„Wahlkampf ist nicht die Aufgabe der Kirche“ – Pfarrer verliert Stelle nach AfD-Kandidatur

Erneut ist Pfarrer Martinus Michaelis für die evangelische Kirche ein Stein des Anstoßes. Der Lutheraner kandidiert für die AfD in Sachsen-Anhalt im Stadtrat. Daraufhin wurde ihm sein Pfarrbereich entzogen. Im Interview mit Epoch Times geht er auf seine Motivation ein und die Probleme, die er in der evangelisch-lutherischen Kirche sieht.
Titelbild
Pfarrer Martin Michaelis aus Quedlinburg, Sachsen-Anhalt.Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Martin Michaelis
Von 1. April 2024

Im Dezember 2021 kritisierte Pfarrer Martinus Michaelis (63) in Sonneberg, Thüringen, bei einer Andacht die Corona-Maßnahmen und die COVID-19-Impfung und appellierte aus dem christlichen Glaubensverständnis an die Eigenverantwortung der Anwesenden. Daraufhin verlor er den Vorsitz sowohl der Pfarrergesamtvertretung der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands als auch des Thüringer Pfarrvereins e. V.

Nachdem er bekannt gab, bei der Stadtratswahl in seiner Heimatstadt Quedlinburg, Sachsen-Anhalt, als Parteiloser auf der Liste der AfD anzutreten, wurde er aus seinem Gemeindepfarramt in Gatersleben, Sachsen-Anhalt, entfernt. Epoch Times sprach mit dem Geistlichen über seine Motivation zu seiner Kandidatur und seine Auseinandersetzung mit der evangelischen Kirche.

Herr Michaelis, erneut geraten Sie mit Ihren Vorgesetzten in der evangelisch-lutherischen Kirche aneinander. Was ist geschehen?

Nach der Andacht in Sonneberg am 5. Dezember 2021 wurde am 12. April 2022 ein Disziplinarverfahren gegen mich eröffnet, das bis heute nicht beendet werden konnte. Weil sie nämlich nichts gefunden haben, was sie mir wirklich vorwerfen können. Seitdem war ich eine ganze Weile ohne Aufgabe und habe weiter mein Gehalt bezogen.

Später hat die Kirchenleitung gemeint, sie müsste mir wieder eine Aufgabe geben und überlegte, ob sie mir einen Forschungsauftrag gibt. Ich schlug das Thema „Aufarbeitung der Corona-Krise in der Kirche“ vor. Da wurde der Plan mit dem Forschungsauftrag schnell wieder aufgegeben.

Zum 1. November 2023 vertraute man mir dann vertretungsweise die Pfarrstelle Gatersleben samt drei Außenstellen an. Das lief gut an. Besonders in Schadeleben waren sie sehr glücklich, dass sie mich hatten.

Vor einigen Monaten dann fragte mich der Vorsitzende der AfD-Stadtratsfraktion in Quedlinburg, ob ich bei den Kommunalwahlen am 9. Juni als Parteiloser auf der Liste der AfD kandidieren würde. Ich habe mir das AfD-Parteiprogramm angesehen und habe dort nichts gefunden, bei dem ich sagen müsste, dass man das nicht vertreten könne.

Am 14. Februar teilte ich neben dem Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) – auch meinem Kirchenkreis Egeln – mit, dass ich die Absicht habe, für den Stadtrat zu kandidieren. Nach Paragraf 35 des Pfarrdienstgesetzes bin ich dazu verpflichtet. Daraufhin teilte mir der Kirchenkreis mit, dass ich dann die Pfarrstelle in Gatersleben verlieren würde. Auf welcher Rechtsgrundlage dies erfolgen sollte, sagte man mir nicht.

Aus dem Landeskirchenamt kam gar nichts. Auf der AfD-Kreisparteiversammlung am 9. März wurde ich einstimmig als Kandidat gewählt und erhielt den Listenplatz 3 von 14. Dies teilte ich am selben Tag dem Superintendenten meines Kirchenkreises mit, der mir daraufhin meine Pfarrstelle wie angekündigt entzog.

