Angriff auf Ukraine bringt Wehrpflicht-Debatte zurück

Nach der Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz, aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine 100 Milliarden Euro zusätzlich in die Bundeswehr zu investieren, wurde eine neue Debatte über eine allgemeine Wehrpflicht angestoßen.
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Ein junger Mann an seinem ersten Tag der Wehrpflicht in der deutschen Bundeswehr bekommt eine Mütze angepasst, während er am 6. April 2010 in der Julius-Leber-Kaserne in Berlin, Deutschland, Uniformen und andere Ausrüstung erhält.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Von 9. März 2022

Viele Jahre war es in der breiten Öffentlichkeit um das Thema Wehrpflicht still. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine sprang es wie aus dem Nichts auf die Tagesordnung. Die Wehrpflicht wurde ab dem 1. Juli 2011 in Deutschland ausgesetzt, bis dahin stand der „Bürger in Uniform“ im Grundgesetz.

Die Wehrpflicht ist derzeit nur ausgesetzt, nicht abgeschafft, sie könnte mit einem Beschluss des Parlaments wieder eingeführt werden. Der Bundespräsident muss letztlich das entsprechende Gesetz unterzeichnen.

„Sind Sie für oder gegen die Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht in Deutschland?“, fragte das Meinungsforschungsinstituts INSA daher am 1. und 2. März 1.000 Personen. Das Ergebnis zeigt: 47 Prozent der Befragten plädieren für eine Rückkehr zur Wehrpflicht. 34 Prozent lehnen es ab, 19 Prozent sind unentschlossen oder machten keine Angabe.

Hohe Spezialisierung, lange Ausbildung

Während einige in der Wehrpflicht eine wichtige Wertevermittlung und die Förderung von Tugenden wie Disziplin und Ordnung als Pluspunkt sehen, kritisieren andere die Kosten und eine fehlende Spezialisierung.

Die Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Dr. Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP), hat sich nachdrücklich gegen die Wiederbelebung der Wehrpflicht in Deutschland ausgesprochen. „Die jetzige Situation mag viele an den Kalten Krieg erinnern. Aber es ist ein vollkommen neues Szenario.“ Und: „Wir sollten darauf nicht mit Mitteln aus dem vergangenen Jahrhundert reagieren.“

Durch die technische Entwicklung von Waffen und Waffensystemen sei der Soldatenberuf an vielen Stellen hoch spezialisiert und erfordere eine lange Ausbildung. „Nicht zuletzt deswegen halte ich eine Rückkehr zur Wehrpflicht für kontraproduktiv und falsch“, so die Bundeswehr-Expertin.

„100-Milliarden-Sondervermögen kein Anlass für Fantasie-Wunschlisten“

Das 100-Milliarden-Sondervermögen für die Bundeswehr stelle zwar eine erhebliche Summe dar, es sei jedoch „weder Anlass für Fantasie-Wunschlisten noch Grund, sich um eine vermeintliche Aufrüstung zu sorgen“, schreibt die FDP-Politikerin. Es gehe um die Auflösung des Investitionsstaus und um Streitkräfte, die in einem funktionierenden Bündnis das eigene Land und seine Verbündeten jederzeit verteidigen könnten.

„Auch acht Jahre nach dem Schock, den die Annexion der Krim bei uns hinterlassen hat, hat sich zwar einiges verbessert, im Ernstfall stünden wir aber immer noch ‚blank‘ da, wie es der Heeresinspekteur in drastischen, aber deshalb nicht weniger treffenden Worten formuliert hat“, so Strack-Zimmermann.

Ähnlich sieht es Henning Otte (CDU): „Die Wehrpflicht ist nicht die Lösung für eine einsatzbereitere und durchhaltefähigere Bundeswehr.“ Otte ist stellvertretender Vorsitzender des Verteidigungsausschusses im Bundestag.

„Mehr Staatsbürger, weniger Ich-Bürger“

Der Hamburger CDU-Chef Christoph Ploß steht hingegen für die Wehrpflicht oder eine Dienstpflicht. „Ich setze mich schon seit Längerem für ein verpflichtendes Gesellschaftsjahr für junge Menschen ein, das bei der Bundeswehr, aber etwa auch bei Hilfsorganisationen oder in den Bereichen Pflege und Erziehung absolviert werden kann“, sagte er. „Wir brauchen wieder mehr Staatsbürger und weniger Ich-Bürger.“

Ein Soldat der deutschen Bundeswehr weist junge Männer an ihrem ersten Tag der Wehrpflicht im Jahre 2010 in die Grundlagen des Marschierens und des richtigen Abstands zueinander ein. Foto: Sean Gallup/Getty Images

„Ich bin dafür, dass jeder junge deutsche Bürger seinen einmaligen Beitrag zur Gesellschaft leisten sollte“, schreibt der Berufssoldat Andreas Schuch. Auch die Bundeswehr wäre ein zu betrachtender Bereich.

