und wurde beendet.

Am 11. Januar übernahm der russische Generalstabschef Waleri Gerassimow den Oberbefehl über die russischen Streitkräfte in der Ukraine. Der bisherige Oberbefehlshaber, Armeegeneral Sergei Surowikin, ein Prigoschin-Unterstützer, wurde von Verteidigungsminister Armeegeneral Sergei Schoigu als einer von Gerassimows Stellvertretern installiert.

Die „Neue Zürcher Zeitung“ schreibt dazu, dass Prigoschin aus einem bürokratischen Tauziehen mit der traditionellen Elite um Generalstabschef Waleri Gerassimow geschwächt hervorgegangen sei. Sowohl Schoigu als auch Gerassimow zählen nicht unbedingt zu Prigoschins Freunden, was dieser immer wieder durch verbale Attacken gegen die beiden Armeegeneräle unterstrich.

„T-online“ berichtet gar mit Verweis auf den russischen Exiljournalisten und Menschenrechtler Wladimir Osetschkin von einer möglichen Verschwörung von Prigoschin, Armeegeneral Surowikin und Tschetschenenführer Ramsan Kadyrow. Osetschkin habe in dem russischen Portal „Wir können es erklären“ berichtet: „Prigoschin sollte Verteidigungsminister oder dessen Stellvertreter werden, Kadyrow wollte die Nationalgarde leiten.“ Allerdings sei Putins Geheimdienst FSB schon im Oktober dahinter gekommen und habe die Pläne durchkreuzt.

Nachdem Surowikin im Ukraine-Feldzug Generalstabschef Gerassimow unterstellt worden war, nahm auch Tschetschenenführer Kadyrow einen rhetorischen Kurswechsel vor. Statt die russische Militärführung wie zuvor zusammen mit Prigoschin ständig zu kritisieren, sagte der Tschetschenenchef kürzlich zu den aktuellen Moskauer Militärentscheidungen: „Denkt daran, Freunde, wir befolgen Befehle, wir hinterfragen sie nicht.“

Aus Sicht von Osetschkin hat der Wagner-Chef keine politische Zukunft: „Prigoschin kann froh sein, wenn er seinen Prozess noch erlebt. Nach den Methoden zu urteilen, die Putin anwendet, wird er wahrscheinlich gesäubert werden.“

„Kanonenfutter“ für Bachmut

John Kirby, Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates der USA, erklärte dieser Tage bei einem Pressebriefing in Washington noch, dass die Wagner-Söldner derzeit vor allem im Gebiet um die ostukrainische Stadt Bachmut aktiv sind. Kirbys Angaben zufolge habe die Wagner-Gruppe im Ukraine-Krieg „mehr als 30.000 Verluste erlitten (…) einschließlich etwa 9.000 Gefallenen“. Kirby betonte, dass in den vergangenen zweieinhalb Monaten die Hälfte davon, etwa 4.500 der Wagner-Kämpfer, gefallen seien, „als die Kämpfe in Bachmut intensiviert wurden“.

Die USA schätzten, dass es sich bei den im Dezember Gefallenen zu 90 Prozent um Häftlinge gehandelt habe. Prigoschin habe die Leute einfach aus den Gefängnissen geholt und aufs Schlachtfeld geworfen – „ohne Training, ohne Ausrüstung, ohne Organisationskommando“ –, erklärte der frühere Konteradmiral und Informationschef der US-Marine. „Sie behandeln ihre Rekruten, größtenteils Sträflinge, im Grunde wie Kanonenfutter, werfen sie hier buchstäblich in einen Fleischwolf, auf unmenschliche Weise“, ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, so der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates.

Nach Ansicht der USA verlasse sich die Wagner-Gruppe weiterhin „stark auf diese Sträflinge in den Bachmut-Kämpfen“. Es gebe derzeit keine Anzeichen dafür, dass das nachlasse. Kirby meinte sogar, es sei „möglich, dass sie in Bachmut erfolgreich sein könnten“. Das werde sich aber „für sie als wertlos erweisen, weil es keinen wirklichen strategischen Wert hat“.

Prigoschin ist da anderer Meinung. Er begründet den monatelangen harten Kampf um Bachmut mit riesigen Tunnelsystemen: „Die Kirsche auf dem Kuchen ist das System der Soledar- und Bakhmut-Minen, das eigentlich ein Netzwerk unterirdischer Städte ist. Es hat nicht nur die Fähigkeit, eine große Gruppe von Menschen in einer Tiefe von 80 bis 100 Metern zu halten, sondern auch Panzer und Infanterie-Kampffahrzeuge können sich dort bewegen“, hatte Prigoschin laut Reuters über Telegram verlautbart.  In diesen unterirdischen Komplexen würden schon seit dem Ersten Weltkrieg Waffenvorräte gelagert. Demnach sei Bachmut ein wichtiges Logistikzentrum mit einzigartigen Verteidigungsstellungen, so Prigoschins Aussagen. Inwieweit das stimmt, ist unklar. Was es dort sicher gibt, ist ein 160 Kilometer langes Tunnelsystem und ein riesiger unterirdischer Raum, in dem zu Friedenszeiten Fußbalspiele und Musikkonzerte veranstaltet wurden, so Reuters.

Das weiße Haus reagierte auf Prigoschins Aussagen und verwies auf kommerzielle Gründe für den Wagner-Chef. Er wolle an die Gips- und Salzminen in der Region. Die von Prigoschin erwähnte unterirdische militärische Nutzung wurde jedoch nicht angesprochen.

Wenn der Nachschub versiegt

Prigoschin selbst erklärte vor einigen Tagen, dass der Kampf um Bachmut noch bis März oder April andauern werde. Verantwortlich für das langsame Vorankommen machte „Putins Koch“ die Moskauer Militärführung – was sich für ihn bekanntlich als taktischer Fehler erweisen sollte.

Mit dem Entzug der Möglichkeit, sich neue Söldner in den russischen Gefängnissen zu rekrutieren, versiegte auch der Nachschub für die verzehrenden Kämpfe an vorderster Front in der Ukraine. Dieser taktische Schlag der russischen Militärführung gegen den aufmüpfigen Prigoschin beraubt den Söldnerführer mehr und mehr seiner militärischen Macht – die letztendlich auf seinem skrupellosen „Verheizen“ von Kämpfern an vorderster Front beruhte.

Dass Prigoschin zu weit gegangen war, bekommen nun möglicherweise auch seine Kämpfer an der Front zu spüren. In einem Telegram-Video appellieren mutmaßliche Wagner-Artilleristen bei Bachmut an „unsere Kollegen und Freunde im Verteidigungsministerium“, für Nachschub zu sorgen. Man sei vollständig von Munitionslieferungen abgeschnitten. Man brauche Granaten für Haubitzen, Panzerabwehrkanonen und Kampfpanzer: „Wir schuften uns für euch ab, helft uns!“



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