Energiedilemma: Deutschland könnte länger auf Kohlekraft setzen als geplant

Kohlekraftwerke haben ihre Produktion wieder hochgefahren. Damit möchte man Energieengpässen im Winter vorbeugen. Doch die Bundesregierung möchte trotzdem am geplanten Kohleausstieg bis „idealerweise“ 2030 festhalten. Zwischen diesem Anspruch und der Realität klafft eine Lücke. Eine Analyse.
Die Kühltürmen des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG).
Die Kühltürme des Braunkohlekraftwerks Jänschwalde der Lausitz Energie Bergbau AG (LEAG).Foto: Monika Skolimowska/dpa-Zentralbild/dpa
Von 2. Dezember 2023

Der 17. November war im Braunkohlekraftwerk Jänschwalde ein besonderer Tag: Erstmals seit 2018 lief das Werk nun wieder volle Kraft. Insgesamt 3.000 Megawatt Nennleistung erreicht das Kraftwerk seitdem, zumindest kurzfristig. Wenige Tage später meldete die Nachrichtenagentur dpa, dass nach Angaben des Betreibers Leag am Braunkohlekraftwerk Jänschwalde an einem Kessel eine „kleine Störung“ festgestellt wurde. Demnach laufen die Blöcke derzeit mit einer Gesamtleistung von 2.750 Megawatt. In den kommenden Wochen dürften die Probleme aber behoben sein und es kann wieder die volle Leistung produziert werden.

„CO₂-Dreckschleudern“ statt Atomkraft

Dass die 500-MW-Blöcke E und F im Kraftwerk Jänschwalde wieder ans Netz gehen, war eigentlich nicht geplant. Deutschland wollte eigentlich für den Klimaschutz aus der Braunkohle aussteigen. Bis 2038, so die Pläne, sollte die Kohlestromversorgung in Deutschland Geschichte sein. Dafür wurde die Leistung der Kraftwerke in den vergangenen Jahren schrittweise heruntergefahren. Wie in Jänschwalde wurde bundesweit die Kohlestromversorgung durch Stein- oder Braunkohle auf jeweils etwa 15 Gigawatt reduziert. Bis 2030 sollen die Steinkohlekraftwerke auf acht Gigawatt und die Braunkohle-Kraftwerke auf neun Gigawatt Leistung weiter reduziert werden. 2038 sollen dann alle Kohlekraftwerke vom Netz gegangen sein. Der Bundesregierung wäre es sogar lieber, diesen Ausstieg schon bis 2030 erreichen zu können.

Für die rheinischen Reviere mit Kohlekraftwerken in Garzweiler, Inden und Hambach hatte die Bundesregierung sogar das vorzeitige Aus im Jahr 2030 beschlossen. Dann kam aber alles anders.

Mit dem Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine geriet plötzlich auch die Strom- und Wärmeversorgung in Deutschland unter Druck. Mit der Entscheidung der Bundesregierung, auf Gaslieferungen aus Russland zu verzichten, mussten Alternativen her. Anstatt auf Atomstrom setzte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) lieber auf Kohlekraft. Die letzten drei Kernkraftwerke in Deutschland gingen im April dieses Jahres endgültig vom Netz. „Dieser grüne Klimaminister lässt lieber Kohlekraftwerke laufen – den Klimakiller schlechthin, CO₂-Dreckschleudern – als klimaneutrale Kernkraftwerke“, kommentierte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Union, Jens Spahn, damals die Abschaltung.

Auch wenn der Energieengpass im vergangenen Winter ausblieb, schließt die Bundesregierung auch in diesem Jahr nicht aus, dass es bei einem harten Winter mit Energie knapp werden könnte. Daher reaktivierte sie im Oktober die Kohlekraftwerke bis zum März des kommenden Jahres.

Die befristete Verlängerung der sogenannten Versorgungsreserve sei ein „vorsorgliches Absicherungsinstrument“. In dieser Reserve befinden sich neben dem Kraftwerk in Jänschwalde auch das vom Energiekonzern RWE betriebene Kraftwerk in Niederaußem. Beide Kraftwerke liefern wieder Energie in vollem Umfang. Mit der Reaktivierung soll Gas in der Stromerzeugung eingespart und dadurch Versorgungsengpässen mit Gas im anstehenden Winter vorgebeugt werden. Doch nicht nur die zwei Kohlekraftwerke erzeugen nun Strom. Seit Oktober liefern insgesamt elf Kohlekraftwerke mit einer Leistung von über sechs Gigawatt zusätzlichen Strom für das deutsche Netz.

Anspruch und Wirklichkeit liegen auseinander

Wie es nach März 2024 weitergeht, ist aber im Moment völlig offen. Zwar betont die Bundesregierung immer wieder, am Zeitplan des Kohleausstiegs festhalten zu wollen. Allerdings tut sich die Regierung mit der Schaffung von Alternativen noch sehr schwer. Bis 2028, so die Pläne, soll beispielsweise im Kraftwerk Jänschwalde kein Kohlestrom mehr erzeugt werden. Die Inbetriebnahme eines geplanten Gaskraftwerks mit 800 Megawatt Leistung zu diesem Zeitpunkt ist unsicher, da noch keine Gaspipeline zum Standort existiert.

Da Gaskraftwerke einen deutlich geringeren CO₂-Ausstoß als die mit Kohle haben, möchte die Bundesregierung in den kommenden Jahren bundesweit mehr Gaskraftwerke bauen. Für diese neuen Gaskraftwerke sollen im kommenden Jahr die Ausschreibungen stattfinden. Ob es für den Bau dieser Kraftwerke finanzielle Unterstützung seitens des Bundes geben wird, ist im Moment völlig unklar. Nach der Ausschreibung würden dann fünf bis sieben Jahre für Entscheidung, Planung, Genehmigung und Bau benötigt.

Anhand dieses Zeitraums wird deutlich, dass es die Ampel an Koordination zwischen dem Kohleausstieg und dem Einstieg in Gasenergie fehlen lässt. Obwohl es zu einer Lücke in der Stromversorgung kommen könnte, möchte man den im Koalitionsvertrag idealerweise bis 2030 angestrebten Kohleausstieg vorantreiben. Das könnte problematisch werden.

„Wenn die Kohlekraftwerke schon im nächsten Frühjahr 2024 abgeschaltet werden, gibt es hier eine Lücke“, sagt Andreas Reichel, Chef des Essener Energieversorgers Steag dem „Handelsblatt“. Sollen die Kraftwerke länger als geplant am Netz bleiben, benötige man aber „eine zeitnahe Entscheidung“, so Reichel.

Die Zeit drängt also. Bei einer Verlängerung für die fossilen Meiler müssten Energiekonzerne wie Uniper „umfangreiche“ Vorbereitungen treffen. „Dazu gehören die Kohlebeschaffung, die Kohlelogistik sowie mögliche Revisionen der Anlagen“, sagte ein Sprecher des Düsseldorfer Unternehmens im „Handelsblatt“.

 



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