Oberschicht-Rassismus auf Sylt: SPD zieht Reaktion auf Instagram zurück

Für mehrere Beteiligte am Rassismus-Eklat auf Sylt wird es berufliche Konsequenzen geben. Die in einem Video dokumentierten Gesänge mit Nazi-Parolen von Feiernden auf der Nobel-Insel erhitzen nach wie vor die Gemüter. Die SPD zieht eine verunglückte Reaktion auf Instagram zurück.
Das Lokal «Pony» in Kampen.
Das Lokal „Pony“ in Kampen auf Sylt.Foto: Georg Wendt/dpa
Von 26. Mai 2024

Der Rassismus-Eklat von Sylt hat nun auch politische Reaktionen in Deutschland ausgelöst. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat beim „Demokratiefest“ in Bonn seiner Sorge um die „Verrohung der politischen Umgangsformen“ Ausdruck gegeben. Das Video von der Nobel-Ferieninsel zeige, dass eine Radikalisierung „mindestens in Teilen in der Mitte der Gesellschaft auch stattfindet“.

SPD für Verwendung der Wortfolge „Deutschland den Deutschen“ in der Kritik

Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck erklärte, die Szenen von Sylt seien „verstörend und absolut inakzeptabel“. Gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe erklärte er in der Sonntagsausgabe, am 26. Mai: „Wer so rumpöbelt, ausgrenzt und faschistische Parolen schreit, greift an, was unser Land zusammenhält.“

Die SPD hatte mit Bezug auf den Inhalt des Videos, in dem Beteiligte ihr eigenes Gegröle dokumentierten, mit einem Beitrag auf Instagram geantwortet. Direkt darauf Bezug nehmend schrieb man unter einer schwarz-rot-goldenen Fahne den Text: „Deutschland den Deutschen, die unsere Demokratie verteidigen.“

Trotz der offenkundigen unterschiedlichen Bedeutung und Betonung des ersten Teils der Äußerung erhob sich ein Shitstorm über die Partei. Am Ende löschte sie den Beitrag und räumte ein, man habe es „nicht geschafft, einen Ton zu treffen, der alle mitnimmt“.

Vorfälle auch bei weiteren Partys

Im VIP-Club „Pony“ in Kampen hatten am Pfingstsonntag junge Partygäste sich selbst beim Feiern gefilmt. Dabei hat die Gruppe die in den 1990ern verbreitete Neonazi-Parole „Deutschland den Deutschen – Ausländer raus“ zur Melodie des aus 2001 stammenden Dance-Hits „L’amour toujours“ von Gigi D’Agostino gesungen.

Ähnliche Vorfälle sollen sich am selben Tag auch in den Clubs „Rotes Kliff“ und „Sturmhaube“ zugetragen haben. Wie der Bundestagsabgeordnete Niema Movassat (Die Linke) auf X mitteilt, haben Beteiligte an einer der Partys auch eine afrodeutsche Frau tätlich angegriffen, die sie auf ihr Gebaren angesprochen hatte.

Gesänge, wie sie am Pfingstwochenende in den Jet-Set-Gaststätten auf Sylt intoniert wurden, wurden mittlerweile auch von Veranstaltungen oder Volksfesten in mehreren Teilen des Landes gemeldet. Auf der Bergkirchwein in Erlangen sollen sie ebenso aufgetreten sein wie auf dem Schützenfest in Löningen bei Vechta.

Umdeutung unpolitischer Elemente der Popkultur

Bei der rassistischen Verfremdung des mehr als 20 Jahre alten Hits handelt es sich um einen sogenannten Running Gag, der sich seit Oktober 2023 kontinuierlich über soziale Medien verbreitete. Eine besondere Rolle spielten dabei Videos auf der von der chinesischen Kommunistischen Partei kontrollierten Plattform TikTok.

Seither taucht die nazistische Verballhornung immer wieder in Diskotheken, auf Festen oder Abifeiern auf. Im Januar wurde der Song auch aus einer Gruppe von Teilnehmern des AfD-Landesparteitags in Bayern heraus in einer Diskothek in Greding gesungen.

