Rechtsexperte: „Politik hat jedes Maß verloren“ – RKI könnte Politik Anstoß zu Corona-Wende geben

Am kommendem Mittwoch steht eine weitere Corona-Runde von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten an. Der Widerstand gegen eine Verlängerung des harten Lockdowns wird immer breiter. Der „ControlCOVID“-Stufenplan des RKI könnte neue Impulse geben.
Von 28. Februar 2021

Die Corona-Fallzahlen sinken und die Akzeptanz des Corona-Lockdowns in der Bevölkerung ist rückläufig: Davon geht das Robert-Koch-Institut in seiner am 18. Februar fertiggestellten „Strategie und Handreichung zur Entwicklung von Stufenkonzepten bis Frühjahr 2021“ aus, die den Titel „ControlCOVID“ trägt.

Das RKI skizziert darin einen Stufenplan zur weiteren Vorgehensweise in der Pandemiepolitik, der nicht mehr vorwiegend auf Inzidenzwerte ausgerichtet ist. Das Papier könnte für die Politik die Grundlage für einen Einstieg in den Ausstieg aus dem Lockdown geben.

Nur noch Grüne für weiteren harten Corona-Lockdown

Den jüngsten Zahlen des ZDF-Politbarometers zufolge sind nur noch die Anhänger der Grünen mehrheitlich gegen Lockerungen.

Am kommenden Mittwoch (3.3.) wird wieder eine Bund-Länder-Konferenz von Bundeskanzlerin Angela Merkel und den Ministerpräsidenten stattfinden, in der das weitere Vorgehen abgestimmt wird. Sebastian Huld sieht in einer Analyse für n-tv nur noch in Bayerns Ministerpräsident Markus Söder einen verlässlichen Verbündeten der Kanzlerin.

CDU- und SPD-regierte Bundesländer drängten demgegenüber mehr oder minder intensiv auf Schritte zur Öffnung oder bereiten solche bereits in Eigenregie vor. Huld diagnostiziert, dass auch Warnungen vor „dritten Wellen“ der Seuche und Mutationen, die sich ausbreiten, der schwindenden Lockdown-Akzeptanz nicht entgegenzuwirken vermögen.

Auch die Drohung mit einem möglichen Kollaps des Gesundheitssystems verliere an Schrecken, je länger sich ein Zustand, der einen solchen befürchten ließe, nicht einstelle. Dass immer mehr Menschen durch die Corona-Schutzimpfung erreicht würden und Schnelltests eine immer größere Rolle spielen, schafft zusätzlichen Gegenwind für Befürworter einer weiteren Lockdown-Verlängerung.

RKI-Stufenplan als Chance zur gesichtswahrenden Kehrtwende

Das Papier des RKI soll nun der „Notwendigkeit einer klaren Zielstellung und transparenten Perspektive für die nächsten Monate“ Rechnung tragen. Es markiert eine Abkehr von einer pauschalen Orientierung nach Inzidenzwerten und Annahmen über deren mögliche Bedeutung im Zusammenhang mit der Funktionsfähigkeit des Gesundheitssystems.

Bis dato galt die Sieben-Tage-Inzidenz als der entscheidende Richtwert – einerseits zur Nachverfolgbarkeit von Kontakten Infizierter für Gesundheitsämter, andererseits auch hinsichtlich der Belastung der Kliniken.

Das RKI trägt nun den Einwänden von Kritikern dieses Ansatzes Rechnung. An die Stelle eines einheitlichen pauschalen Inzidenzwerts rücken 17 Lebensbereiche („Settings“), die nach Dimensionen der Bedeutung für das Krankheitsgeschehen unterschieden werden.

Diese stellen das Infektionsrisiko, der Anteil am gesamten Transmissionsgeschehen, der „direkte Public-Health-Einfluss“ auf Schwere der Krankheitsverläufe und die Intensität der „Nicht-COVID-Effekte“ dar, also das Schadenspotenzial abseits der Krankheit selbst.

Setting-Ansatz trägt Kritik an pauschalem Inzidenz-Bezug Rechnung

Der Setting-Ansatz eignet sich als potenzielle Grundlage für zielgerichtete Corona-Maßnahmen, die eine auf die Lebensbereiche bezogene Abwägung von Maßnahmen und Risiken zur Grundlage haben. Daher stehen Zusammenkünfte in geschlossenen Räumlichkeiten, Alten- und Pflegeheime sowie Clubs und Bars an oberster Stelle.

Bei Schulen, Kitas und im öffentlichen Verkehr wird der potenzielle Schaden durch eine Schließung für höher eingestuft als der Nutzen einer solchen bezogen auf das Krankheitsgeschehen. Bezüglich der Gastronomie werden alle Dimensionen gleichermaßen als moderat eingestuft, ebenso bei Universitäten und Fachhochschulen – was den Regierungen ebenfalls erlauben würde, abzuwägen.

Für Betriebe und Unternehmen wird ein umfangreicher Kollateralschaden veranschlagt, die Risiken für die Verbreitung der Seuche hingen von der jeweiligen Branche ab. Im untersten Bereich der Risikoeinstufung rangieren Einzelhandel, Zusammenkünfte im Freien, Hotels, ÖPNV-Fernverkehr und Spielplätze. Dies erhöht die Chance auf zeitnahe und dauerhafte Lockdown-Aufhebungen dort, wo noch solche bestehen.

