Erbe von 1803: Länder sollen Kirchen mit 10,2 Milliarden für Napoleon-Zeit entschädigen

Bis heute erhalten die großen Kirchen in Deutschland Jahresraten zur Entschädigung von Enteignungen aus dem Jahre 1803. Nun ist eine einmalige Ablöse möglich.
Bei einer partiellen Sonnenfinsternis wird die Sonne teilweise vom Mond verdeckt. Im Vordergrund ist eine Mattielli-Statue auf der Katholischen Hofkirche in Dresden zu sehen.
Symbolbild.Foto: Sebastian Kahnert/dpa
Von 18. Dezember 2022

Unterhändlern zufolge könnte eine zeitnahe Einigung zwischen den großen deutschen Kirchen und dem Staat über eine Entschädigung für die Enteignungen des Jahres 1803 zustande kommen. Es steht die Zahlung einer einmaligen Ablösesumme von 10,2 Milliarden Euro durch die Bundesländer im Raum.

Auf diese Weise könnte der Staat einem bereits in der Weimarer Reichsverfassung angesprochenen Auftrag nachkommen. Diesen hatte die Bundesrepublik als historisches Erbe übernommen. Bis dato bezahlen die Bundesländer jährlich knapp 500 Millionen Euro an katholische Bistümer und evangelische Landeskirchen.

Aus den Mitteln zur Entschädigung für entgangene Erträge finanzieren die Kirchen Gehälter von Klerikern und Geistlichen oder Erhaltungsmaßnahmen für Gebäude. Die Zahlungen an die Kirchen erfolgen aus dem jeweiligen Haushalt – und damit auch aus Steuermitteln von Nichtmitgliedern. Das unterscheidet sie von der Kirchensteuer, für die der Staat aufgrund von Konkordaten als Inkassounternehmen fungiert.

Güter von Kirchen sollten weltliche Fürsten entschädigen

Der Entschädigungsanspruch der beiden größten christlichen Gemeinschaften des Landes gründet sich auf den sogenannten Reichsdeputationshauptschluss des Jahres 1803. Dieser ist eine Folge der napoleonischen Kriege. Damals erfolgte eine Verschiebung der französischen Ostgrenze, die Gebietsverluste für die Herrscher deutscher Territorialherren bewirkte.

Um deren Verluste auszugleichen, haben die weltlichen Reichsstände auf kirchliche Besitztümer zugegriffen. Auf diesem Wege erhielten die Fürsten von Territorialstaaten fast 100.000 Quadratkilometer enteigneten Kirchenbesitzes.

Zahlreiche Stifte, Abteien und Klöster wurden aufgehoben und der Verfügungsgewalt der Landesherren unterstellt. Auf der Grundlage von Artikel 35 des Reichsdeputationshauptschlusses griffen auch Landesherren auf kirchliche Güter zu, die selbst keine kriegsbedingten Territorialverluste erlitten hatten.

Im Gegenzug haben sich die weltlichen Herrscher dazu verpflichtet, bestimmte Leistungen an die Kirchen zu übernehmen. Schließlich konnten diese das nicht mehr selbst aus eigenen Erträgen bewerkstelligen. Die heutigen jährlichen Entschädigungsleistungen der Länder sind aus diesen Verpflichtungen heraus entstanden.

Baden und Preußen gehörten zu den größten Enteignungsprofiteuren

Profitiert hatten vom Reichsdeputationshauptschluss vor allem zuvor schon mächtige Landesherren. Unter ihnen waren der König von Preußen, der Kurfürst von Bayern, der Herzog von Württemberg oder der Markgraf von Baden. Vor allem das heutige Bundesland Baden-Württemberg verdankt seine Bedeutung den damaligen Enteignungen. So vervierfachte sich die Fläche von Baden und die Zahl der Einwohner stieg sogar um das Fünffache. Württemberg konnte seine Fläche und Einwohnerzahl verdoppeln.