Vor ein paar Tagen erhielt ich ein Schreiben vom Landeskirchenamt, in dem man mir eine Frist bis zum 27. März einräumte, die Kandidatur zurückzuziehen. Dies begründete das Amt damit, dass die Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands beschlossen hätte, dass Kirchenmitglieder und Vertreter die AfD nicht unterstützen dürfen.

Ich sehe in meiner Kandidatur allerdings die Verwirklichung eines Rechts, was mir grundgesetzlich und verfassungsrechtlich im Land Sachsen-Anhalt zugebilligt wird. Deshalb sehe ich keinen Grund, von der Kandidatur Abstand zu nehmen.

Wie begründete der Superintendent den Entzug Ihrer Pfarrstelle?

In seinen Augen sei die AfD mit den christlichen Grundwerten unter Hinweis auf den Verfassungsschutz nicht vereinbar. Näher begründet hat er seine Meinung nicht. Das ist also eine schlichte Behauptung gewesen, die ich so nicht teile.

Die AfD hat als einen wichtigen Punkt in ihrem Parteiprogramm den Schutz des ungeborenen Lebens, auch für behinderte Ungeborene. Auch die forcierte Aufarbeitung der Corona-Krise durch die AfD mit der COVID-Impfung und den anderen Dingen unterstütze ich. Sie ist die einzige Partei, die das möchte.

Kennen Sie den Beschluss der Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zur Unvereinbarkeit mit der AfD?

Ja, den gibt es tatsächlich. Die Bischofskonferenz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche hat sich dazu geäußert. Das findet man auf der Internetseite der EKM. Und die Akademien der EKM haben sich dementsprechend auch geäußert.

Allerdings sind wir eine lutherische Kirche und da ist man seinem Gewissen verpflichtet. Die Bischöfe haben erst einmal in geistlichen Dingen keine Weisungsbefugnis. Das ist auch ganz klar in Paragraf 24 des Pfarrdienstgesetzes geregelt, dass wir in Inhalt und Gestaltung der Verkündigung frei und an keine Weisungen gebunden sind.

Wenn das schon für die Verkündigung gilt, dann muss das natürlich für mein ziviles Leben erst recht gelten. Deshalb, denke ich, können sie mir da nicht hineinreden, es sei denn, es ist wirklich bekenntniswidrig.

Jetzt wird es aber so dargestellt, als ob alle Pfarrer und alle Gemeindeglieder an den Beschluss der Bischofskonferenz gebunden wären. In meinen Augen schließt hier die Kirche alle Menschen, die die AfD gut finden, aus der christlichen Kirche aus und spricht ihnen den Glauben ab.

Aber wenn die Kirche insgesamt für alle da sein soll, muss auch jemand für diejenigen da sein, die an der AfD etwas gut finden. Deshalb habe ich mich entschlossen, wenn sich kein anderer das traut, dass ich diese Aufgabe übernehme.

Die Haltung der Bischofskonferenz ist auch grundsätzlich überhaupt nicht mit dem lutherischen Bekenntnis vereinbar – also Luthers Lehre von den zwei Regierweisen Gottes; die eine durch das Wort Gottes, durch die Verkündigung, und die andere Weise, wie Gott die Welt führt, durch die weltliche Obrigkeit. Martin Luther sagte, dass die beiden zwar aufeinander bezogen seien, aber sie dürften nicht vermischt werden.

Die geistliche Seite darf der weltlichen Obrigkeit nicht ins Handwerk pfuschen. Und die Kirchen haben der Obrigkeit nicht hineinzureden. Wenn man das konsequent bis zum Ende durchdenkt, dann ist das Volk der Souverän und die Kirche hat ihm bezüglich seines Wahlverhaltens schlicht und ergreifend keine Vorschriften zu machen.

Ich wollte gern, dass das wirklich mal diskutiert und klargestellt wird. Mit dieser Kandidatur habe ich nun vielleicht die Möglichkeit, dass man mir zuhört.