„Ich glaube, dass wir ein bisschen Patriotismus an den Tag legen dürfen, ohne sofort in die rechte Ecke gestellt zu werden. Wir alle dürfen stolz auf unsere gelebte Demokratie und unsere Ansicht zur Freiheit sein“, erklärt der Bundeswehrsoldat weiter.

Zahlen und Geschichte

Aktuell sind knapp 266.000 Männer und Frauen in Uniform oder Zivil bei der Bundeswehr beschäftigt, davon sind 183.800 Soldaten. Das Heer hat mit 62.700 den größten Anteil daran, gefolgt von der Luftwaffe mit 27.300 und der Marine mit 16.200. Im Bereich Cyber arbeiten 14.450, im zentralen Sanitätsdienst 19.800 Personen. Hinzu kommt die Basis der Streitkräfte mit 27.800 Mann, die anderen Bereichen als Dienstleister zur Verfügung steht.

Ein Rückblick: In der Bundesrepublik wurde die Wehrpflicht 1955 mit der Gründung der Bundeswehr eingeführt. Von da an konnte grundsätzlich jeder männliche Deutsche ab dem 18. Lebensjahr zum Wehrdienst eingezogen werden. Eine Wehrpflicht existierte bereits in der Weimarer Republik oder zu Zeiten des Nationalsozialismus.

Recht auf Kriegsdienstverweigerung im GG

Neu war allerdings, dass mit der Wiederbewaffnung der Bundesrepublik das Recht zur Verweigerung des Kriegsdienstes in das Grundgesetz aufgenommen wurde. In der jungen Bundesrepublik hatte dies nach den Kriegserfahrungen einen entscheidenden Einfluss auf die Akzeptanz der Wehrpflicht.

Dazu änderte sich auch das politisch-militärische Leitbild. Der Soldat galt fortan als „Bürger in Uniform“. Neu war auch, dass es einen Wehrbeauftragten des Bundestages gab, der den „Schutz der Grundrechte“ der Soldaten gewährleisten sollte.

Die Dauer der Wehrpflicht stieg in der Bundesrepublik von anfangs 12 Monate auf 18 Monate an. Nach 1972 sank sie dann schrittweise bis auf zuletzt 6 Monate. Mit der Eingliederung der ehemaligen DDR-Armeeangehörigen 1990 erreichte die Bundeswehr ihren höchsten Personalstand mit rund 510.000 Soldaten.

Zivilen Wehrersatzdienst gab es in DDR nicht

In der DDR wurde die Nationale Volksarmee (NVA) am 1. März 1956 gegründet. Eine allgemeine Wehrpflicht wurde 1962 eingeführt, da die freiwilligen Soldaten nicht mehr ausreichten. Per Gesetz wurden von da an alle Männer zwischen 18 und 26 Jahren zum Grundwehrdienst von 18 Monaten eingezogen. Er war Voraussetzung für einen Studienplatz – es sei denn man hatte gute Beziehungen. Einen zivilen Wehrersatzdienst gab es nicht. Die einzige Alternative war, als „Bausoldat“ den Dienst ohne Waffe in der DDR-Armee abzuleisten.

Bausoldaten trugen eine Uniform, waren in NVA-Kasernen untergebracht und mussten geloben, den militärischen Vorgesetzten zu gehorchen. Sie waren aufgrund einer weit verbreiteten herabwürdigenden Haltung ihnen gegenüber Repressalien und Schikanen ausgesetzt.

DDR-Bürgern, die auch diesen Wehrersatzdienst nicht ableisten wollten, drohten hohe Haftstrafen. Rund 150 Totalverweigerer wurden bis 1985 durch das SED-Regime jährlich zu Freiheitsentzug zwischen 18 und 22 Monaten verurteilt.

DDR: Vormilitärische Ausbildung ab der 9. Klasse

Bereits in der Schule wurden die Jugendlichen ab 1978 auf den Wehrdienst vorbereitet. Dazu diente eine vormilitärische Ausbildung, der sogenannte „Wehrkundeunterricht“ ab der 9. Klasse. Dieser umfasste acht Stunden pro Schuljahr und vermittelte Grundwissen über die Armee der DDR.

