Box-Europameister Ünsal Arik: „Was die Deutschen sich gefallen lassen, ist unfassbar“

Der deutsch-türkische Boxer Ünsal Arik ist Europameister – und einer der vehementesten deutschsprachigen Kritiker des türkischen Präsidenten Erdoğan. Im „Welt“-Interview fordert Arik ein härteres Vorgehen gegen von Ankara gesteuerte Strukturen, auch gegen die von Atatürk herzuleitende Ditib.
Titelbild
Die Zentralmoschee der DITIB in Köln.Foto: Carsten Koall/Getty Images
Von 4. September 2019

Der 1980 im oberpfälzischen Parsberg geborene Ünsal Arik wechselte erst im Alter von 27 Jahren vom Fußball zum Boxen. Dennoch hat er es in den Jahren 2011 bis 2018 zu elf internationalen Titeln von sechs Verbänden gebracht. Derzeit ist er amtierender Europameister der UBF. Auf Facebook hat der deutsch-türkische Sportler mehr als 81 000 Fans. Eine Einreise ins Heimatland seiner Eltern hätte eine sofortige Verhaftung zur Folge – und eine strafgerichtliche Verurteilung von bis zu 15 Jahren.

In der deutsch-türkischen Community selbst ist Arik umstritten. Der Grund dafür ist, dass der Boxer seinen Bekanntheitsgrad als Sportler regelmäßig nutzt, um politische Statements abzugeben, die sich vor allem gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan richten.

„Was die Deutschen sich gefallen lassen, ist unfassbar“

Nun hat der Boxer der „Welt“ ein Interview gegeben und darin geäußert, Deutschland würde zu zaghaft gegenüber Erdoğan auftreten und dessen Anhängern innerhalb der türkischen Einwanderercommunity zu viel an Freiräumen gewähren.

„Was die Deutschen sich gefallen lassen, ist unfassbar“, meint Arik in Anbetracht des Vorwurfs von „Nazi-Methoden“, der vonseiten der türkischen Regierung erhoben wurde, als deutsche Behörden Wahlkampfauftritte türkischer Regierungspolitiker im Vorfeld des Verfassungsreferendums 2017 untersagt hatten.

Meinen deutschen Freunden kann ich nur sagen: Hört langsam auf, euch so etwas sagen zu lassen. Deutschland hat in der Flüchtlingskrise schon lange genug Rückgrat bewiesen. Da braucht man sich so etwas nicht mehr anhören.“

Arik legt Deutschland auch nahe, gegen eine Einrichtung vorzugehen, die auf sein politisches Idol Atatürk zurückgeht: die Ditib, die der 1924 gegründeten türkischen Religionsbehörde Diyanet angegliedert ist und auf diese Weise direkt vom türkischen Staat geleitet und finanziert wird.

„An deutscher Stelle – und das werden mir jetzt viele Muslime übelnehmen – hätte ich alle Ditib-Moscheen geschlossen“, sagt Arik der „Welt“.

Nicht weil ich etwas gegen die Menschen habe, die darin beten, sondern um Erdoğans Kanäle zu schließen. Wir kämpfen hier nicht gegen einen Politiker, sondern gegen einen Diktator – das muss man unterscheiden. Wenn Hass und Mord und Tod im Spiel sind, muss auch irgendwann mit der Freiheit Schluss sein. Auch Deutschland hat das Recht, einmal durchzugreifen.“

Ünsal Arik. Foto: Pierre Heinemann

Ditib-Umfeld zählt bis zu einer Million Menschen

Die Ditib unterhält in Deutschland mehr als 900 Moscheevereine. Schätzungen gehen von 150 000 Mitgliedern und einem Umfeld von bis zu einer Million Personen aus. Ihr Personal wird in der Türkei ausgebildet und im Regelfall für die Dauer von fünf Jahren nach Deutschland geschickt.

Nach mehreren Vorfällen, die Verdachtsmomente bezüglich Antisemitismus, geheimdienstlicher Tätigkeit und einer Nähe zur extremistischen Muslimbruderschaft begründeten, hat das Bundesamt für Verfassungsschutz im September 2018 begonnen, eine Einstufung der Ditib-Zentrale als Verdachts- oder Beobachtungsobjekt zu prüfen. Ein Schritt dieser Art würde zu erheblicher Unruhe innerhalb der türkischen Einwanderercommunity führen.

„Falscher Stolz“ als Kapital Erdoğans

Boxer Ünsal Arik sieht „falschen Stolz“ als Grund für die überdurchschnittliche Beliebtheit Erdoğans unter Deutsch-Türken. Tendenzen zur Gettoisierung und eigene fremdenfeindliche Erfahrungen seien Wasser auf die Mühlen des Narrativs, den Ankara innerhalb der Diaspora zu kultivieren trachte:

„Ich erinnere mich, wie ein Lehrer zu mir sagte: ‚Aus den Scheißtürken wird doch eh nix.‘ Oder deine Federmappe fällt runter und dann kommt der Spruch: ‚Ach, ihr hockt doch in eurer Muschi, äh Moschee, auch auf dem Boden.‘ So was frisst du dich hinein, weil du weißt, dass du machtlos bist. Später findest du keinen Job und spürst, dass es auch darin liegt, dass du Kanake bist. Die Wut sammelt sich. Und dann kommt einer und sagt: Ihr werdet zweitklassig behandelt – und das soll sich jetzt ändern! Und du denkst: Endlich einer, der dich versteht. Es ist falscher Stolz, aus dem Menschen Erdogan wählen.“

Er selbst habe im Laufe seines Lebens und mithilfe seiner internationalen Erfahrungen als Sportler eine andere Perspektive entwickelt:

Nicht Deutschland hat mich schlecht behandelt, es waren einzelne Idioten. Ich habe angefangen, nicht nur die zehn Menschen zu sehen, die mich mal schlecht behandelt haben, sondern auch die tausend, die mich gut behandelt haben. Die hatte ich komplett ausgeblendet. Und jetzt sehe ich Deutschland als Gesamtpaket, als wunderschönes Land. Ich boxe für die Türkei, liebe das Land, aber ich bin auch verliebt in Deutschland.“

Arabische Clans lassen Kinder vor Schuleintritt Koran lernen

Was die Integration in Deutschland anbelangt, sei die Situation unter türkischen Einwanderern sogar verhältnismäßig intakt, erklärt Arik. Ein besonders hohes Maß an Isolation gebe es hingegen unter Angehörigen arabischer und palästinensischer Clans:

Ich kenne welche, die schicken ihre Kinder nicht in den Kindergarten und erst ab dem siebten oder achten Lebensjahr in die Schule. Sie sollen zuerst den Koran lernen, weil diese Leute Angst haben, dass ihre Kinder mit der deutschen oder christlichen Kultur ‚vergiftet‘ werden. Und das erlaubt Deutschland. Das ist doch verrückt – es gibt eine Schulpflicht!“

Vorwürfe regierungstreuer Türken, Arik versuche lediglich, sich mittels Kritik an Erdoğan zu profilieren und seine Karriere in Deutschland anzukurbeln, weist er zurück. Es seien die Erdoğan-Anhänger selbst, die ihm die Aufmerksamkeit sichern würden: „Ich bin nicht berühmt geworden, weil ich Erdogan kritisiere. Ihr eigener Hass hat mich berühmt gemacht. Ich gebe ein Interview, und sie verteilen das millionenfach. Die haben mir ein Marketing geschenkt, das könnte ich mit Millionen nicht kaufen. Aber das kapieren sie nicht.“



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