Deutschlands politisches Ringen um die Corona-Aufklärung

Die kürzlich freigeklagten RKI-Protokolle vermitteln nicht nur, dass Lockdown und Corona-Maßnahmen ohne Evidenz ausgerufen wurden, sondern erhärten den Eindruck von politischer Willkür. Stimmen aus der Politik fordern jetzt eine Corona-Aufarbeitung. Hinzu kommt hinter den Kulissen ein juristisches Gerangel.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will mit der Reform die Kliniklandschaft verändern.
Karl Lauterbach betont gerne, dass er im Zeitraum der freigeklagten RKI-Protokolle noch nicht im Amt war.Foto: Felix Müschen/dpa
Von 9. April 2024

Gesundheitsminister Karl Lauterbach ist erst in der letzten Phase der Pandemie ins Amt des Gesundheitsministers gekommen. Dies macht er momentan, angesichts der Forderungen nach Aufarbeitung der Corona-Zeit, gerne deutlich.

Letzten Donnerstag ließ er zudem wissen, dass man plane, die RKI-Dokumente „so weit wie möglich zu entschwärzen“. Er wolle nicht, dass auch nur „der Hauch eines Eindrucks entsteht, hier würde seitens des Robert Koch-Instituts irgendetwas bewusst verborgen“.

Lauterbach: Aufarbeitung fördert Verschwörungstheorien

Noch vor zwei Wochen hatte Lauterbach vor laufenden Kameras beteuert: „Das RKI hat unabhängig von politischer Weisung gearbeitet“, was durch viele ungeschwärzte Stellen in den 2.500 Seiten der Protokolle widerlegt wurde.

Lauterbach versucht bei seinem Credo zu bleiben, Deutschland sei insgesamt gut durch die Pandemie gekommen und die Arbeit des RKI habe dazu beigetragen, viele zusätzliche Todesfälle zu verhindern. Eine politische Aufarbeitung brauche es nicht, nur eine wissenschaftliche, befand Gesundheitsminister Lauterbach. Es sei wichtig, „nach vorne zu blicken“. Der Minister twitterte entsprechend sein Statement zu den RKI-Files auf X:

„Aufklärung ist gut, aber wir dürfen nicht durch Einmischung fremder Regierungen Verschwörungstheorien in sozialen Medien entstehen lassen.“

Grüne befürchten populistische Kräfte in der Corona-Aufarbeitung

Die „Welt“ erklärt, Gesundheitsminister Lauterbach habe sich in seiner Not in eine Verschwörungstheorie geflüchtet, dass böse Mächte mit substanzloser Kritik die Bundesrepublik zu schwächen versuchen. Auch Grünen-Politiker Janosch Dahmen verbreitet dieses Narrativ.

Dahmen meldete sich via X mit folgendem Statement: „Der Versuch, in die #RKIFiles einen Skandal hineininterpretieren zu wollen, ist Ausdruck von Unkenntnis zur Krisenstabsarbeit & von weiterer Desinformation, um uns zu spalten. Wir sollten uns vor solcher Einflussnahme ausländischer Nachrichtendienste schützen.“ Dahmen hält auch eine Enquete-Kommission für „das falsche Instrument“.

Andere Grüne wollen ebenfalls keinen Aufklärungsdruck im Hinblick auf Corona-Maßnahmen, wie die Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt. Ihre Begründung: Dies könnte populistischen Kräften in die Arme spielen. „Wie mit der Pandemie noch heute Stimmung gegen unsere parlamentarische Demokratie gemacht wird, besorgt mich“, sagte die Grünen-Politikerin dazu den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Eine Aufarbeitung sollte nicht missbraucht werden, um Handelnde in Politik, Ärzteschaft, Wissenschaft zu diffamieren, sondern um für die Zukunft zu lernen.“

CDU und FDP für Enquete-Kommission

Während sich in der SPD Fraktionsvize Dagmar Schmidt vehement mit der „Argumentation“, dass es „geeignetere Formate“ für die Aufarbeitung gebe, gegen den Einsatz einer Enquete-Kommission aussprach, will die Union eine solche Kommission. Zumindest sprach sich dafür ihr gesundheitspolitischer Sprecher Tino Sorge aus.

Die FDP befürwortet schon lange eine Enquete-Kommission für die Aufarbeitung. Auch Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) begrüßte via X den Vorschlag einer Enquete-Kommission: „Nach Maßnahmen dieses Ausmaßes muss eine seriöse Manöverkritik folgen, um für die Zukunft zu lernen.“

Das Gremium einer Enquete-Kommission besteht aus Abgeordneten und Sachverständigen aus Wissenschaft und Praxis, das temporär eingesetzt wird, um komplexe Sachverhalte zu untersuchen und Empfehlungen für politische Maßnahmen zu erarbeiten.

