Streit um mRNA-Impfzulassung geht weiter

Seit einigen Wochen schwelt ein Streit um die Legalität der EU-Zulassung von mRNA-Präparaten als Impfstoffe. In die Debatte zwischen sieben Juristen und einem Molekularbiologen haben sich mittlerweile auch andere Kritiker eingeschaltet.
Von 16. März 2023

Der Streit um die Frage, ob die mRNA-Präparate von Pfizer, Moderna und Co. überhaupt als Vorbeugeschutz gegen eine Corona-Infektion hätten zugelassen werden dürfen, geht weiter.

Nachdem sieben Juristen schon vor Wochen in einem Artikel der „Berliner Zeitung“ klar auf Nein plädiert hatten, gab es Gegenwind aus dem Leserpublikum. Chefredakteur Tomasz Kurianowicz nahm den Artikel aus dem Netz und bat den prominenten Biochemiker Dr. Emanuel Wyler, eine Gegenrede zu verfassen, wie der Blogger Norbert Häring in Erfahrung gebracht hatte. Am 12. Februar ließ Kurianowicz Rede und Gegenrede gemeinsam und gleichzeitig unter dem Titel „Gab es bei den Impfungen ein „Zulassungsdesaster“? Zwei Perspektiven“ veröffentlichen – allerdings bei abgeschalteter Kommentarfunktion.

Juristen: Keine Impfstoffe, sondern Gentherapeutika

Fassen wir die wichtigsten Argumente Wylers und der sieben Juristen (Rechtsanwalt René M. Kieselmann, Prof. Dr. Gerd Morgenthaler, Dr. Amrei Müller, Prof. Dr. Günter Reiner, Rechtsanwalt Dr. Patrick Riebe, Rechtsanwältin Dr. Brigitte Röhrig und Prof. Dr. Martin Schwab) zusammen.

Am Anfang stand die Frage, ob es illegal war beziehungsweise ist, die in nur wenigen Monaten entwickelten mRNA-Präparate von Pfizer/BioNTech, Moderna und Co. ohne die sonst obligatorischen jahrelangen Sicherheits- und Wirkstudien bereits wenige Monate nach der Pandemie-Ausrufung durch die WHO „bedingt“ zuzulassen.

Nein, meinen die sieben Juristen. Denn ihrer Einschätzung nach handele es sich bei den mRNA-Präparaten nicht um herkömmliche Impfstoffe nach Paragraph 4 Abs. 4 Arzneimittelgesetz, sondern vielmehr um „Gentherapeutika“. Diese aber seien schon wegen ihrer Wirkungsweise juristisch anders zu bewerten als gewöhnliche Impfstoffe. Deshalb sollten sie für eine Zulassung auch nicht einem relativ einfachen Impfstoff-Zulassungsverfahren unterliegen, sondern dem weit aufwendigeren, längeren und teureren Verfahren für Gentherapeutika. Das sei nicht geschehen.

Geklappt habe die Zulassung trotzdem, weil die EU bereits 2009 in ihrer Richtlinie Nr. 2009/120/EG „Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten“ – und damit auch die heute aktuellen COVID-19-Präparate – auf Druck der pharmazeutischen Industrie (PDF) aus der Gruppe der besonders regulierten Gentherapeutika entfernt habe (PDF). Seitdem gelte laut EU-Richtlinie 2001/83/EG der Grundsatz „Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten sind keine Gentherapeutika“ – und mit dieser einfachen Definition ohne Bezugnahme auf irgendeine Wirktechnik sei der Weg für eine vereinfachte, bedingte Zulassung frei gewesen.

Spätestens im Oktober 2022 aber habe sich die EU-Kommission strafbar gemacht, als sie „auf Empfehlung des Ausschusses für Humanarzneimittel (CHMP) bei der EMA“ den Zulassungsstatus von „bedingt“ auf „regulär“ ändern ließ. Für die sieben Juristen ein klarer Verstoß gegen Artikel 14-a Absatz 8 der Verordnung Nr. 726/2004/EG und gegen Artikel 7 der Kommissionsverordnung Nr. 507/2006/EG (PDF). Denn für eine reguläre Zulassung seien „mehrjährige, Placebo-kontrollierte Studien“ laut Artikel 12 Absatz 1 der Verordnung 726/2004/EG die zwingende Voraussetzung. Die Placebo-Gruppen bei Pfizer/BioNTech und Moderna aber seien bereits 2021 aufgelöst worden. Und damit automatisch auch die Grundvoraussetzung für eine reguläre Freigabe (PDF).

Dr. Emanuel Wyler: mRNA-Impfstoffe legal zugelassen

Der Molekularbiologe Dr. Emanuel Wyler argumentierte dagegen, dass es sich bei den mRNA-Präparaten von Pfizer und Co. aus biologisch-medizinischer Sicht eben nicht um Gentherapeutika, sondern sehr wohl um Impfstoffe handele. Auch juristisch sei alles sauber abgelaufen.