Für Jungen fand zudem ein zweiwöchiges Wehrlager statt, bei dem Handgranatenwurf, Schießen und Marschieren geübt wurde. Die Mädchen absolvierten in der Zeit einen Lehrgang für Zivilverteidigung. Doch bereits in Kindergärten und Grundschulen waren Besuche von NVA-Soldaten üblich, um die Akzeptanz der DDR-Armee zu erhöhen.

Die Grenztruppen waren Teil der NVA. Diese Soldaten wurden aus dem Kreis der Wehrpflichtigen sorgfältig ausgewählt. Wichtig war absolute „ideologische Zuverlässigkeit“, da im Ernstfall die Waffe im Befehlsfall auch auf die eigenen Mitbürger gerichtet werden musste. 1988 soll die NVA einschließlich der Grenztruppe und den Grundwehrdienstleistenden aus rund 200.000 Soldaten bestanden haben.

Armeeangehörige der DDR marschieren zu einer Parade am Tag der Nationalen Volksarmee in Leipzig am 11. März 1958. Foto: Jung/FPG/Archive Photos/Getty Images

Personalstärke der Bundeswehr sinkt kontinuierlich

Seit der Wiedervereinigung 1990 sank sowohl die Dauer des Wehrdienstes als auch die Personalstärke der Bundeswehr kontinuierlich. Vor Aussetzung der Wehrpflicht 2011 waren es nur noch 6 Monate Wehrdienstzeit und rund 200.000 Bundeswehrsoldaten.

Während der Zivildienst in der jungen Bundesrepublik eher verpönt war, änderte dies sich ab 1968 zunehmend. Für viele war das atomare Wettrüsten während des Kalten Kriegs ausschlaggebend. Manche entschieden sich gegen den Wehrdienst aus gesellschaftlicher Verantwortung. Für andere waren religiöse Gründe entscheidend. Und es gab Bürger, die sich gegen den Wehrdienst entschieden aufgrund von Abneigung gegen z.B. das Kasernenleben, den täglichen Drill oder die hierarchische Struktur samt Befehl und Gehorsam.

Statistik: Anzahl der Grundwehrdienstleistenden und freiwillig länger Dienstleistenden in der Bundeswehr nach dem Jahr des Diensteintritts von 1990 bis 2009 | Statista
Mehr Statistiken finden Sie bei Statista.

Mit der Wiedervereinigung 1990 und dem Ende des Kalten Krieges sank der Bedarf an Soldaten und damit auch an Grundwehrdienstleistenden. Die Wehrpflicht wurde immer stärker in Zweifel gezogen. Dabei wurde damit argumentiert, dass sich die Rolle der Bundeswehr als Armee zur Landesverteidigung zu einer Armee für Auslandseinsätze gewandelt hat. Diese verlangt speziell ausgebildete Soldaten, die sich nicht innerhalb weniger Monate ausbilden lassen. Auch wurde der Kostenfaktor „Wehrpflicht“ aufgrund von Sparzwängen zunehmend kritisch gesehen. Ab 2001 konnten Frauen alle Laufbahnen und Truppengattungen frei wählen.

Da den ersatzdienstleistenden „Zivis“ in den BRD-Sozialsystemen zur Kostensenkung große Bedeutung zukam, wurde die Wehrpflicht zunächst noch aufrechterhalten. Irgendwann ließ sich der entlastende soziale Ersatzdienst nicht mehr durch die Wehrpflicht begründen.

Soldaten der Bundeswehr marschieren an Wehrpflichtigen vorbei, die gerade an ihrem ersten Tag der Wehrpflicht in der Julius-Leber-Kaserne am 6. April 2010 in Berlin, Deutschland angekommen waren. Foto: Sean Gallup/Getty Images

Gefahren und Nachteile durch Wegfall der Wehrdienstpflicht

Das Wegfallen der Wehrdienstpflicht brachte allerdings auch Nachteile. Durch den Wehrdienst war die deutsche Armee eng mit der Gesellschaft verbunden und daher eher akzeptiert und anerkannt. Sie musste nicht durch ein teures Marketing oder politische Aktionen in das Bewusstsein der Gesellschaft gerückt werden.

Nun sehen Militärbeobachter bei der Bundeswehr die Gefahr, dass sie sich als hochprofessionalisierte Spezialisten-Armee von der Gesellschaft isoliert. Das berge die Gefahr, dass das deutsche Volk ihre Soldaten, die lebensgefährliche Einsätze absolvieren, nicht mehr als einen wichtigen nationalen Bestandteil ansieht. Und die Bundeswehr ihre Bedeutung als wichtige Voraussetzung für die Stärkung und Durchsetzung nationaler Interessen verliert.

Mit Material von dpa.



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