Während die Kirchen durch die jährlichen Zuwendungen bislang für ihre entgangenen Erträge Entschädigung erhielten, blieb die Frage des Kapitalwerts offen. Den Vätern der Weimarer Verfassung schwebte ein einmaliger Entschädigungsbetrag vor. Eine entsprechende Einigung gab es bis dato jedoch nicht.

Staatsrechtler Claus Dieter Classen von der Universität Greifswald erläuterte gegenüber dem „Deutschlandfunk“, dass die enteigneten Besitztümer und Ländereien heute ein Vielfaches des Werts von 1803 aufwiesen. Insofern sei die bisherige Praxis für die Bundesländer eigentlich ein gutes Geschäft.

Der Faktor, den man zur Anwendung bringen müsse, um den heutigen Wert des zu entschädigenden Kapitals zu eruieren, müsse zwischen 18 und 25 liegen. Dabei sei es fallweise auch bereits zu Ablösevereinbarungen gekommen – etwa in Hessen. Classen meint jedoch auch, dass der 1919 formulierte Auftrag nicht als „unerfüllbar“ gedacht gewesen sei:

Von daher muss man schon zwar über eine erhebliche Summe reden, aber doch über eine Summe, die auch für den Staat leistbar wäre.“

Status quo bedeutete Win-win-Situation für beide Seiten

Dass es bis dato noch zu keiner Einigung gekommen war, lag auch daran, dass weder die Politik noch die Kirche einen allzu akuten Handlungsbedarf gesehen hatten. Kerstin Griese, die damalige Kirchenbeauftragte der SPD, erklärte 2015, das deutsche Modell der „fördernden Neutralität“ des Staates sei „historisch gewachsen“ und ein „gutes Modell“.

Es sei auch deshalb lange Zeit nicht zu Initiativen bezüglich einer Ablösung gekommen, weil vielen das Thema auch als zu kompliziert erschien. Neben dem Bund, den Ländern und den Kirchen hätte man auch den Vatikan in die Konsensfindung einbinden müssen.

Demgegenüber hatten beide Seiten auf ihre Weise vom Status quo profitiert. Die jährlichen Staatsleistungen waren gemessen am geschätzten Umfang der Gesamtverbindlichkeiten verhältnismäßig moderat. Zugleich deckten sie auch Leistungen ab, die der Allgemeinheit insgesamt nutzten – wie der Erhaltung kirchlicher Baudenkmäler.

Gleichzeitig dürfte die finanzielle Verflechtung auch dazu beigetragen haben, dass die Politik auch bei umstrittenen Entscheidungen kaum kirchlichen Widerspruch zu befürchten hatte. Die Kirchen konnten demgegenüber Jahr für Jahr eine fixe Summe aus öffentlichen Mitteln einplanen. Dies auch unabhängig davon, ob die Zahl der Kirchensteuerpflichtigen durch Austritte sank.

Kirchen zeigen sich genügsam

Die nun in Rede stehenden 10,2 Milliarden Euro an Ablöse der Staatsleistungen für die Enteignungen aus dem Jahr 1803 sind offenbar am unteren Ende der Faktorenspanne angesiedelt. Innenexpertin Sandra Bubendorfer-Licht (FDP) äußerte gegenüber „Bild“, dass die Verhandlungen „bisher sehr gut“ verliefen.

Welcher Faktor dabei zu Rate gezogen wird, ist noch Gegenstand der Beratungen in der Arbeitsgruppe. 18,6 wurde damals von uns veranschlagt, aber dieser Faktor kann sich noch nach oben oder unten verändern.“

Auch in diesem Zusammenhang zeigen sich die Kirchen genügsam. Der Eichstätter Bischof Gregor Hanke sprach sich in der „Bild“ für eine „eine schnelle und einvernehmliche Lösung bei der Beendigung der Staatsleistungen“ aus.

Dabei riet er den Kirchen, nicht zu „pokern“. Widrigenfalls stünden sie dann „bei der rasant nachlassenden gesellschaftlichen Bedeutung der Kirchen am Ende ohne nennenswerte Ablöse da“. Es sei allenfalls „problematisch […], wenn der Bund Gesetze beschließt und die Länder müssen zahlen“.

(Mit Material von dts)



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