RKI will weiterhin Kontrollverlust verhindern

Das RKI will mit seinem Ansatz dazu beitragen, dass durch einen differenzierten evidenzbasierten Ansatz „eine ungebremste Infektionsausbreitung und das damit verbundene Risiko eines Kontrollverlustes bei der schrittweisen Deeskalation minimiert und die Notwendigkeit einer raschen Eskalation von Maßnahmen frühzeitig erkannt werden“ können.

Bis sich umfangreiche  Immunität durch die Impfungen eingestellt habe sei es aus infektionsepidemiologischer Sicht erforderlich, „den erneuten Eintritt in ein exponentielles Wachstum der Pandemie durch antiepidemische Maßnahmen zu verhindern und – darüber hinaus – die Fallzahlen deutlich weiter in einen voraussichtlich kontrollierbaren Bereich zu senken“.

Neue Normalität“ läuft der Verfassung zuwider

Für die Bundeskanzlerin und ihre Verbündeten in dieser Frage – von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bis hin zu SPD-Gesundheitssprecher Karl Lauterbach – wird es auch auf der Grundlage des RKI-Papiers schwieriger werden, ihren ausschließlich auf das Vorsorgeprinzip und die Warnung vor den Effekten von Mutationen gestützten Ansatz durchzusetzen.

Je mehr Impfstoffe zugelassen werden, je mehr Menschen durch die Impfung erreicht werden und je mehr gelindere Mittel wie offensive Teststrategien zur Verfügung stehen, umso schwieriger wird die Position für „No Covid“-Ansätze.

Dazu kommen auch grundlegende verfassungsrechtliche Vorgaben. In der „Welt“ schreibt der emeritierte Rechtswissenschaftler Dietrich Murswiek von der Universität Freiburg, Merkels Inzidenzpolitik sei „irrational“ und es wäre eine „Gefahr für unsere freiheitliche Demokratie“, würden die derzeit geltenden Corona-Restriktionen zu einer „neuen Normalität“.

Umkehrung des Grundprinzips freiheitlicher Rechtsstaaten

Murswiek warnt, die Politik sei dabei, „die freiheitliche Verfassungsordnung in ein unfreiheitliches Pandemieregime zu verwandeln“. Dass in der vergangenen Bund-Länder-Konferenz durch die Absenkung der Inzidenzzahlen kurzerhand der Maßstab für die Verlängerung des Lockdowns verändert worden sei, lasse weitere willkürliche Absenkungen des Inzidenzziels befürchten – um am Ende vielleicht „eine Nullinzidenz zur Voraussetzung für die ‚Rückgabe der Grundrechte‘ machen“ zu können.

Wenn das Nichtwissen um die Gefährlichkeit der Mutationen im Sinne des „Vorsorgeprinzips“ ausreichen solle, um die Aufrechterhaltung der „umfassendsten Freiheitseinschränkungen in der Geschichte der Bundesrepublik“ zu begründen, werde die Beweislast zu Ungunsten der Freiheit der Bürger umgedreht.

Am Ende drohe eine Umkehrung des Prinzips freiheitlicher Verfassungen:

Freiheit ist nicht mehr, wie im Rechtsstaat, prinzipiell unbegrenzt, sondern wird obrigkeitlich gewährt, wenn gerade kein Virus oder kein anderes Ereignis, gegen das man sich vorsorglich und fürsorglich wappnen muss, zu befürchten ist.“

Da Seuchen wie SARS-CoV-2 „wohl niemals ausgerottet“ sein würden, sondern immer wieder wellenartig auftreten würden, und Mutationen auch im Zustand hoher Immunisierung zur Einschränkung von Grundrechten herangezogen werden könnten, werde es „einen Weg zurück zur rechtsstaatlichen Normalität auf der Basis dieser Denkmuster“ nicht geben.

Murswiek: Politik hat Maß verloren

Die Politik habe, so Murswiek, „in ihrem Corona-Furor jedes Maß verloren“. Das Recht auf Leben sei das fundamentalste Grundrecht überhaupt und der Staat müsse es schützen, die Verfassung verpflichte die Regierung aber nicht, „uns um jeden Preis vor dem Tod zu bewahren“. Andernfalls müsste auch der Autoverkehr verboten werden, weil es dort zu tödlichen Unfällen kommen könne.

Auch wenn der Staat die Abwehr einer Pandemie organisiere, müsse er die Grundrechte wahren und die freiheitliche Ordnung aufrechterhalten:

„Die Schäden, die er mit seinen Abwehrmaßnahmen verursacht, dürfen nicht größer sein als ihr Nutzen. In einer Situation, in der die Überlastung des Gesundheitssystems nicht mehr zu befürchten ist, ist der Lockdown nicht mehr verhältnismäßig.“

Der Mittwoch wird weisen, inwieweit Warnungen namhafter Juristen und wachsender Unmut in der Bevölkerung ein Einlenken der Politik zur Folge haben. Das RKI hat dieser mit seinem Stufenplan nun immerhin eine potenzielle Grundlage an die Hand gegeben, um in gesichtswahrender Weise die Logik wiederkehrender Lockdowns zu durchbrechen.



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