Schonungslos ehrlich: Deutschtürke erzählt sein Lebensdrama um Asyl und Betrug
Bis heute fühlt er sich mehr deutsch, als arabisch, sagt Yosef Şimşek, der gelernt hat, mit den zwei gegensätzlichen Identitäten zu leben: Als Deutscher und als arabisch-stämmiger Türke. Schon im Jahr 2011 schrieb er seine Geschichte auf und brachte sie später mit dem Riverfield-Verlag in Buchform, „Im falschen Paradies – Wie mein Leben zwischen den Kulturen zum Albtraum wurde“. Dass es ausgerechnet jetzt erscheint, wo das Thema in aller Munde ist, war Zufall. EPOCH TIMES sprach mit Yosef Şimşek am Telefon.
„Ich habe zu Gott gebetet dass dieses Buch herauskommt“, sagt der 25-jährige Autor – ein entspannter, junger Mann, der höflich und bescheiden klingt.
„Ich glaube, dass viele Kinder in Deutschland das gleiche Schicksal haben wie ich.“
„Ich wollte vor allem den Deutschen eine Tür öffnen, damit sie sehen, was bei uns Arabern und Türken abgeht. Denn meist ist es geschauspielert, wenn wir uns anpassen. Zurück in unserem Kreis zählen dann wieder unsere eigenen Regeln.“
Eine Kindheit voller Gewalt
Schon auf den ersten Seiten erfahren wir, dass er im Alter von sechs Jahren fürchterlich verprügelt wurde, weil er ein „Lieblingskuscheltier“ hatte. Kurz darauf flippte sein Vater total aus, weil Yosef seiner kleinen Schwester geholfen hatte, die Haare ihrer Barbie-Puppe zu kämmen – Dinge, die ein arabisch-islamischer Junge nicht zu tun hatte (zumindest war seine Familie dieser Ansicht).
Druck und Gewalt gegen ihn als Außenseiter sollten sich noch über Jahre und die ganze Jugend hinweg hinziehen. Sie kamen von seinem tyrannischen Vater und seinen großen Brüdern, die merkwürdigerweise nicht verprügelt wurden: Sie waren eher so geraten, wie es sich der Vater wünschte. Yosefs Mutter versuchte, ihn bestmöglich zu beschützen. Nicht immer mit Erfolg.
„Sie wissen ja wie das bei arabischen Menschen ist: Die Frau tut, was der Mann sagt“, fügt er hinzu, dessen Stimme stets verständnisvoll klingt.
Nein, er sei NICHT schwul, erklärt er lachend. Das fragen ihn Medien jetzt dauernd. Er war nur einfach etwas sensibler, als sich das sein strenggläubiges Umfeld vorstellte. In der Schule hatte er deutsche Freunde, war aber gleichzeitig auch das problematische „Ausländerkind“, weil er die zu Hause erlebte Gewalt nach außen weitergab.
„Es gibt immer einen Grund, warum ein Kind auf eine schiefe Bahn gerät – das habe ich mit dem Buch ganz offen gezeigt.“ Und gerade damit brach er ein Tabu. Denn Araber lassen keine unangenehmen Geheimnisse nach außen dringen. „Das ist eine ganz starke Tradition, damit Ehre und Stolz nicht verletzt werden“, erklärt er. Dementsprechend sind die Reaktionen auf sein Buch nun geteilt: „Ich wurde in meinem Umfeld jetzt oft als Nestbeschmutzer bezeichnet, weil ich so offen über die Tradition gesprochen habe.“ Zustimmung gab es jedoch auch bei einigen.
An den Deutschen habe er immer gemocht, dass sie ihn vorurteilsfrei und wie einen Menschen behandelten – obwohl er ein Problemkind war. „Diese Herzlichkeit der Deutschen hat mich angezogen“, erzählt er. Sie stand in scharfem Kontrast zu dem, was er als Kind zu Hause erlebte. „Deshalb bin ich immer mehr in die deutsche Kultur hineingewachsen.“ Das wiederum vergrößerte den Graben zwischen ihm und seinen Leuten.