Ironie: Wie erst 2020 bekannt wurde, war der erste Interpret des nun in verfassungsfeindlicher Weise adaptierten Songs der britisch-nigerianische Jazz- und Soul-Sänger Ola Onabulé.

Die Aneignung eigentlich unpolitischer Elemente der Populärkultur und deren rassistische Umdeutung ist ein bereits seit den 1990er-Jahren zu beobachtendes Phänomen in der extremen Rechten. Damals waren unter anderem Tonträger in der Szene im Umlauf, auf denen bekannte Schlager mit neonazistischen Texten versehen und durch Kopieren unter der Hand weitergegeben wurden.

In den USA stellte „Pepe der Frosch“ ein bekanntes Beispiel aus jüngerer Zeit dar, das in ähnlicher Weise vonseiten der sogenannten Alt-Right vereinnahmt wurde. Im Gespräch mit dem „Stern“ sieht Extremismusforscher Matthias Quent von der Universität Magdeburg-Stendal jedenfalls eine „latent rassistische Orientierung“ hinter Vorfällen wie jenen von Sylt.

Zwar sei nicht davon auszugehen, dass jeder Beteiligte ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild aufweise. Aber der Umstand, dass die rassistische Adaption des Partyhits vor allem szeneintern eine Rolle spiele, lege nahe, dass dazu zumindest ein Kontakt bestanden habe.

Szenen von Sylt werfen landläufige Weisheiten über Rassismus über Bord

Quent sieht in den Vorfällen von Sylt allerdings einen Ausdruck jenes Phänomens, das vor allem seit dem Erfolg des Sarrazin-Buches „Deutschland schafft sich ab“ von 2010 als „Verrohung des Bürgertums“ bekannt sei. Dies bezeichne ein Mainstreaming rassistischer, sozialdarwinistischer und eugenischer Vorstellungen bis hinein in die Mitte und in die gesellschaftliche Oberschicht.

Auch SPD-Chef Lars Klingbeil sieht durch das Video von Sylt den Mythos zertrümmert, Rassismus und Rechtsextremismus seien ein hauptsächliches Problem der ostdeutschen Provinz. Auf „t-online“ mahnt er zur Empathie: „Wer etwas ändern will, muss denjenigen zuhören, die von Rassismus betroffen sind und mithelfen, ihre Stimmen lauter und sichtbarer zu machen.“

Linkspolitiker Olaf Götze aus Münster weist zudem auch darauf hin, dass entsprechende Einstellungsmuster nicht zwingend ein Ausdruck von Bildungsmangel oder Abstiegsängsten seien.

Arbeitgeber beenden Zusammenarbeit mit Beteiligten

Für einige der Sänger im „Pony“-Club hat das Video, das aus den eigenen Reihen auf X hochgeladen wurde, nun berufliche Konsequenzen. Wie „t-online“ berichtet, verkündeten Arbeitgeber zuvor von Social-Media-Nutzern identifizierter Teilnehmer, ihre Beschäftigungsverhältnisse mit diesen aufgelöst zu haben.

Zu den Unternehmen, bei denen diese beschäftigt gewesen sein sollen, hätten unter anderem Bluplanet, die Deutsche Bank, Vodafone oder Infineon gehört. Eine im Video identifizierte Frau soll für eine Influencerin gearbeitet haben. Mehrere sollen aus München auf die Insel angereist sein.

Demgegenüber hat der bayerische AfD-Landtagsabgeordnete René Dierkes Beteiligten, die nun ihre Jobs verloren haben, eine Mitarbeit in seinem Landtagsbüro angeboten: „Ich biete den offenbar gut ausgebildeten Herrschaften vom Sylt-Video an, sich bei mir im Landtagsbüro zu bewerben. Voraussetzung: Stabil bleiben.“

Auf Facebook gibt es auch einige kritische Stimmen zur Empörung über die Vorfälle auf Sylt. Einige Nutzer werfen die Frage auf, warum ein derartiger Eifer, Beteiligte zu enttarnen, nicht auch bei Studenten an den Tag gelegt werde, die an ihren Universitäten den Staat Israel delegitimierten.



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