Deutschland droht anhaltende Rezession: Wachstumsschwäche wird zur Dauerbelastung

Die Stimmung in der deutschen Wirtschaft sinkt weiter, wie der aktuelle Geschäftsklimaindex des ifo Instituts zeigt. Sowohl der Gesamtindex als auch der Index für die aktuelle Lage erreichten im Juni ihre schlechtesten Werte seit Monaten. Ifo-Chef Clemens Fuest warnt vor einer „Japanisierung“ Deutschlands.
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Der Chef des ifo Instituts in München sieht Deutschland auf dem Weg zur „Japanisierung“.Foto: Kay Nietfeld/dpa/dpa
Von 30. Juni 2023

Die Stimmung bei der deutschen Wirtschaft sinkt und sinkt. Gerade erst veröffentlichte das ifo Institut in München den Geschäftsklimaindex für Juni. Dieser fiel von 91,5 im Mai auf 88,5 Punkte. Das ist der schlechteste Wert seit Dezember. Auch ihre aktuelle Lage beurteilten die Firmen negativer. Dieser Teilindex fiel von 94,8 auf 93,7 Punkte. Das ist der schlechteste Wert seit Februar.

Im Sommer kein Ende der Rezession in Sicht

Alle Werte liegen damit deutlich unter dem neutralen Wert von 100 Punkten. Damit schwindet die Hoffnung, dass Deutschland im Sommer wieder aus der Rezession herauskommt.

„Vor allem die Schwäche der Industrie bringt die deutsche Konjunktur in schwieriges Fahrwasser“, erklärt ifo-Präsident, Clemens Fuest, die schlechten Zahlen. Allgemein waren Experten im Vorfeld im Mittel von einem leichten Rückgang auf 90,7 Punkte ausgegangen.

„Die Lage ist nicht gut, und sie verschlechtert sich sogar noch“, sagte Fuest dem Nachrichtenmagazin „Spiegel“. Von einer „Erholungsdynamik“, die man nach der Pandemie und der Energiekrise sehen müsste, sei wenig zu spüren. Im schlimmsten Fall könne Deutschland „über Jahre stagnieren“.

Auch die ZEW-Konjunkturerwartungen sind inzwischen wieder in den roten Bereich gefallen. Die ZEW-Daten sind ein wichtiger Frühindikator für die Entwicklung der Wirtschaft in den kommenden sechs Monaten. Der Index stieg zwar im Juni von minus 10,7 auf minus 8,5 Punkte. Trotzdem verharrte er damit im negativen Bereich. Die Einschätzung der konjunkturellen Lage brach sogar um 21,7 Punkte auf minus 56,5 Punkte ein.

Das sind alles keine guten Zahlen. Alles spricht im Moment für eine nachhaltige Wachstumsschwäche. Das sieht auch der Konjunkturchef des Kieler Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Stefan Kooths so. Gegenüber dem „Spiegel“ sagt er: Bislang habe das durchschnittliche Wachstumspotenzial Deutschlands bei 1,3 bis 1,4 Prozent pro Jahr gelegen. Diese Rate würde sich innerhalb weniger Jahre auf 0,5 Prozent verringern. Als Hauptgrund für diese Entwicklungen sieht der Ökonom die Alterung der Gesellschaft und den damit einhergehenden Mangel an Arbeitskräften.

„2024 werden wir den Zenit bei den Erwerbspersonen durchschreiten“, sagte Kooths. Danach werde die absolute Zahl der Beschäftigten abnehmen. Damit droht die Konjunkturschwäche in Deutschland zum Dauerproblem zu werden.

Uns könnte eine Japanisierung bevorstehen

Ifo-Chef Fuest sagt im „Spiegel“ weiter, dass mittel- bis langfristig drei Transformationen die deutsche Wirtschaft vor große Herausforderungen stellen werden. Fuest zählt darunter den Wandel der Automobilbranche hin zu E-Mobilität, die Dekarbonisierung sowie die Digitalisierung. Ebenso nannte er in diesem Zusammenhang den Fachkräftemangel als ein besonderes Problem: „Wenn es schlecht läuft, dann könnte uns eine Japanisierung bevorstehen.“

Japan ist die drittgrößte Wirtschaftsmacht der Welt. Doch kein anderes Land überaltert so schnell. Nach der letzten Volkszählung im Oktober 2020 beträgt Japans Einwohnerzahl 125,57 Millionen Menschen, was einen Rückgang um etwa 2,5 Millionen im Vergleich zum Höchststand von 128 Millionen im Jahr 2010 bedeutet.