Was ihm niemals jemand sagte …
Richtig kompliziert wurde sein Leben, als das Geheimnis seiner Eltern platzte: Sein Vater war ein Asylbetrüger, der vorgab Libanese, statt Türke zu sein. Diese Lüge hatte jedoch einen wahren Kern: Vater und Mutter hatten lange Jahre im Libanon gelebt, weil es dort Arbeit gab. Dann kam jedoch in den 80er Jahren der Krieg. Sie mussten mit vier Kindern zurück in ihre ursprüngliche Heimat Türkei fliehen. Der analphabetische Vater fand dort keine Arbeit. Also hausten sie ein Jahr lang unter katastrophalen Umständen. „Aus dem Loch, das sie als Toilette benutzten, sprangen Ratten. Das hat mein Vater nicht verkraftet. Er wollte ein besseres Leben für seine Familie“, erzählt Yosef.
Als sein Vater dann durch Verwandte vom deutschen Sozialstaat erfuhr, habe es bei im „Klick“ gemacht. Er begann, die illegale Einreise zu organisieren. Zuerst mit dem Zug nach Wien, was ohne Visum ging. Danach weiter per Schleppermafia über die bayerische Grenze und bis nach Norddeutschland.
„Das mit der Schleppermafia war meiner Mutter dann schon eine Nummer zuviel. Aber was hätte sie machen sollen? Wenn sie in Wien ihren Mann verlassen und allein mit vier Kindern zurück in die Türkei gekommen wäre, hätte man sie als Schlampe beschimpft“, so Yosef. „Mein Vater hat ihr immer nur eins gesagt: Du willst doch deine Kinder in Sicherheit bringen, oder?“ – Widerspruch gegen die illegale Aktion war zwecklos.
In Deutschland bekam der Vater Asyl als „libanesischer Kriegsflüchtling“. Yosefs Mutter bekam ihn und noch zwei Kinder. Doch als er 14 Jahre alt war, flog alles auf – jemand aus der Verwandtschaft hatte sie verpfiffen. Zwar hatte der Sohn bereits mitbekommen, dass die Familie Ärger mit dem Staat hatte und prozessierte. Aber erst durch eine unbedachte Äußerung eines Lehrers, erfuhr er, dass er eigentlich kein Libanese, sondern Türke war. Und dass ihnen allen die Abschiebung drohte.
Plötzlich zurück in die Türkei
Wenig später endete sein Leben in Deutschland abrupt: Die Polizei holte die Familie mitten in der Nacht aus ihrer Hamburger Wohnung und steckte sie in einen Flieger nach Istanbul, weil die Behörden ein Exempel statuieren wollten. Das war im Jahr 2004. Als sie in ihrem Heimatdorf ankamen, wo Hühner herumliefen und es nicht mal befestigte Straßen gab, sagte der Vater: „Gewöhnt euch dran, hier ist jetzt euer Zuhause.“ Yosef und seine Geschwister fingen noch einmal bei Null an: Ihre Umgebung sprach jetzt türkisch. Sie konnten nur arabisch und deutsch. Auch in der Schule gab es keinen Sprachunterricht. Nur mit Glück und verständnisvollen Lehrern gelang Yosef das Fachabitur.
Bis heute hat Yosef ein schlechtes Gewissen, weil er es gewesen sein könnte, der die Abschiebung der Familie besiegelte. Denn kurz zuvor war er zur Polizei gerannt, als sein Vater die Mutter brutal verprügelte. „Ich vermute, diese ‚häusliche Gewalt‘ war dann ausschlaggebend für die Behörden“, sagt er, doch Gewissheit wird er nie haben.
Mit seinem Vater hat er sich mittlerweile versöhnt. Er habe sogar dessen Segen für die Veröffentlichung des Buches bekommen: „Ich habe ihm die brutalsten Stellen vorgelesen und gefragt, ob ich das schreiben darf. Da hat er zugestimmt“, so Yosef.
Der „Stern“ habe die Familie in der Türkei besucht und ein Foto von ihm und seinem Vater gemacht. „Da lege ich den Arm um ihn. Das hätte ich nie tun können, wenn ich das Buch hinter seinem Rücken gemacht hätte.“ (rf)
"Im falschen Paradies"
von Yosef Şimşek
24,90 Euro / 29,90 CHF
ISBN 978-3-9524523-6-3
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