Bewaffnete Bundeswehr-Einsätze auch ohne Parlamentszustimmung möglich

"In Eilfällen" und "bei Gefahr im Verzug" darf die Bundesregierung künftig die Bundeswehr ohne Beteiligung des Bundestages ins Ausland schicken, entschied das Bundesverfassungsgericht. Was darunter zu verstehen ist, wird nicht genau definiert.
Titelbild
Richter des Bundesverfassungsgericht (L-R): Sibylle Kessal-Wulf, Monika Hermanns, Michael Gerhardt (aktueller Nachfolger ist Ulrich Maidowski), Peter Huber, Andreas Vosskuhle (Präsident), Gertrude Luebbe-Wolff (aktueller Nachfolger ist Doris König), Herbert Landau and Peter MüllerFoto: ULI DECK/AFP/GettyImages, 2012
Epoch Times24. September 2015

Nach einer Klage der Grünen haben die Verfassungsrichter entschieden, dass die Bundesregierung den Einsatz von bewaffneten Streitkräften auch ohne entsprechende parlamentarische Mitwirkung beschließen kann.

Im Urteil vom Urteil vom 23. September 2015 2 BvE 6/11 steht:

"Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, den Einsatz vorläufig alleine zu beschließen. Sie muss jedoch zum frühestmöglichen Zeitpunkt eine Entscheidung des Bundestages über die Fortsetzung des Einsatzes herbeiführen. Ist der Einsatz zu diesem Zeitpunkt bereits beendet, muss die Bundesregierung den Bundestag unverzüglich und qualifiziert über die Grundlagen ihrer Entscheidung und den Verlauf des Einsatzes unterrichten; es besteht jedoch keine Pflicht, nachträglich eine Zustimmung des Bundestages einzuholen." 

Was unter „Gefahr im Verzug“ verstanden werden darf, bleibt offen. 

Weitere Erwägungen des Urteils hier im Original:

"1. a) Der für den bewaffneten Streitkräfteeinsatz unmittelbar kraft Verfassung geltende Parlamentsvorbehalt begründet ein wirksames Mitentscheidungsrecht des Deutschen Bundestages. Die parlamentarische Zustimmung ist grundsätzlich vor Beginn eines Einsatzes einzuholen. Die Notwendigkeit parlamentarischer Mitwirkung ist nicht auf Einsätze bewaffneter Streitkräfte innerhalb von Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit beschränkt, sondern gilt darüber hinaus allgemein für bewaffnete Einsätze deutscher Soldaten im Ausland.

b) Der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt ist angesichts seiner Funktion und Bedeutung parlamentsfreundlich auszulegen. Insbesondere kann das Eingreifen des Parlamentsvorbehalts – auch im Falle von Gefahr im Verzug – nicht von den politischen und militärischen Bewertungen und Prognosen der Bundesregierung abhängig gemacht werden. Soweit dem Grundgesetz eine Zuständigkeit des Deutschen Bundestages in Form eines wehrverfassungsrechtlichen Mitentscheidungsrechts entnommen werden kann, besteht kein eigenverantwortlicher Entscheidungsraum der Bundesregierung.

2. a) Gegenstand der Parlamentsbeteiligung ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“. Ein Einsatz in diesem Sinne liegt vor, wenn deutsche Soldaten in bewaffnete Unternehmungen einbezogen sind. Dafür kommt es nicht darauf an, ob bewaffnete Auseinandersetzungen sich bereits im Sinne eines Kampfgeschehens verwirklicht haben, sondern ob die Einbeziehung deutscher Soldaten in bewaffnete Auseinandersetzungen qualifiziert zu erwarten ist.

Im Punkt 3 ist zu lesen:

"3. a) Ohne vorherige parlamentarische Zustimmung ist ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte unter dem Grundgesetz grundsätzlich nicht zulässig. Bundesregierung und Bundestag müssen daher sicherstellen, dass die Zustimmung des Parlaments in der Regel zu einem Zeitpunkt erfolgt, zu dem die materielle Entscheidung über eine Anwendung von Waffengewalt noch nicht getroffen ist und auch nicht vor dem Abschluss des Zustimmungsverfahrens getroffen wird.

b) Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung ausnahmsweise berechtigt, den Einsatz bewaffneter Streitkräfte vorläufig allein zu beschließen. Der Bundestag muss dem Einsatz jedoch umgehend zustimmen, damit dieser fortgesetzt werden darf. Die gebotene unverzügliche parlamentarische Befassung nach Beginn des Einsatzes hat nicht die Wirkung einer Genehmigung mit der Folge, dass im Falle einer Versagung der parlamentarischen Zustimmung der Einsatz von Anfang an rechtswidrig wäre. Die Eilentscheidung der Bundesregierung entfaltet vielmehr die gleiche Rechtswirkung wie die unter regulären Umständen im Verbund mit dem Bundestag getroffene Entscheidung. Für eine konstitutive parlamentarische Zustimmung ist bei einem von der Exekutive im Eilfall beschlossenen und bereits begonnenen Einsatz daher nur ex nunc Raum. Durch die Verweigerung der Zustimmung wird die Bundesregierung verpflichtet, den Einsatz zu beenden und die Streitkräfte zurückzurufen." (ks)



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