Prognosen zufolge wird die japanische Bevölkerung bis 2060 um weitere rund 40 Millionen schrumpfen. Derzeit nimmt die Bevölkerung Japans täglich um etwa 2.000 Personen ab. Um dem eine Größenordnung zu geben, bedeutet das, dass in Japan jeden Tag ein Dorf verschwindet. Dieser demografische Wandel, der bereits beinahe dramatisch ist, birgt weitere Probleme aufgrund der abnehmenden Bevölkerung und der damit einhergehenden kontinuierlichen Überalterung.

Eine überalterte Bevölkerung führt zu einer Schieflage im Rentensystem, einem Mangel an Arbeitskräften und infolgedessen zu einem stagnierenden Wirtschaftswachstum in der japanischen Wirtschaft.

Die Probleme des demografischen Wandels in Japan werden im Moment damit abgemildert, in dem Menschen nach dem offiziellen Renteneintrittsalter von 65 Jahren in Japan immer noch arbeiten gehen. Das hängt vorwiegend mit dem im europäischen Vergleich niedrigen Rentenniveau des Landes zusammen.

Japan kämpft seit Jahrzehnten mit Rezession

Bis in die 1990er-Jahre ging es mit der Wirtschaft in Japan immer nur nach oben. Ähnlich wie Deutschland erlebte auch Japan nach dem Zweiten Weltkrieg einen massiven Wirtschaftsaufschwung, der sich erst in der Mitte der 1960er-Jahre verlangsamte. Trotzdem ging es weiter bergauf. Bis die Blase Anfang der 1990er-Jahre platzte.

Nur wenige Ökonomen sahen das drohende Unheil voraus. Damals gab es nur wenige japanische Experten, die überhaupt das Wort „Blase“ in den Mund genommen haben. Einer von ihnen war der Volkswirtschaftsprofessor Kazuo Ueda, der seit April Chef der japanischen Zentralbank ist. Seiner Meinung nach konnten die Fundamentaldaten der Wirtschaft damals die sehr hohen Aktienkurse nicht erklären.

Bald zeigte sich allerdings, dass die Spekulationsblase tatsächlich die Schwächen der japanischen Wirtschaft überdeckte. Sowohl der Immobilienmarkt als auch der Finanzsektor hatten sich stark aufgebläht. Die Banken saßen auf faulen Krediten, die Unternehmen entließen Mitarbeiter, um profitabler zu werden, und die Verbraucher hatten weniger Geld zur Verfügung. Als dann in den 1990er-Jahren der Immobilienmarkt zusammenbrach, lastete die ausufernde Staatsverschuldung bereits schwer auf der Wirtschaft. Das Land stürzte in eine Rezession, von dem sich Japan bis heute nicht erholt hat.

Vom Paradepferd zum schwachen Glied in der Kette

Für Deutschland sollte diese Entwicklung eine Mahnung sein, wie schnell man seine Wirtschaftsstärke verspielen kann. Der Chefvolkswirt der Netfonds AG, Folker Hellmeyer, brachte es im Mai in einem Interview mit den „Deutschen Wirtschaftsnachrichten“ auf den Punkt: „Deutschland hat es in den letzten 15 Jahren versäumt, sich zu reformieren, sich zu restrukturieren, sich den Herausforderungen der Zukunft zu stellen.“ Die Verantwortung für dieses Versäumnis liege nicht nur bei der derzeitigen Bundesregierung. Auch die Vorgängerregierungen trügen hier eine große Verantwortung. „Jetzt erleben wir, dass Deutschland mit das schwächste Glied der Eurozone ist. Dabei waren wir noch vor rund zehn Jahren das Paradepferd. Das ist, was wir derzeit erleben.“, so Hellmeyer, der als einer der renommiertesten Analysten in Deutschland gilt.

Clemens Fuest vom ifo-Institut sieht es im „Spiegel“-Interview ähnlich: Es gebe in Deutschland zwar viele flexible und veränderungswillige Unternehmen. „Aber diese Mentalität brauchen wir auch bei den Politikern – und bei den Wählern.“

Im Hinblick auf das politische Führungspersonal gibt sich Analyst Folker Hellmeyer aber keiner Illusion hin. „Ich denke, dass wir uns bezüglich des Geschäftsmodells in der größten existenziellen Krise seit 1949 befinden.“ Dafür benötige man eigentlich das bestmögliche Personal. „Wir haben aber definitiv nicht das bestmögliche Personal, sondern wenn wir uns das im historischen Verlauf anschauen, dann haben wir derzeit sicherlich ein unterproportionales Qualitätsniveau.“



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