Kubicki will Offenlegung ohne Schwärzungen

FDP-Vize Wolfgang Kubicki forderte in einem Gastbeitrag bei „Focus“ von Karl Lauterbach, alle Protokolle des Krisenstabes ohne Schwärzungen der Öffentlichkeit vorzulegen. „Denn früher oder später wird er ohnehin hierzu gezwungen werden, entweder gerichtlich oder politisch. Wenn der Grundsatz ‚Follow the Science‘ die ständige Leitschnur politischen Handelns in der Pandemie gewesen sein sollte, dann kann er zumindest fachlich nichts dagegen haben.“

Laut „Süddeutsche“ bot Kubicki bereits an, bei der Entschwärzung der RKI-Dokumente mit Hand anzulegen: Er bot demnach an, die Dokumente durchzusehen, um dann eine „Empfehlung“ abzugeben, was geschwärzt bleiben solle und was nicht. Kubicki soll deswegen sogar einen Brief an Lauterbach geschrieben haben, um seine Dienste anzubieten, angeblich ohne Reaktion, geschweige denn Zuschlag – bislang.

Außerdem erklärte er am Mittwoch letzter Woche, 27. März 2024, gegenüber Ippen Media: „Schwärzungen sind dort angebracht, wo etwa personenbezogene Daten geschützt werden müssen. Wenn die Schwärzungen jedoch mehr Fragen als Antworten hinterlassen, sind sie zu hinterfragen.“

„Da steckt mehr dahinter“ – das Recht auf die Wahrheit

AfD-Bundessprecherin Alice Weidel erklärte am Dienstag, 26. März 2024: „Die Öffentlichkeit hat ein Recht darauf zu erfahren, was damals wirklich passierte.“ Und weiter: „Die Schwärzungen in den RKI-Protokollen sollen angeblich Mitarbeiter vor ‚Hass und Hetze‘ von ‚bestimmten Gruppen‘ schützen, behauptet tatsächlich Karl Lauterbach.“

Alice Weidel stellt an der Stelle die Fragen: „Doch warum ist ein so großer Teil […] geschwärzt worden? Was haben die Experten und die damalige Bundesregierung zu verbergen? So lange Namen gibt es doch nicht. Da steckt mehr dahinter.“ Deutschland braucht einen Corona-Untersuchungsausschuss, fordert die AfD-Chefin. Eine Enquete-Kommission, wie sie die FDP fordert, reiche nicht aus.

„Die Wunden in der Gesellschaft werden nur dann heilen können, wenn die Verantwortlichen Rede und Antwort stehen“, sagte die Vorsitzende der neuen Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) gegenüber der Funke-Mediengruppe. Ihre Forderung: „Jede geschwärzte Passage muss wieder lesbar gemacht werden.“ Das aber genau kann eben noch dauern, wenn es nach Karl Lauterbach geht.

Lauterbachs langwierige Protokollentschwärzung

Denn vor der Herausgabe der entschwärzten Protokolle werde geprüft, was „unbedingt“ geschwärzt bleiben soll, erläuterte der Gesundheitsminister in einem DLF-Interview. Das RKI müsse nun „jeden um Erlaubnis bitten, der in den Protokollen genannt wird oder dessen Interessen genannt werden“, damit die Entschwärzung stattfinden könne. Dieser Vorgang könne „vielleicht vier Wochen“ dauern. Das aber will „Multipolar“ und sein Anwaltsteam, die die Protokolle in zweijähriger Dauer freigeklagt haben, so nicht stehen lassen.

Laut Rechtsanwalt Christoph Partsch, der „Multipolar“ vor Gericht vertritt, müsse nach dem Informationsfreiheitsgesetz (IFG) keineswegs jeder Betroffene um Erlaubnis für die Entschwärzung gefragt werden. Es genüge, wenn das öffentliche Interesse überwiegt, so Partsch. Dieses „überragende öffentliche Interesse“ an der Offenlegung sei zu berücksichtigen. Dieses führe fast immer zu einem Überwiegen der Transparenzinteressen.

Erst einmal hat die Wirtschaftskanzlei Raue, die das Robert Koch-Institut (RKI) im Gerichtsverfahren um die Freiklagung der ungeschwärzten Krisenstabsprotokolle aus den Jahren 2020 und 2021 vertritt, beim Verwaltungsgericht Berlin beantragt, den Termin zu verschieben, berichtet „Multipolar“.

Die RKI-Anwälte stellten den Antrag auf Verschiebung kurz nach der ersten „Multipolar“-Veröffentlichung mit dem Argument, dass beide verantwortlichen Anwälte den Termin nicht wahrnehmen könnten. Sie würden das Verfahren „alleinverantwortlich“ bearbeiten und seien beide am 6. Mai verhindert. Andere Anwälte der Kanzlei Raue, die nach eigenen Angaben 80 Rechtsanwälte beschäftigt, könnten nicht übernehmen.

„… wir werden uns viel zu verzeihen haben“

Mittlerweile spricht sich auch der Grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, flankiert von FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner, recht vage dafür aus, die Corona-Zeit aufzuarbeiten. Es solle dabei aber nicht um Schuldzuweisungen gehen: „Kein Blame Game, aber aus Erfahrung lernen, das ist die Devise.“

Habeck beruft sich in seiner Argumentation auf ein Zitat des damaligen Gesundheitsministers: „Jens Spahn hat mal gesagt, wir werden uns viel zu verzeihen haben.“



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