Ist das also Ihre grundlegende Motivation dabei?

Es ist mein Kindheitstraum gewesen, in Quedlinburg ein Haus zu haben und mich für die Stadt einzusetzen. Wir haben einen der ältesten Höfe der Stadt gekauft und so saniert, dass der Hof gewissermaßen als Lehrstück für gute Sanierungsarbeit gesehen wird. Zudem finde ich, dass Christen, die die AfD wählen wollen, nicht grundsätzlich diffamiert werden dürfen und ihnen nicht der Glaube abgesprochen oder unethisches Verhalten vorgeworfen werden darf.

Für mich ist dabei von großer Relevanz, dass zwei, die ebenfalls mit mir im Juni als Parteilose auf der AfD-Liste kandidieren, Mitglieder der EKM sind. Der eine ist dies schon länger. Den anderen habe ich selbst voriges Jahr im Sommer getauft. Die darf ich jetzt auch nicht im Regen stehen lassen und stelle mich an die Seite von diesen Menschen.

Es ist theologisch nicht aufgearbeitet, wo die AfD als Partei zum Beispiel rassistisch sein soll. Ich möchte, dass das entweder ordentlich belegt wird – oder es kommt heraus, dass es so nicht stimmt. Ich selbst bin davon überzeugt, dass es nicht stimmt.

Ist Ihnen die evangelisch-lutherische Kirche in diesem Sinn zu politisch und macht selbst Politik?

Ja, sie mischt sich massiv in den Wahlkampf ein, mit ganz klaren Äußerungen, welche Parteien wählbar sind und welche nicht. Das ist nicht die Aufgabe der Kirche.

Die Aufgabe der Kirche ist, den Menschen das Wort Gottes zu verkündigen, damit sie nach evangelisch-lutherischem Verständnis Kraft ihres eigenen Gewissens entscheiden können, was sie für ethisch vertretbar halten und was nicht.

Die Kirchenleitung hat nach evangelischem Verständnis nicht die Aufgabe, den Menschen dies vorzuschreiben. Wenn die Katholiken meinen, sie können das machen, sollen sie es tun. Aber für uns ist das seit der Reformationszeit nicht mehr möglich.

Luther hat während des Reichstags in Worms 1521 – wenige Tage, nachdem er nicht widerrufen hat und noch mal angegangen wurde, er solle selbst einen Richter vorschlagen – gesagt, ein Kind von acht oder neun Jahren wäre ganz gut, der Papst jedoch käme nicht infrage. Er werde niemanden als Richter anerkennen, sondern jeder Christ muss selbst urteilen und entscheiden. Ich denke, das muss auch heute gelten.

Ist es nicht ungewöhnlich, dass ein Lutheraner in die Politik geht und sich jetzt auch als Stadtrat wählen lassen will?

Grundsätzlich ist das nicht ungewöhnlich. Mit dem Paragrafen 35 des Pfarrdienstgesetzes ist diese Möglichkeit ja ausdrücklich vorgesehen. Dass sich jemand als Pfarrer traut, auf einer Liste der AfD zu kandidieren, das allerdings ist ungewöhnlich.

Da bin ich wahrscheinlich der Erste. Rein zeittechnisch und organisatorisch sehe ich auch kein Problem Stadtratsmitglied zu sein und gleichzeitig ein Pfarramt zu führen. Die Tätigkeit als Stadtrat ist nicht so überbordend. Hier in Quedlinburg ist der Stadtrat ein 36-köpfiges Gremium, das sich einmal monatlich zur Sitzung trifft. Hinzu kommen dann noch ein paar Ausschusssitzungen.

Vor 500 Jahren haben sich Reformatoren unter Einsatz ihres Lebens darum gekümmert, dass wir eine große Freiheit gewinnen. Wir sollten diese Freiheit nicht so schnell wieder aufgeben. Jetzt ist es offenbar meine Aufgabe, darauf noch mal hinzuweisen und für deren Erhalt zu kämpfen. Das will ich gern tun.

Das Interview führte Erik Rusch.



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