Er bezog sich dabei auf einen „Aufsatz im Journal of Law and Biosciences von 2018“ und auf die „US-amerikanische Gesellschaft für Gen- und Zelltherapie (ASGCT)“. Beide Quellen plädierten dafür, so Wyler, den Begriff „Gentherapeutika“ nur dann anzuwenden, wenn Stoffe eine „Veränderung des Erbgutes in menschlichen Zellen, das als DNA vorliegt“, auslösten. Dies sei bei den mRNA-Präparaten von Pfizer und Co. nicht der Fall. Und wenn man nicht von Gentherapeutika sprechen könne, falle der Argumentationsansatz der sieben Juristen in sich zusammen.

Unterschiedliche Blicke auf „Menschenversuche“

Das zweite Hauptargument der Kontrahenten betrifft ethische Aspekte. Die Juristen argumentierten, dass es ethisch nicht vertretbar sei, ein nicht ausreichend getestetes Präparat massenhaft gesunden Leuten zu injizieren. Gerade aufgrund der schnellen Zulassung als „Impfstoff“ sei dieser „Menschenversuch“ aber milliardenfach geschehen, dazu noch unter Ausschluss der Herstellerhaftung. Zudem sei es falsch gewesen, den frühen Testpersonen aus der Placebo-Kontrollgruppe schon 2021 „echten“ mRNA-Stoff zu verabreichen, weil die Kontrollgruppe damit automatisch für immer zerstört und die zur regulären Zulassung entscheidende vorgeschriebene und wissenschaftliche Forschung praktisch abgebrochen worden sei.

Wyler argumentiert umgekehrt: Es wäre ethisch nicht vertretbar gewesen, den „mRNA-Impfstoff“ den Testpersonen aus der Placebo-Kontrollgruppe vorzuenthalten, weil dadurch ihre Überlebenschancen geschmälert worden wären. Die „wissenschaftliche Erforschung der Nebenwirkungen“ gehe außerdem „unablässig weiter“.

Bisherige Nebenwirkungsstudien ließen nicht erkennen, dass die mRNA-Präparate besonders gefährlich seien. Man habe also alles richtig gemacht: „Die Zulassung der Impfung erfolgt nicht unter Missachtung möglicher Langzeitfolgen, sondern in Abwägung von deren Wahrscheinlichkeit mit dem Risiko durch die Krankheit selber“, schrieb Wyler.

Wyler untermauert seine Perspektive mit Zahlen aus dem Winter 2020/21, Quelle: „ourworldindata.org“. Als Dreh- und Angelpunkt benutzte er das Datum „Ende Januar 2021“. Im „Corona-Winter 2020/21“ habe es bis zum 31. Januar in Deutschland ungefähr 48.000 Corona-Tote gegeben, „bis zum Ende des Winterhalbjahres ,nur‘ noch 33.000 mehr. Unter diesen 33.000 seien die „meisten […] ungeimpft“ gewesen. „Hätten die RNA-Impfstoffe dank dieser Regelung nicht so schnell zugelassen werden können, hätte diese schlimmste Phase der Pandemie deutlich länger gedauert“, schrieb Wyler zum Beleg für die segensreiche Wirkung der mRNA-Präparate.

Zahlenspiele

Besonders die Gegenrede von Dr. Emanuel Wyler rief erneut Kritiker auf den Plan. Da die „Berliner Zeitung“ die Kommentarfunktion abgeschaltet hatte, rief der Blogger Norbert Häring zu „Leserbriefen“ auf, von denen er einige veröffentlichte.

Ein Dr. Matthias Gockel aus Basel nahm Wylers Zahlenargument unter die Lupe. Zum Stichtag 31. Januar 2021 habe es 56.945 Corona-Tote in Deutschland gegeben. Wenn es „im Corona-Winter 2020/21“ bis dahin 48.000 Tote gegeben habe und man diese von der Gesamtzahl subtrahiere, lande man bei 8.945 Toten. Diese Zahl sei aber nicht erst Anfang des Winters aufgetaucht, sondern am 26. Juni 2020.

Addiere man umgekehrt die 33.000 von Wyler erwähnten Todesfälle nach dem 31. Januar zu den bis dato gezählten 56.945 dazu, lande man bei 89.945 Toten. Und diese Zahl erreichte Deutschland laut „ourworldindata.org“ erst am 15. Juni 2021. „Wylers Argumentation ist nebulös“, drückt es Dr. Matthias Gockel diplomatisch aus.

Dass die meisten Corona-Toten nach dem 31. Januar „Ungeimpfte“ gewesen seien, sei zudem ein „absurdes“ Argument Wylers, meinte Gockel. Die Impfkampagne hatte hierzulande ja erst am 27. Dezember 2020 begonnen. Wyler habe dabei unseriöserweise auch noch auf Daten aus England Bezug genommen, schrieb Gockel. Zudem habe der Molekularbiologe den Fehler gemacht, die Veränderung der Todeszahlen ohne Berücksichtigung weiterer Faktoren kausal mit der Impfung in Zusammenhang zu bringen, obwohl „höchstens Korrelationen existieren“.

