Präsident der Krankenhausgesellschaft
„Auf Grundlage offenbar falscher Daten, werden Grundrechte eingeschränkt“
Stützten sich die Corona-Maßnahmen bisher auf falsche Impfstatistiken? Das Robert-Koch-Institut (RKI) geht davon aus, dass die Corona-Impfquote höher ist als bisher angenommen. Dies würde "das Vertrauen der Bürger in die Entscheidungen massiv untergraben", so Gerald Gaß, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft.

Lothar Wieler, Präsident des Robert Koch Instituts (RKI). Pressekonferenz am 6. Oktober 2021.
Foto: ODD ANDERSEN/POOL/AFP via Getty Images
Gerald Gaß, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft, kritisiert die offenbar ungenaue Impfstatistik des Robert-Koch-Instituts (RKI). Erstens sei die Bereitschaft der Bürger, sich impfen zu lassen, höher als gedacht, sagte Gaß der „Welt“ (Freitagausgabe). „Zweitens sind die vom RKI und den Gesundheitsämtern definierten Meldeverfahren immer noch unzureichend und einer Pandemie dieses Ausmaßes unangemessen“, so Gaß.
„Auf Grundlage offenbar falscher und unzureichender Daten werden für Millionen Menschen gravierende Entscheidungen getroffen und Grundrechte eingeschränkt.“ Wenn Wochen später festgestellt werden müsse, dass die Datengrundlage falsch war, „untergräbt dies massiv das Vertrauen in die Entscheidungen“.
Er erwarte deshalb vom RKI, umgehend Klarheit zu schaffen und Daten offen zu kommunizieren. Die Impfquote sei „wesentliche Grundlage für die Entscheidungen im Herbst und Winter“. Andreas Gassen, Vorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, sagte, dass die tatsächliche Impfquote der vollständig geimpften Erwachsenen nun bei fast 80 Prozent liege.
Hinzu komme noch die Gruppe der Genesenen, die auch mehrere Millionen Menschen umfasst. „Daraus ergibt sich verstärkt die Notwendigkeit eines politischen Fahrplans, wann mit dem Ende aller Beschränkungen zu rechnen ist. Kurzum: Wann genau die epidemische Lage beendet werden kann.“
Ungenaue Zahlen wurden in politische Entscheidungen einbezogen
Auch aus der FDP-Bundestagsfraktion kommt Kritik an der offenbar ungenauen Impfstatistik des Robert-Koch-Instituts. „Ich verstehe nicht, weshalb wir 2021 und nach über anderthalb Jahren Pandemie immer noch nicht auf verlässliche Zahlen zugreifen können“, sagte die gesundheitspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Christine Aschenberg-Dugnus, der „Welt“.
Ebenso erschließe sich ihr nicht, weshalb diese ungenauen Zahlen in die allgemeine politische Entscheidung mit einbezogen würden. „Diese müssen verlässlich sein, wenn wir das Vertrauen und die Akzeptanz der Bevölkerung nicht noch weiter verspielen wollen.“
Sie erwarte, dass dem Bericht nachgegangen werde. „Minister Spahn spricht von richtig guten Nachrichten, aber zu der Frage, wie es zu der prozentualen Abweichung kommen kann, bezieht er keine Stellung.“
FDP sieht nach neuen Impfzahlen „Freedom Day“ näher rücken
FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle fordert nach der Bekanntgabe neuer Impfzahlen schnelle Lockerungen der Corona-Maßnahmen. „Das Bild eines Freedom Day ist deswegen gut und sinnvoll, weil er versinnbildlicht, was der Normalzustand in unserem Land ist“, sagte er dem Fernsehsender, „Welt“. Die heutigen Zahlen zeigten, dass ein solcher Tag möglicherweise näher rücke, als man das vorher gedacht habe.
Alle wollten wieder eine Situation ohne die Beschränkungen der Coronakrise erreichen, so der FDP-Politiker. Es könne nicht sein, dass man basierend auf einer „Datenerhebung nach Steinzeitmethoden mit dem Fax-Gerät“ weitreichende Grundrechtseinschränkungen verhänge, sagte Kuhle.
Wenn der Staat „so massiv“ in die Grundrechte der Bürger eingreife, wie er das während der Coronakrise getan habe, habe er die Verpflichtung, auch für hinreichendes Datenmaterial zu sorgen.
„Und dass jetzt rauskommt, dass die Impfquote möglicherweise noch höher ist, als das in den vergangenen Tagen berichtet worden ist, dann zeigt das, dass auch weitere Lockerungen möglich sind. Wir haben eine Situation, in der Grundrechtsbeschränkungen sehr genau und sehr präzise begründet werden müssen. Und je höher die Impfquote, umso geringer ist die Rechtfertigung für weitgehende Grundrechtseingriffe“, sagte der Innenpolitiker. Wer offen weitere Lockerungen der Corona-Maßnahmen fordere, dürfe nicht länger verunglimpft werden, so Kuhle.
„Wir haben eine Situation in der Coronakrise, wo sich ständig diejenigen entschuldigen müssen, die mehr Lockerungen wollen und diejenigen, die mehr Einschränkungen wollen, werden beklatscht und bejubelt. Und das ist eine negative Situation für die Grundrechte in unserem Land. Diese Zahlen, die wir jetzt über die Impfungen sehen, die legen nahe, dass die Impfquote möglicherweise doch größer ist als gedacht, und das bedeutet, dass man auch über weitere Lockerungen nachdenken muss.“
„Verlässliche Zahlen ist das Mindeste, was die Politik benötigt“
Auch aus der Linksfraktion kommt Kritik. „Seit einem Jahr erklärt die Bundesregierung völlig zu Recht, dass eine hohe Impfquote der Ausweg aus der Pandemie ist. Allerdings weiß sie noch nicht einmal genau, wie erfolgreich die Impfkampagne eigentlich ist, und das ist nicht akzeptabel“, so die Linken-Abgeordnete Kathrin Vogler.
„Wenn die Impfquote zum Maßstab für weitere Maßnahmen oder deren Aufhebung gemacht werden soll, wären verlässliche Zahlen doch das Mindeste, was die Politik benötigt“, sagte sie der „Welt“.
Zurückhaltender zeigten sich indes die Grünen. „Während es durchaus sein kann, dass die tatsächliche Impfquote über den angegebenen Zahlen liegen kann, und das auch bei der Erwachsenenbevölkerung, darf man nicht vergessen, dass insbesondere Kinder und Jugendliche aktuell besonders gefährdet sind“, sagte Kordula Schulz-Asche, Berichterstatterin der Grünen-Bundestagsfraktion für Infektionsschutz.
„Wir haben die Priorität, die Schulen offenzulassen. Dafür müssen Kinder und Jugendliche geimpft werden.“ Hier seien die Impfquoten noch nicht hoch genug. (dts/dl)
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