Flucht aus der Stadt – Landleben: So viele Menschen flüchten aus der Stadt

Über die Hälfte der Städter in Deutschland will der Großstadt den Rücken kehren. Doch der Hauptgrund dafür sind nicht die (hohen) Mieten oder die Kaufpreise für Immobilien. Die Kommunen wissen: Wer einmal aufs Land gezogen ist, bleibt mit großer Wahrscheinlichkeit dort.
Von 28. Juli 2021

53 Prozent: Mehr als die Hälfte der deutschen Stadtbevölkerung kann sich vorstellen, in den nächsten ein oder zwei Jahren aufs Land zu ziehen. Das Besondere an der Studie ist, dass europaweit mehr als 15.000 Menschen durch das Meinungsforschungsinstitut Kantar befragt wurden.

Ob sich daraus eine Verstädterung der ländlichen Regionen oder eine Verländlichung der Stadtbevölkerung ergibt, dürfte lokal unterschiedlich sein. Menschen auf dem Land wird nachgesagt, gelassener mit den Dingen umzugehen während Städter, vor allem Berliner, eher den Ruf haben, ihre hippen Ellenbogen zu benutzen.

Auffällig ist, dass es diesen Trend in ganz Europa gibt. Lediglich in den ohnehin eher ländlich geprägten Niederlanden wollen nur etwas mehr als ein Drittel (36 Prozent) aufs Land ziehen. In allen anderen Staaten ergeben sich ähnlich wie in Deutschland Werte um die 50 Prozent. Befragt wurden Menschen in 15 europäischen Ländern.

Häufig wird behauptet, dass die Mieten in den Städten zu hoch seien und sich die Menschen das Leben in der Stadt daher nicht mehr leisten können. Doch das ist nicht der Grund, die Umfrage von Kantar widerlegt diese These. Nur 33 Prozent – jeder Dritte – sehen in den günstigen Mieten und Kaufpreisen für Immobilien einen Vorteil des Landlebens.

Als Hauptgrund für einen Umzug aufs Land geben 69 Prozent der Städter den Wunsch nach mehr Natur und die Nähe zur Natur an.

Eine Grundvoraussetzung gibt es

Drei von vier Städtern stellen eine Bedingung vor ihrem Umzug: Die Internetverbindung muss gut sein. In Deutschland erwarten 70 Prozent der Menschen schnelles Internet. Höher sind die Werte in Estland (87 Prozent) und Irland (77 Prozent), die als Vorreiter im Internet in Europa gelten. Franzosen scheint schnelles Internet nicht so wichtig zu sein, hier ist für 62 Prozent das Internet die Grundvoraussetzung.

Die Flucht aus den Städten ist seit dem Jahr 2014 bekannt. Die Corona-Lockdowns haben den Trend beschleunigt, jedoch nicht ausgelöst. Nur 30 Prozent der deutschen Städter sagten, dass die Corona-Pandemie ihren Blick auf das Landleben verändert habe.

Die Landkreise gewinnen vor allem bei den 30- bis 50-Jährigen dazu. Die wanderungsaktivste Gruppe ist schon seit Jahren die der 18- bis 24-Jährigen, die zur Ausbildung oder zum Studium in die Städte ziehen. Was aber nicht bedeutet, dass sie dort automatisch für immer bleiben.

Eine Umfrage durch das Münchner ifo-Institut und das Immobilienportal Immowelt kommt auf insgesamt 55,8 Prozent, die ihre Großstadt verlassen wollen: Binnen sechs Monaten will jeder 20. wegziehen (5,3 Prozent), weitere 7,6 Prozent binnen 12 Monaten. Umzüge in andere große Großstädte zählten dabei nicht mit. Ziel waren meistens kleinere Großstädte oder die Speckgürtel.

Fast jeder Fünfte (18,5 Prozent) erklärte, in den kommenden zwei bis fünf Jahren wegziehen zu wollen und jeder Vierte (24,4 Prozent) meint, ein solcher Umzug käme durchaus infrage. Das ifo-Institut befragte im Mai 2021 rund 18.000 Personen.

Rückbesinnung auf das Land

Was sagen die Kommunen auf dem Land dazu? 284 der 294 Landkreise profitieren nach Angaben von kommunalen Experten vom Zuzug der Stadtbevölkerung. Besonders beliebt sind Standorte mit größeren Städten im Umkreis, vor allem Gemeinden im Umfeld von Hochschulstandorten.

Gleichwertige Verhältnisse in allen Regionen werde es jedoch nicht geben, stellt der Stadtforscher Peter Jakubowski fest. Nicht alle Regionen würden profitieren. Es müssten auch nicht überall exakt gleiche Bedingungen herrschen. Jede Region hätte ihre eigenen Vorteile, könne diese herausarbeiten und verstärken.

Neben einer guten Internetverbindung ist die Bahnverbindung ein wichtiges Standbein. Zwar würde die Reaktivierung zunächst mehr Geld kosten, als die Bahn mittelfristig zusätzlich einnehmen könne. Später folgen Menschen den Bahnlinien und Unternehmen könnten sich ansiedeln. Jakubowski arbeitet für das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung, das zum Innenministerium gehört.

Umgekehrt denkt nur ein Drittel der Landbevölkerung ernsthaft darüber nach, eventuell in eine Stadt zu ziehen. In Deutschland profitieren von einem Zuzug in die großen Städte fast nur Städte, die auch Hochschulstandorte sind – und der deutliche Trend ist, dass viele nach dem Studium wieder die Städte verlassen.

Auf was müssen sich die Kommunen einrichten?

Wer einmal aufs Land gezogen ist, bleibt mit großer Wahrscheinlichkeit dort. Haus und Hof, Familie, Arbeit, Garten. Das bedeutet für die Landkommunen nicht nur, die Möglichkeiten zu schaffen, dass die Menschen zur Arbeit auch in die Städte pendeln können. Städter, die umziehen, sind bereit zum Pendeln. Der Trend zum Homeoffice zeigt zudem, dass viele neue Arbeitsformen möglich werden.

Ländliche Kommunen sind dabei, die Qualität ihrer Grundversorgung zu verbessern und neue Wohngebiete auszuweisen. Viele potenzielle Landbewohner spielen gedanklich damit, ein Eigenheim zu bauen oder zu erwerben. Hier hat Deutschland Aufholbedarf – europaweit betrachtet ist in der Schweiz und in Deutschland die Wohneigentums-Quote am niedrigsten. Schweden, Frankreich, Belgien, Italien und Spanien haben Eigentumsquoten zwischen 65 und 80 Prozent, in Rumänien sind es 96 Prozent.

Die Probleme der Großstädte und linke Forderungen nach immer mehr sozialem Wohnungsbau oder einem Mietendeckel sind so gesehen eher ein lokales Problem. Würde nicht nur das Wohnen, sondern auch das Arbeiten auf dem Land vereinfacht, dann würde das auch der Bevölkerungsgruppe gerecht, die der Stadt den Rücken kehren will. Ganz nebenher könnten die flüchtenden Stadtbewohner vermutlich genug leere Wohnungen hinterlassen, um einige der Wohnprobleme in den Großstädten zu lösen.

Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe KW29



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