Achtsamkeit macht Schule: Meditation statt Nachsitzen an Problemschule in USA

Bei den Kleinen fängt es an: Vor zehn Jahren startete in den USA ein Projekt, das an einer Problemschule Tadel und Verweise durch Meditation und Gesprächsangebote ersetzte. Mittlerweile halten Glücksunterricht, Achtsamkeitstraining und Mediation Einzug in immer mehr Schulen – auch in Deutschland.
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Bessere Konzentration und weniger Ärger: Mediation auch in der Schule.Foto: iStock/Abraham González Fernandez
Von 3. Juni 2023

In Baltimore machte die The Robert W. Coleman Elementary School von sich reden, weil sie „aufmuckende“ Schüler erstmals nicht vom Unterricht ausschloss oder bestrafte, sondern ihnen stattdessen die Möglichkeit gab und Strukturen dafür schuf, sich selbst wieder zu beruhigen, ihre Wut zu kontrollieren und sich zu zentrieren.

Die auffällig gewordenen Kids gehen dazu in einen eigens dafür eingerichteten „Mindful Moment Room“ (auf Deutsch ‚Achtsamkeits-Moment-Raum’) in der Schule. Nicht als Strafe, sondern um sich hier wieder zu sammeln, das Geschehene zu reflektieren und sich innerlich neu auszurichten.

Besser Nachdenken als Nachsitzen

Wobei dieser „Mindful Moment Room“ der äußere Raum ist, an dem das Erfolgskonzept festzumachen ist: Denn schon im Zimmer selbst sieht es nicht nach Strafe aus. Das „Nachsitzen“ findet inmitten lila Plüschkissen, liebevoller Dekorationen, Kerzen und bei gemütlichem Lampenlicht statt. All das soll die sich schlecht benehmenden Schüler dabei unterstützen, Atemübungen zu machen und wieder in ihre Mitte zu finden. Auch besteht das Angebot, das Geschehene im geschützten Raum zu besprechen.

Kein mühsam diszipliniertes Nachsitzen mehr, kein Antreten beim Schulleiter oder verdruckstes Elterngespräch, keine Extra-Hausaufgaben oder gar Schulrausschmiss oder Tadel, wie es andernorts als Bestrafungsmaßnahmen üblich ist. Die Schule in einem Problembezirk von Baltimore, der mit Armut und Gewalt zu kämpfen hat, setzt seit über zehn Jahren auf Yoga, Achtsamkeit und Atemübungen bei den Kids. Und das mit durchschlagendem Erfolg und erstaunlichen Ergebnissen.

Atmen statt Aggression

Es begann damit, dass die Lehrer sich fragten, ob Bestrafungen wirklich sinnvoll sind und eine Lösung jenseits davon suchten. Vielmehr stand das Bestreben im Mittelpunkt, den Kindern dabei zu helfen, ihr Verhalten langfristig zu ändern. Daraus wurde ein Experiment.

Das Ergebnis: Seitdem es den Meditationsraum gibt, wurde kein einziger Schulverweis mehr an der „Robert W. Coleman Elementary School“ ausgesprochen. Stattdessen stehen jetzt Konfliktlösung und Selbstfürsorge auf dem Lehrplan. Erklärtes Ziel ist es, die Ressourcen der Kids an Geduld, Einfühlungsvermögen und Entschlossenheit zu aktivieren und, wenn nötig, sie auch „gerechten Zorn“ entwickeln zu lassen.

Das Erfolgskonzept wurde mit der Holistic Life Foundation (HLF), einer Non-Profit-Organisation für sozial Schwächere in Baltimore, etabliert. Die gemeinnützige Organisation, die 2001 von den Brüdern Ali und Atman Smith und ihrem College-Freund Andres Gonzalez gegründet wurde, arbeitet mittlerweile mit wöchentlich mit mehr als 5.000 Schülern der öffentlichen Schulen von Baltimore. In den 20 Jahren des Bestehens seit seiner Gründung hat HLF mehr als 100.000 Jugendliche und auch Erwachsene durch Yoga- und Achtsamkeitsprogramme betreut.

Die Robert W. Coleman Elementary School und ihr „Mindful Moment Room“ ist kein Einzelfall: An den Schulen, die an den Programmen der Organisation teilgenommen haben, sind die Suspendierungsraten durchweg gesunken und die Abschlussquoten in die Höhe geschnellt.

Meditation meets Wissenschaft

Mediation hat Auswirkungen auf Gehirn, Gedanken und Gesundheit und diese sind auch messbar. Der Psychologe Richard Davidson von der University of Wisconsin-Madison wies nach, dass ein dreimonatiges Meditationstraining die Aufmerksamkeit und Konzentration schärft. Kurz gesagt: Teilnehmer der Studie konnten nach drei Monaten in einem Zahlensalat versteckte Ziffern viel schneller identifizieren.

Im Massachusetts General Hospital in Boston gab es Untersuchungen mit Ergebnissen, dass sich Meditation auch in der Morphologie des Gehirns niederschlägt. Via Hirnscan zeigte sich, dass der Mandelkern – das „Angst-Zentrum“ – schrumpfte und andere Bereiche im Gehirn, denen der Sitz des Mitgefühls zugeschrieben wird, zugenommen haben.