Imhof und Kuhbandner über Wylers „Zirkelschluss“

Ähnliche Argumente wie Gockel brachten die Islamwissenschaftlerin Dr. Agnes Imhof und der Psychologe Prof. Christof Kuhbandner ein paar Wochen nach Beginn des Streits ins Spiel, kürzlich ohne Gegenrede veröffentlicht in der „Berliner Zeitung“.

Wyler habe „von einer beobachteten Korrelation auf einen kausalen Zusammenhang“ geschlossen: „Ein solcher Schluss ist aus wissenschaftlicher Perspektive unzulässig“, so Imhof und Kuhbandner. „Würde man sich der naiven Perspektive von Wyler anschließen […], müsste man korrekterweise eigentlich sogar schlussfolgern, dass sich die Sterblichkeit im Zuge der Corona-Impfungen verschlechtert hat.“

Einen „Zirkelschluss“ sehen Imhof und Kuhbandner in Wylers Strategie, die Auflösung der Placebo-Kontrollgruppen als ethisch geboten darzustellen, damit auch diesen Testpersonen schnell ein guter Impfschutz gewährt werden konnte. „Wenn man aber der Kontrollgruppe die Impfung verabreicht, weil man ihr deren Schutz nicht versagen dürfe, setzt man bereits voraus, dass die Impfung sicher und wirksam ist. Man nimmt also das, was das Experiment beweisen soll, als bereits gegeben an (petitio principii)“.

Imhof und Kuhbandner weiter: „Überspringt man die klinische Studie (bzw. bricht sie vorzeitig ab) und wendet das Produkt gleich am Menschen an, macht man jeden einzelnen Patienten zum Teilnehmer an einem Menschenversuch – und dies gänzlich ohne informierte Zustimmung und, im Falle einer 2G-Regelung etwa, nicht einmal freiwillig“.

Warum wurde die EU-Richtlinie 2001/83/EG geändert?

Der Rechtsanwalt Christoph A. Gebauer befasste sich auf „freiheitsfunken.info“ vor allem mit der Frage, „ob es sich bei den neuen legendären mRNA-Impfstoffen gegen Infektionskrankheiten um Gentherapeutika im Sinne der Richtlinie 2001/83/EG handele oder nicht“. Sein Eindruck: Wenn jemand wie die EU anno 2009 „Impfstoffe gegen Infektionskrankheiten“ auf einmal nicht (mehr) unter den „Gentherapeutika“ einordnen wolle, habe das sicher einen Grund.

Und der sei zu hinterfragen: „Durch die nur fiktive Ausgrenzung dieser Impfstoffe aus dem regulären Anwendungsbereich der Norm ändert sich ihre reale Beschaffenheit naturgemäß nicht“, schrieb Gebauer und erläuterte: „Wollte man derartige Änderungen der Realität durch das Formulieren von Regelwerken für möglich erachten, müsste man beispielsweise auch mittelgradige Intelligenzminderungen dadurch aus der Welt schaffen können, dass man nur den Schlüssel-Code F.71 aus dem Diagnoseverzeichnis der ICD-10 streicht. Auf so eine Idee kämen aber wohl allenfalls einschlägig Betroffene selbst.“

Physiker sieht Interessenkonflikt

Der Leipziger Physiker Prof. Klaus Kroy wies auf den Interessenkonflikt hin, dem Wyler unterliegen könnte: Der Molekularbiologe sei immerhin „Angestellte[r] eines Instituts der Helmholtzgemeinschaft“, die „zur Programmsteuerung staatlicher Auftragsgroßforschung mit über 5 Milliarden Euro Jahresbudget“ ausgestattet sei.

Außerdem sei Wyler medial als „Covid- und Paxlovid-Erklärer“, als „Warner vor der ,Pandemie der Ungeimpften’“ und als „Drosten-Adlatus und Mitglied unübersichtlicher Autorenkollektive“ in Erscheinung getreten. Die „fachliche Berichtigung“ seiner Gegenrede „würde einen eigenen Artikel füllen“, bemerkte Kroy.

Häring: „Ein Glücksfall“

Der Blogger Norbert Häring selbst hatte auch die journalistische Praxis der „Berliner Zeitung“ kritisiert, erst einen Gastartikel zu veröffentlichen, diesen wegen Leserbrief-Gegenwind tagelang zu entfernen und dann einen externen Autor proaktiv um eine Widerlegung zu bitten, um als Blatt Ausgewogenheit und Transparenz zu dokumentieren.

Zitat Häring: „Dass es in diesem Fall dazu kam, dass ein angsterfüllter Chefredakteur auf dilettantische Weise einen bereits publizierten Text löschen ließ, ist insofern ein Glücksfall, als er den Mechanismus sichtbar machte.“



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