Virologe Streeck fordert mehr Pragmatismus – Kritik an Inzidenzen: „Willkürliche Werte“

In einer Rede in Weimar kritisiert Virologe Hendrik Streeck den Umgang mit der Corona-Pandemie in der Politik, in der Gesellschaft und bei den Medien. Er fordert mehr Pragmatismus und Zusammenhalt. Und wiederholt: Menschen müssen lernen, mit dem Virus zu leben.
Titelbild
Hendrik Streeck, Uniklinikum Bonn.Foto: Andreas Rentz/Getty Images
Von 28. Mai 2021

Am Pfingstsonntag (23. Mai) fand die zweite „Weimarer Rede“ in diesem Jahr statt. Im Deutschen Nationaltheater sprach der Virologe Professor Hendrik Streeck über das Thema „Pragmatismus in der Pandemie“. Die gekürzte Fassung seiner Rede ist bei der „Welt“ erschienen. Der Bonner Professor kritisiert darin den Umgang mit der Corona-Pandemie und plädiert für einen gemeinsamen Weg.

Deutschland durch Lockdowns lahmgelegt

Grundsätzlich bejaht Streeck die Maßnahmen, die von der Regierung getroffen wurden, „aber es fehlte das Maß, und es fehlte an Mut“. Das Land befände sich seit anderthalb Jahren in einem Lockdown und wird praktisch lahmgelegt. „Mal heißt es, ein ‚harter Lockdown‘ soll kommen, mal ein ‚Lockdown light‘, mal eine ‚Bundesnotbremse‘, mal ein ‚Brückenlockdown‘.“ 

Streeck fragt: „War dieser Weg, der gebetsmühlenartig wiederholt: ‚Wir bleiben zu Hause‘, der einzige Weg? Ich wage zu behaupten: Nein.“

Er habe in seiner Karriere einige Krisen miterlebt und seine Erkenntnis daraus war, „dass Krisen am besten im Team gelöst werden. Und vor allem mit einem kühlen Kopf“. Es sei wichtig, nach pragmatischen Lösungen zu suchen, „fernab der Angst und der Panik“. 

„Pragmatismus in der Pandemie habe ich im letzten Jahr aber leider eher als Ausnahme denn als Regel wahrgenommen“, so Streeck in seiner Rede.

Inzidenzen seien „willkürliche Werte“

Streeck kritisiert die Politisierung des Virus, ebenso bei seinem Ursprung wie auch bei den sogenannten Inzidenzwerten. Viele würden fragen, woher die Werte „von 35, 50 oder gar 100 Infektionen pro 100.000 Einwohner und Woche als Grundlage für bestimmte Maßnahmen eigentlich kommen, welcher Logik diese Grenzwerte folgen“.

Am Anfang der Pandemie seien diese noch vielleicht nachvollziehbar gewesen, „inzwischen muss auch ich sagen, dass das eher willkürliche Werte sind“.

Dass man die Maßnahmen und Regeln teilweise bei Reisen nicht nachvollziehen könne, sei für Streeck nicht so schlimm, wie die Tatsache, dass die Politisierung des Virus zu einer „Spaltung der Gesellschaft“ geführt hat.

„Überspitzt formuliert: Auf der einen Seite diejenigen, die gefühlt alles dichtmachen wollten – so lange, bis es zu einer Null-Covid-Situation kommt. Und auf der anderen Seite solche, die das Virus nicht ernst nehmen wollten und bereits das Maskentragen als Zumutung begreifen“, so der Virologe. Am Ende bleiben zwei Lager: „Team Vorsicht“ und „Team Leichtsinn“.

Streeck spricht sich für eine Suche nach gemeinsamen Lösungen aus. Diese würden ignoriert bleiben, auch die Tatsache, dass beide „Teams“ in manchen Punkten richtigliegen. Zusammen würde man bessere Lösungen finden, „wenn man miteinander spricht und nicht gegen- oder übereinander“.

Diskurs statt Talkshows

Der Virologe beklagte in seiner Rede weiter, dass das Zuhören fehle. Werbespots der Regierung würden nicht ausreichen, es bedürfe an Bereitschaft, zu diskutieren und andere Meinungen anzuhören. Obwohl in zahlreichen Talkshows das ganze Jahr über diskutiert wird, sei dies „in der Politik, ganz zu schweigen vom Bundeskanzleramt, keine erwünschte Tugend“.

In seiner Ansprache rechnete Streeck zudem mit den Treffen der Ministerpräsidenten ab. Die gefühlt im Wochenrhythmus „ausgetragene Schlacht“ machte die Parlamente überflüssig, weil ohnehin alles in dieser Runde entschieden wurde.

Es gab unterschiedliche Strategien zur Öffnung oder Absperrung, es war wie ein Wettrennen der Ministerpräsidenten. Dies zeige, so Streeck, dass sie keinen Plan hatten und auch nicht vorausschauend agierten.