Weltweiter Trend mit immer mehr Projekten

Die Meditations- und Achtsamkeitswelle ist nicht auf die Vereinigten Staaten beschränkt. Weltweit gibt es immer mehr Projekte, die versuchen, diese Praktiken zu nutzen, um schon den Kleinen die hilfreiche Wirkung dieser Praktiken mit auf den Weg zu geben. In England beispielsweise werden seit 2021 an 370 Schulen unter dem Label „Psychische Gesundheit“ Entspannung und Atmung unterrichtet.

In Dänemark lernen Kinder die Fähigkeit des sorgsamen Umganges mit anderen Menschen bereits ab dem sechsten Lebensjahr. Zehn Jahre lang, bis zu ihrem 16. Lebensjahr, bekommen die Schüler dort wöchentlich eine Stunde Empathie-Unterricht.

Auch in deutschen Klassenzimmern

Aber auch in Deutschland gelangt immer mehr Achtsamkeit in die Klassenzimmer: An circa 200 Schulen wird im deutschsprachigen Raum mittlerweile das Unterrichtsfach „Glück“ unterrichtet.

Immer mehr Projekte, wie zum Beispiel „MeTaZeit“, machen in den vergangenen Jahren Schule: 17 sogenannte Leuchtturmschulen beteiligen sich hierzulande daran, besonders auf Achtsamkeit und auf Bewegung zu achten. Im Fall von „MeTAzeit“ soll mittels 24 Minuten Bewegung und Meditation, die in den Schulalltag integriert werden, eine positivere Schul- und Lernkultur erreicht werden.

Dem Bundesprojekt wurden hierfür 250.000 Euro zur Verfügung gestellt. Beteiligt ist auch das Deutsche Kinderhilfswerk. Zuvor hat die Humboldt-Universität zu Berlin die Wirksamkeit von „MeTAzeit“ an zwei Berliner Schulen erforscht und für wirksam befunden.

Von der Überzeugung hin zu überzeugenden Ergebnissen

Zudem läuft in Deutschland eine groß angelegte multidisziplinäre Studie. Das Resource Project ist eine der bislang größten wissenschaftlichen mentalen Trainingsstudien zur Kultivierung von Eigenschaften wie Achtsamkeit, Mitgefühl, Perspektivenübernahme und „prosozialem“ Verhalten.

Tania Singer, Neurowissenschaftlerin und Psychologin, hat diese Studie in ihrer Zeit als Professorin in Zürich ins Leben gerufen und im Testzeitraum von 2013 bis 2016 während ihrer Zeit als Direktorin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig (MPI) mit mehr als 300 Teilnehmern durchgeführt. Fortlaufend werden Ergebnisse veröffentlicht. Das Bestreben ist, die Ergebnisse in verschiedene Bereiche der Gesellschaft zu übertragen.

Für Singer, die Meditation einen Platz in der seriösen Forschung gegeben hat, ist klar: „Die Frage ist eigentlich nicht mehr, ob Meditation einen Effekt hat, sondern welche Meditation welchen Effekt hat, wie groß der ist und wie lange es dauert, bis er sich einstellt.“

Erst die Lehrer, dann die Schüler

Mittlerweile macht Mediation aber auch ganz praktisch an deutschen Bildungseinrichtungen Schule: Die Gymnasiallehrerin und Theaterpädagogin Vera Kaltwasser bietet Lehrerfortbildungen zum Thema „Das achtsame Klassenzimmer“. Das richtet sich an Pädagogen, die Mediations- und Achtsamkeitskonzepte in ihre Schulpraxis als Lehrende integrieren wollen – und davon natürlich auch selbst profitieren.

Denn was könnte man besser den Schutzbefohlenen vermitteln als etwas, was man bei sich selbst integriert hat? In Kaltwassers (Online-)Kurs „Achtsame 8 Wochen“  werden Lehrern Methoden und Tools vermittelt, dem eigenen Stress gegenzusteuern und auch, wie sie diese gleichsam in den schulischen Unterricht integrieren und auch an die Schüler vermitteln können.

Via App mehr Gelassenheit in Klassenzimmern

Auch hat die Pädagogin die kindgerechte Meditations-App 7Mind mitentwickelt. Die soll die Konzentration fördern und Kindern dabei helfen, mit ihren Gefühlen umzugehen. Das Portal „Lehrer Online“ empfiehlt diese mit den folgenden Worten:

„Die Meditationen nehmen Ihre Schülerinnen und Schüler mit auf kleine Gedankenreisen und bringen ihnen auf spielerische Weise bei, wie sie ihre Konzentration steuern und ihr Innenleben besser verstehen können. Die Einheiten dauern nur wenige Minuten und können flexibel im Unterricht eingebunden werden – zum Beispiel zum Stundenauftakt nach der Pause oder zur Fokussierung vor einer Klassenarbeit.“

Meditation – Was früher von vielen Menschen für eine rein religiöse Praxis gehalten wurde, etabliert sich in der Gesellschaft immer mehr als psychische Technik, mit der der Mensch seinen Zustand und seine Gesundheit selbst beeinflussen kann, indem er seinen Geist zentriert.



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