Als Begründung hat die Politik die Wissenschaft vorgeschoben, allerdings lebe diese vom Diskurs und Beweisen. Wissenschaftler seien „kein Nostradamus, der die Zukunft vorhersagen kann“, so der Virologe. Wissenschaft funktioniere nach dem Prinzip „Trial and Error“ [zu Deutsch: „Versuch und Irrtum“] und beruhe nicht auf einer „Vormachtstellung der Deutungswahrheit“.

Eigene Meinung als Wissenschaftsjournalismus getarnt

Streeck prangert auch die Rolle der Medien in der Pandemie an. Es gab Wissenschaftsjournalisten, die offensichtlich das Metier gewechselt hätten und zu „kommentierenden Aktivisten“ wurden. Hier sehe der Virologe ebenfalls eine Spaltung, denn plötzlich gab es unseriöse Wissenschaftler, die sich dauernd irren und womöglich doch nichts anderes seien als „Pseudoexperten“. 

Sie wurden nicht mehr in Talkshows eingeladen und sie bekamen auch keine öffentliche Plattform mehr. „Besonders pragmatisch ist das nicht, klug schon gar nicht und journalistisch sauber oder seriös erst recht nicht. Es geht darum, seine eigene Meinung – getarnt als Wissenschaftsjournalismus – durchzusetzen und als die einzige Wahrheit zu verkaufen“, so Streeck. 

„Wir müssen mit dem Virus leben“

Neben der Kritik an der Politisierung des Virus plädiert der Virologe dafür, „dass wir lernen müssen, mit dem Virus zu leben“. Es sei an der Zeit, Maßnahmen auszuprobieren und zu testen, die ein normales Leben wieder ermöglichen. Als Beispiel nannte er das „Tübinger Modell“. 

Überdies kritisiert er die mangelnde Infrastruktur der Daten zum Test- und Infektionsgeschehen. Diese hätten gefehlt, um die Wirksamkeit von Eindämmungs- und Therapiemaßnahmen herauszufinden und zeitnah verfügbar zu machen. „Deshalb bleibt es mein wesentliches Plädoyer, dass wir lernen müssen.“

Streeck würde um jeden Preis verhindern wollen, dass es im Herbst oder in der Zukunft zu einem weiteren Lockdown kommt. „Wir dürfen den Lockdown nicht mehr als alleiniges Mittel gegen die Pandemie sehen. Er muss – und ich spreche hier mit den Worten der WHO – das letzte Mittel sein, wenn eben nichts mehr geht“, sagte er in der Rede in Weimar. 

Im Sommer wären Hausaufgaben dazu nötig, um die Lockdowns zu verhindern, dazu bräuchte man allerdings außer Pragmatismus noch „Mut und Kreativität“. Angst sei in einer Pandemie der schlechteste Ratgeber.

Plan B und C sind nötig

Die Pandemie scheine dem Ende nah, doch genau jetzt solle man das Momentum nutzen. „Wir müssen Brücken bauen, um in diesem Marathon auch alle mitzunehmen, vor allem die Schwächeren unserer Gesellschaft, und dabei unsere Blicke auf jene richten, die die größten Schäden durch die Pandemie davontragen“, so Streeck.

Er wolle nicht vor einer vierten Welle warnen, trotzdem müsse man sich darauf einstellen und schon mal über Plan B und C nachdenken. Das Infektionsgeschehen könnte im Herbst wieder intensiver sein als im Sommer, dies sei auch schon vor Corona mit der Grippe der Fall gewesen.

Probleme sehe er im Pflegebereich, die in der Pandemie deutlicher sichtbar wurden. Man müsse nachhaltig in die Pflegeberufe, deren Ausbildung, Bezahlung und Ausstattung, investieren. „Das Wissen über diese Notstände bestand lange vor der Pandemie, ohne Konsequenzen: schlechte Bezahlung, Überstunden ohne Ende, Dauerstress und Nachwuchsprobleme“, so Streeck.

Pandemiemanagement und -kommunikation

Der Virologe rät davon ab, die Inzidenzzahlen als Maßstab für die Regeln zu nehmen. Das Infektionsgeschehen solle vielmehr daran gemessen werden, was für den Arzt relevant sei: Ist oder wird der Mensch krank? 

In der Tat ist der Anteil der Corona-Patienten an stationärer und intensivmedizinischer Belegung wichtiger und sollte eher als Bewertungsgrundlage dienen als das Wissen, bei wie vielen Menschen das Virus im Rachen nachgewiesen wurde.

„Zu einem guten Pandemiemanagement gehört aber auch eine gute Pandemieplanung und vor allem Pandemiekommunikation“, sagte Streeck in der Rede. Soziologen und Psychologen, Wirtschaftsweise und Juristen sollen eingebunden werden, denn zu oft machten in der Vergangenheit Gerichte Maßnahmen wieder rückgängig, die politisch gewollt, aber juristisch wenig gekonnt waren.

Zum Schluss fügte der Virologe hinzu: „Es ist an der Zeit, dass Wissenschaftler, Politiker, Menschen wie Sie und ich die Gräben überwinden, die diese Pandemie gerissen hat – und dass wir als eine Einheit vorwärtsblicken und die kommenden Monate und Jahre gemeinsam gestalten.“



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